Wie man ein Monsterchen liebt

von | 04.10.2024 | Belletristik, Buchpranger

Gefühlvoll und behutsam erzählt Anna Job in der Erzählung „Salzige Milch“ aus dem Leben einer jungen Mutter. Worteweberin Annika hat sich in vielen Situationen wiedererkannt und das besondere Buch mit Freude gelesen.

Habt ihr schon einmal die fünf Minuten Freiheit am Tag genutzt, um zu duschen – und wurdet, triefend, von einem verzweifelt schreienden Baby empfangen, das unbedingt genau jetzt bei euch sein wollte? Eure Milch trinken? Habt ihr schon einmal alle zehn Minuten einen Film pausiert, weil euer Baby eure Nähe brauchte? Und dann entschieden, den Film Film sein zu lassen und einfach zu kuscheln? Um diese und viele weitere Gefühle und Situationen aus dem Alltag einer jungen Mutter geht es in den kurzen Schnipseln im Buch „Salzige Milch“:

„Ich schließe meine Augen und spüre: Ich lasse mich nieder. Damit Du satt wirst, von dem Gefühl, dass ich da bin.“ (S. 120)

Fremdbestimmt

Anna Job erzählt mal in stakkatoartigen Versen, mal in poetischer Kurzprosa von der unendlichen Liebe und dem Gefühl, selbst verlorenzugehen. Mit ihrem Partner und dem kleinen Baby lebt die Erzählerin in einem Haus im Grünen. Sie kümmert sich um den Garten, wenn sie nicht gerade stillt.

In den Texten spricht die Erzählerin das Kind als Du an und schreibt so auch einen poetischen Liebesbrief an das Kind, das als Monsterchen doch ihr Leben komplett auf den Kopf stellt. Die Schnipsel aus ihrem Leben eigenen sich gut, um sie in Häppchen (und auch mehrfach) zu lesen, eben dann, wenn man als Säuglingsmutter einmal Zeit hat.

„Mein Monsterchen. Fremdbestimmt. Von Dir. Haltend. Nährend. Lieber müde!“ (S. 93)

Der Anfang

Ein erster Teil widmet sich dem Leben der Ich-Erzählerin vor der Mutterschaft, dem Anfang. Die große Freiheit der Frau wird hier deutlich, die spontan in den Surfurlaub fährt, Sport treiben kann und abends in die Kneipe geht, und eben selbst über ihr Leben bestimmt.

„Zwanzig Kippen sind fünf Gin Tonic, sind zwei Magnum, sind kein Abendessen.“ (S. 10)

Der Kontrast zur Mutterschaft ist groß und wird durch die Gegenüberstellung spürbar. Besonders wichtig ist der Erzählerin als Surferin die Liebe zum Meer, die sie später auch auf die Beziehung zu ihrem Kind überträgt.

Bewegt hat mich dieser erste Teil dennoch deutlich weniger als der zweite, sehr viel intensivere. Das mag daran liegen, dass die Situationen im zweiten Teil allgemeingültiger sind, während das Leben vor der Mutterschaft individueller ist. Verfangen habe ich mich nur in diesem zweiten Teil, habe Abschnitte wiedergelesen und Sätze markiert.

Humorvolle Zeichnungen

Leichtfüßig begleitet werden die Texte von Illustrationen von Corinna Pourian. Die Künstlerin greift kleine Schnipsel aus den Erzählungen heraus: ein Kleidungsstück an der Wäscheleine, eine Kiste Malzbier, ein Mund an der Brust. Die Buntstiftzeichnungen überzeugen durch einen feinen Humor und die grafische Darstellung in sanften Farben. Auch durch die hochwertige Ausstattung eignet sich das Buch „Salzige Milch“ wunderbar als Geschenk für werdende oder frisch gebackene Eltern.

„Salzige Milch“ ist eine Erzählung, die ein essentielles Thema aufgreift, das in der Literatur viel zu selten vorkommt. Wer will schon von Mutterschaft lesen? Ich bin mir sicher, dass das viele wollen, und zwar nicht nur Mütter – besonders, wenn Anna Job darüber geschrieben hat. Absolut empfehlenswert!

Salzige Milch. Eine Erzählung in Schnipseln. Text: Anna Job. Illustration: Corinna Pourian. Kunstanstifter. 2024.

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

Wir sind umgezogen!

Wir sind vor einer Weile umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner