Nach „Wunderbare Möglichkeiten“ folgt ein weiterer Kinderroman von Manfred Mai: „Lena liest ums Leben“ ist kürzlich im Fabulus Verlag erschienen. Zeichensetzerin Alexa hat sich während und nach der Lektüre ein paar Gedanken gemacht.

Nachdem es in „Wunderbare Möglichkeiten“ um die Lebenswelt eines Jungen ging, steht hier ein Mädchen im Vordergrund. Doch beide scheinen sich im Charakter so sehr zu ähneln, dass sie auch Zwillinge sein könnten. Lena ist, ebenso wie Maximilian, neugierig und aufgeweckt – und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie nicht umzustimmen. Ihr Vater ist nicht krank! Mögen die Ärzte sagen, was sie wollen, Lena glaubt fest daran, dass es ihm schon bald wieder besser gehen wird. Die einzige Frage, die sich ihr stellt, ist: Welche Medizin kann ihrem Vater helfen? Schon bald hat sie die Lösung gefunden: Sie muss ihrem Vater vorlesen!

Trost oder Schein?

Zweifellos gibt der Kinderroman „Lena liest ums Leben“ Hoffnung. Allein der Gedanke, jemanden einzig durchs Vorlesen vor dem Tod bewahren zu können, ist tröstlich – und dennoch fragt man sich beim Lesen, inwieweit ein solches Wunder der Realität entsprechen kann.[1] Stets kreist die Frage darum, ob es ein Happy End geben wird, im Kopf herum. Wird sich der erste Eindruck, es handele sich hier um eine ausweglose Situation, erfüllen? Oder wird Lena ein Wunder vollbringen? Der Schreibstil und Lenas Worte deuten zumindest auf letzteres hin:

Gedacht hat Lena es zwar auch schon, aber aussprechen darf man es nicht. Solange es nicht ausgesprochen ist, ist es noch nicht in der Welt. „Wir machen Papa wieder gesund“, sagt Lena. „Sag du das auch!“ […] „Wir machen Papa wieder gesund“, wiederholt Mama wie ein artiges Kind. (S. 43)

Lenas Welt ist kindlich-naiv. Vielleicht zu kindlich, um sie in dieser dargestellten Rolle gänzlich authentisch wahrnehmen zu können. Dass weder ihr Vater noch ihre Mutter offen mit ihr über die Krankheit sprechen (dürfen), erweckt den Eindruck, Lena sei nicht ernst zu nehmen, weil sie ein Kind ist. Krankheit und Tod schweben zwischen den Zeilen, doch thematisiert werden sie nicht. Die Welt bleibt durch das nicht Ausgesprochene heil und friedlich.

Die Geschichte in der Geschichte

Der Autor bleibt seinem Stil treu: In „Wunderbare Möglichkeiten“ wurde die Haupthandlung durch Textstellen, die Maximilian liest, und seine Gedanken unterbrochen. In „Lena liest ums Leben“ gibt es gleich zwei Geschichten: Lenas und jene aus dem Buch, aus dem sie ihrem Vater vorliest. Allerdings macht dieses häufige Wechseln ungeduldig – die von Lena vorgelesene Geschichte interessiert nicht so sehr wie die Hauptgeschichte, sodass man sich in Geduld üben – oder notfalls Seiten überspringen muss –, wenn man schnell erfahren möchte, wie es ausgeht.

Vergleicht man die beiden Kinderromane, überzeugt „Wunderbare Möglichkeiten“ vor allem auf der inhaltlichen Ebene. Die Gedankenwelt Maximilians kann Leser jeden Alters ansprechen und zu eigenen Überlegungen anregen. „Lena liest ums Leben“ hingegen punktet auf sprachlicher Ebene. Alles in allem ist dieser Roman jedoch etwas schwächer als der vorige. Lesenswert ist er trotzdem.

[1] Laut einer Studie leben Buchliebhaber länger: „Ein gutes Buch ist wie Medizin zum Blättern„, zuletzt aufgerufen am 19.06.17 (15:44 Uhr)

Ein Beitrag zum Projekt #litkinder. Hier findet ihr alle Beiträge.

Lena liest ums Leben. Manfred Mai. Fabulus Verlag. 2017.
Illustration: Buchstaplerin Maike

Wunderbare Möglichkeiten, Kinder ernst zu nehmen

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