June Is hat im kulinarisch-literarischen Menü-Wichteln Freddy Elting gezogen, der sich sein Menü so vorgestellt hat: Mein Menü wäre bodenständig und an einem Pommeswagen einzunehmen (Entrée), bestünde aus einer Currywurst (Hauptgang) und nachher natürlich einer gemischten Tüte Süßes vom Kiosk als Dessert.
Peinliche Pommes
„Hier, einmal Currywurst mit Allem!“
„Danke“, grummelte ich, denn ich hatte mal wieder mächtig die Nase voll. Daran änderte auch meine Lieblingscurrywurstfrau in meinem Lieblingspommeswagen nichts.
Ich schlurfte an den nächstbesten Stehtisch. Eigentlich war ich mit einer Frau verabredet. Doch sie war bisher nicht aufgetaucht. Typisch. Dauernd passierten mir nur Missgeschicke! Heute machte der Chef wieder Druck: „Synthetisier endlich diese Reinsubstanz, sonst hängt uns die Konkurrenz endgültig ab! Wir müssen diese Veröffentlichung raushauen!“ Als ob ich was dafür könnte, dass die Chemie nicht tat, was der Vorgesetzte wollte. Himmel! Sollte er es doch selber machen.
Warum war ich bloß kein Sonntagskind, wie Michael? Was er wollte, hat geklappt, da ist nie was schiefgelaufen. Dabei war er schulisch voll der Tiefflieger. Er schrieb nur von mir ab. Offensichtlich hatte er in meiner chaotischen Zettelwirtschaft eher den Durchblick gehabt als ich selbst – und das sogar während der Klausuren.
Ich schob mir ein Stück Currywurst in den Mund und starrte auf mein Handy. Es lachte mich geradezu an … so als wollte es mir sagen: Ruf ihn an, um ihm zu sagen, was für ein verdammtes Glück er hatte! War seine Nummer überhaupt noch gespeichert? Ah da.
Dieser Mensch hatte vor ein paar Jahren die Chemikalienfirma seines Vaters übernommen. Ich weigerte mich standhaft, Ausgangssubstanzen für das Unilabor von seinem Betrieb zu beziehen. Wie ich Michael kannte, hatte er sowieso keine Ahnung von den Vorgängen im Unternehmen. Er fuhr lieber mit seinem Porsche Cayenne draußen herum. Wüsste ich gar nicht, wenn er seine Tourvideos nicht groß bei YouTube einstellen würde. Aber so war es, wenn man alles hinten und vorn rein geschoben bekam. Ich konnte mir bislang nicht mal einen Opel Corsa leisten. Normalerweise interessierte mich das Leben anderer Leute nicht die Bohne, aber bei ihm war es anders. Ich regte mich dermaßen auf, dass ich alles und jeden hätte verfluchen können. Diese gesamte vermaledeite Situation!
Bevor ich es mir anders überlegte, tippte ich wählen.
Der Ruf ging ab und ich wusste in etwa, was ich ihm im Überraschungsmoment an den Kopf hauen könnte, bevor er auflegte.
„Firma Michael Chemicals …“
„Hier Strebelmann, ich hätte gern den CEO gesproch…“
„… leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an, Sie können eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, wir rufen Sie schnellstmöglich zurück.“
Das war mal wieder typisch: Während ich normalerweise auch die Abende im Labor verbrachte, hatte der feine Herr Besseres zu tun. Ein Blick an die Uhr verriet mir, dass es erst 18:30 Uhr war.
Das Piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiep riss mich aus meinen Gedanken.
„Hallo Michael, hier ist Adam, erinnerst du dich an mich? Ich bin der, dem du deine guten Noten verdankst! Bei mir läuft seit Jahren alles schief und ich habe die Schnauze von diesem Unsinn gestrichen voll!“
An dem Punkt musste ich tief Luft holen.
„Mein Leben ist sehr ermüdend. Ich kann kaum noch schlafen und überlege, meine Forscherkarriere an den Nagel zu hängen. Vielleicht findet das Jobcenter eine andere Stelle für mich oder willst du mich einstellen? Ich bin total gestresst, weil die todsicheren Formeln nicht hinhauen und ich den Fehler trotz aufwendiger Lösungsansätze nicht finde. Störfaktoren, wie Temperaturschwankungen, Geräte, die ihren Dienst verweigern und Unreinheit können eliminiert werden, aber wo zum Geier steckt der Irrtum? Die Deadline sitzt mir im Nacken! Nebenbei macht mir die Einsamkeit zu schaffen. Ich habe das Gefühl, nichts auf die Reihe gebracht zu haben und meinen Chef wieder und wieder zu enttäuschen. Das Extreme ist, ich kann es mir selbst nicht mal mehr recht machen!“
Klick.
Ich seufzte. Der Anrufbeantworter besaß nur eine begrenzte Aufnahmekapazität. Ich schluckte ein Stück Currywurst und wählte erneut, denn ich war noch lange nicht fertig.
„Firma Michael Chemicals, leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an, Sie können eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, wir rufen Sie umgehend zurück.“ Piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiep.
Während ich mit dem Finger imaginäre Kringel auf die herumliegende Serviette malte, sprach ich weiter.
„Noch mal Adam! Habe in letzter Zeit ein Reizdarmsyndrom, welches höchst wahrscheinlich von der gesamten Stresssituation kommt. Zudem ist eine entfernte Verwandte gestorben, mit der ich früher viel zu tun hatte und ich fühle mich gar nicht mehr wohl, weil mir das Leben auf einmal so endlich erscheint und ich denke, alles falsch gemacht zu haben. Jetzt plagt mich auch noch eine unerwartete Gewichtszunahme, zu den daraus resultierenden Rückenschmerzen brauche ich wohl nichts mehr zu sagen…“
Warum erzählte ich das alles?
„Da kannst du mal sehen, wie gut es dir geht, während bei anderen Leuten … ach, ich will nicht schon wieder damit anfangen. Bringt doch nix. Egal, wie man es betrachtet.“
Ich drückte den roten Hörer und fragte mich, was ich hier eigentlich tat. Es war nicht mal sicher, ob Michael höchstpersönlich den Anrufbeantworter abhörte oder ob sich jetzt die ganze Firma über mich amüsierte. So ein Mist!
„Adam?“
Ich erschrak so sehr, dass ich beinahe die Currywurstreste vom Stehtisch geworfen hätte.
Hinter mir stand Tanja, meine Verabredung.
Schlagartig wurde ich sehr rot. „Oh, hallo … ich … hab … also ähm, hast du das mitgehört? Ich wollte … nicht“, stammelte ich.
Wahrscheinlich hatte ich es wieder versemmelt. Typisch.
Sie kramte in ihrer Tasche. Langsam holte sie eine gemischte Tüte Süßes vom Kiosk neben dem Pommeswagen heraus.
„Ich glaub, die hast du nötig!“ Sie blinzelte und riss sie auf. „Und dann erzählst du mir die Story mit deinem Bruder Michael noch mal in Ruhe.“
Ich nahm ein Gummibärchen und beruhigte mich etwas.
Text: June Is
Illustration: Geschichtenzeichnerin Celina
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