Freddy Elting hat für Jürgen Rösch-Brassovan ein Menü in einer italienischen Küstenstadt gezaubert. Jürgen wünschte sich für sein Wichtel-Menü:
- Entrée: Italien, ein Restaurant an einer kleinen Piazza (Antipasto: ein Salat aus Gurken, Tomaten, Oliven und Schafskäse)
- Hauptgang: Penne all‘ Arrabiata (ein Nudelgericht der rabiaten Art, aber nicht zu scharf), als Getränk ein Lambrusco (die Hauptpersonen sind ein Mann und eine Frau in mittleren Jahren, die diskutieren, daraus ergibt sich die Handlung)
- Dessert: Eis, zwei Kugeln Zitrone, eine Kugel Vanille, zum Abschluss ein Cappuccino
Dorfwandel
Vom Gargano-Gebirge her zieht der Wind des Abends durch die Straßen des Dorfes, vertreibt die Hitze des Tages und trägt Orgelmusik von der Kirche zu den Ohren der Menschen in der Taverne am Hafen. An der Theke sitzt das grauhaarige Abziehbild eines alten Italieners. Mit seiner linken Hand blättert er die Zeitung vor sich um, mit der rechten vollbringt er das Kunststück, sich eine krumme Zigarette zu drehen. Die Zeitung ist von gestern. Vielleicht hat ihm keiner gesagt, dass nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern. Möglicherweise hat er nichts, was ihm Aktualität abverlangt.
Aus der Küche winkt eine alte Köchin, die Arme knöchern und dünn mit Pergament bespannt. Ihre Bewegungen beschreiben einen Tanz mit Pfannen, Töpfen und Herd, einen Tanz, den sie so sehr beherrscht, dass sie Zeit findet, der Erscheinung auf der Straßenmitte zu winken, einer gebeugten Frau, die beim Näherkommen zu altern scheint.
Auf der Terrasse sitzen die Kleckse leuchtender Farbe in dieser Szene. Eine junge Frau, rothaarig und durch die Sonne sommersprossig, die flinken Augen werden die Eindrücke der Umgebung mit in die Nacht nehmen. Ihr gegenüber ein Mann, der ein Bein über die Lehne des Stuhles geschwungen hat. Diese Dominanz über den Raum strahlt er weiter durch sein offenes Hemd und die rasierte Glatze in die Umgebung.
Vor den beiden steht ein großer Teller mit einem Bauernsalat für zwei: Tomaten und Gurken, abgeschmeckt mit Oliven und Schafskäse. Einiges vom Salat liegt noch auf der blauweißen Porzellanplatte. Er spricht zu viel, um viel zu essen, sie beachtet ihn kaum und fischt sich von Zeit zu Zeit mit Fingern, die gelb von Nikotin sind, eine schwarze Olive aus dem Salatgemisch und führt diese zum Mund.
Der Mann führt die Hand durch sein Brusthaar, reißt sie dann in die Höhe und ruft der Köchin zu, sie möge nun den Hauptgang servieren.
Am Horizont über dem Hafen zeigt sich wildes Wetter der Zukunft. Vor dem Lila der Ferne springen Jugendliche von der Hafenmole in das Wasser. Ein Heranwachsender zögert immer wieder merklich vor dem Sprung in die Tiefe, doch der blonde Haarschopf des Mädchens im Wasser und die Konkurrenz der anderen lassen ihn Mut zeigen, wo keiner ist.
Draußen, wo das Meer tiefer ist, liegt ein ankerndes Kreuzfahrtschiff, das am nächsten Morgen Geld und Weltoffenheit in das Dorf speien wird.
Die Köchin stellt die Teller mit den Penne vor die beiden Fremden. In geschulter Bewegung reibt sie lange Streifen Pecorino über die rötlichen Nudeln und verschwindet dann wieder in ihrem Reich. Sie ist kaum wahrgenommen worden, der Glatzkopf spricht weiter, während er beachtliche Mengen Pasta kaut. Die junge Dame riecht an jeder Gabel, bevor sie sie zum Mund führt. Der angewiderte Ausdruck der Frau mag von der Schärfe kommen, die sie aufnimmt oder vom Verhalten ihres Gegenübers. Bei der Hälfte des Hauptganges legt sie sich gegen die Kühle einen blauen Seidenschal um die mageren Schultern mit dem leichten Sonnenbrand. Aus der Karaffe mit Lambrusco am Tisch hat sie genossen, das offene Hemd gesoffen. Möglich, dass er sich so warm hält.
Durch die Straße an der Taverne entlang zieht eine kleine Gruppe von den Bergen zu den Ställen am Stadtrand. Ziegen blöken und die kupfernen Glocken um ihre Hälse verbreiten ihren Klang. Zwischen ihnen wandelt das Mädchen mit dem Stab, das von Ziegen mehr weiß, als von Menschen. Vielleicht ist sie das schönste Mädchen Italiens, wurde aber noch nie fotografiert. Fotos zeigen Menschendinge, sie taucht ab unter Ziegen. Ziegenfell verbreitet Ziegengeruch. Wer diese Eindrücke kennt, verbindet Heimat damit. Durchreisende rümpfen unbewusst die Nase.
Der alte Zeitungsleser leert sein kleines Rotweinglas und geht rauchend nach Hause. Er wird jeden Tag zurückkehren, bis auf den Tag nach dem letzten Mal. Die Köchin hat die Gasflammen am Herd gelöscht, ihre Schürze an den Haken hinter der Küchentür gehängt. Alle Gäste hat sie versorgt, hat ihr Tagesziel erfüllt, wie immer wieder. Gleich wird sie ein Bier trinken. Sie empfindet Glück, zieht es aus dem Kleinen, das für andere meist kaum sichtbar ist.
Nur zwei Schalen mit Speiseeis, je zwei Kugeln Zitrone, eine Kugel Vanille, muss sie noch zu den Auswärtigen an den Tisch tragen. Eis ist die einzige Speise, die sie nicht selbst bereiten kann. Touristen verlangen aber danach. Der Mann mit der Glatze will Eis. Wohl mehr Eis, als seine Partnerin essen kann, denkt sie. Sie verschenkt auch noch zwei Cappuccini, denn die kleinen Gesten bleiben meist in Erinnerung. Erinnerungen bewahren das Alte, wie sie weiß.
Hinter der Taverne tragen Aushilfen Schlachtfleisch in das Lager des Metzgers. Die Kreuzfahrttouristen werden morgen viel essen. Die Jugendlichen sind aus dem Hafenbecken geflohen, ein Gewitter zieht sich über dem Meer zusammen. Das Dorf beschließt, langsam zu Bett zu gehen. Der Küster mit der dreifach gebrochenen Nase hat sein Orgelspiel beendet und schließt die Kirche ab. Die Köchin bläst alle Kerzen der Taverne aus, bis auf eine. An dem Tisch, an dem die beiden sitzen, der Glatzkopf und die dünne Rothaarige, wird noch gesprochen. Endlich kann das Gespräch geschäftlich werden.
Ihnen gefällt die Umgebung und der Anschluss an den Kreuzfahrtmarkt. Natürlich müsse einiges am Dorf geändert, die Taverne von Statikern geprüft werden. Mit einem Fünfjahresplan sei eine Umwandlung des Stadtkerns zu einer ökonomisch vorteilhaften Umgebung aber denkbar, die Investitionen überschaubar, der Widerstand zu vernachlässigen. Es werde die Empfehlung ergehen, bald das Logo der grünen Sirene ihres Kaffeekonzerns an diesem Gebäude leuchten zu lassen.
Text: Freddy Elting
Illustration: Geschichtenzeichnerin Celina
Ein Beitrag zum Special #litfutter. Hier findet ihr alle Beiträge.
malerisch – reich an Details – Open-End legt den Finger in die Wunde (bis alles „Global-Village“ ist)
Vielen Dank!
JRB