„Historische Risiken wie die Lesewut werden ebenso thematisiert wie zeitgenössische Erfahrungen mit Literaturblogs, Informationsflut und Transparenz.“
Zeichensetzerin Alexa hat Bloggerin und Autorin Petra Gust-Kazakos 10 Fragen zu „Philea’s Blog“, der Leselust und dem Reisefieber gestellt.
1. Liebe Petra, wie und wann entstand eigentlich „Philea’s Blog“?
Die Idee dazu kam mir im Sommer 2010. Ich hatte gerade mein Buch „Ganz weit weg. Leselust und Reisefieber“ beendet, aber das Thema war für mich damit natürlich keineswegs abgeschlossen. Außerdem entdeckte ich die Möglichkeiten, mich im Internet mit anderen Leserinnen und Lesern zu verbinden, und dachte, ein eigenes Blog könnte dazu eine weitere, famose Möglichkeit sein. Über die Jahre freue ich mich immer wieder über die Vielfalt an Blogs, die es zu entdecken gibt. Vor allem haben sich durch die Bloggerei ganz wunderbare Kontakte ergeben, die ich nicht mehr missen möchte.
2. „Leselust und Reisefieber“ – so ist dein Blog untertitelt. Wann packt dich das Reisefieber? Und gibt es auch mal Phasen, in denen du keine Leselust empfindest?
Reiselust packt mich sehr schnell: beim Lesen, wenn mir andere von ihren Reisen erzählen, wenn ich Reisefotos sehe… So richtiges Reisefieber bekomme ich kurz vor meinen eigenen Reisen, wenn ich meine, noch 1.000 Dinge vorher erledigen zu müssen, und es gleichzeitig kaum erwarten kann, endlich aufzubrechen. Die Lust aufs Lesen ist immer da.
3. An welche Reise erinnerst du dich am liebsten?
Schwierige Frage, schön waren sie ja alle. Vielleicht an die Tage in New York, einer Stadt, von der ich schon lange träumte, und die ich glaubte, aus vielen Büchern und Filmen eigentlich bereits zu kennen. Doch wirklich dort zu sein, übertraf all meine Erwartungen. Wir liefen jeden Tag stundenlang herum. Viel Zeit verbrachten wir in Museen wie dem Guggenheim, der Frick Collection, der Neuen Galerie (die übrigens das hervorragende „Café Sabarsky“ beherbergt), dem MoMA, wo wir das Glück hatten, die Performance „The Artist is present“ von Marina Abramović mitzuerleben, und der Morgan Library (ein Muss für Bibliophile).
Überhaupt hatte die Reise für mich viele literarische Highlights, etwa im Village vor dem Haus von Charlotte Lynch zu stehen, bei der sich Melville, Poe und andere trafen und wo Poe erstmals seinen „Raven“ vorgetragen haben soll. Tolle Buchhandlungen, die ich nicht ohne Bücher verlassen konnte. Einfach alles begeisterte mich, die Aussicht aus unserem Zimmer im 40. Stock, der Blick auf die Sonnenaufgänge (dank Jetlag jeden Morgen), der hübsche Bryant Park, besonders zur Mittagspause voller Leben. Die Architektur voller Gegensätze, die St. Bartholomew’s Church, die sich an das General Electric Building kuschelt, Wahrzeichen endlich live zu sehen wie die Brooklyn Bridge, das Dakota oder das Chrysler, die Erkenntnis, dass Astoria griechischer ist als Little Italy italienisch. Ich könnte endlos weiterschwärmen.
4. Welche 3 Bücher durften dich bereits auf deinen Reisen begleiten?
Auf meinen Reisen begleiten mich meist mehr als drei Bücher. Oft komme ich sogar mit weiteren Büchern zurück. Für diese Frage wähle ich einfach mal drei Bücher, die sich für Reisen mit bestimmten Verkehrsmitteln oder in bestimmte Länder besonders eignen.
Für eine längere Zugfahrt: Steffen Kopetzkys „Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication“. Hier geht es um die ungewöhnliche Bildungsreise des gutmütigen Studenten Leonard Pardell, der immer wieder das Opfer hinterhältiger Zeitgenossen wird und aufgrund ungünstiger Umstände als Schlafwagenschaffner arbeitet. Ein Job, der ihn kreuz und quer durch Europa führt, während er seine Lieben daheim in dem Glauben lässt, in Buenos Aires ein Praktikum zu absolvieren.
Für eine Reise in die Normandie: „Flaubert’s Parrot“ von Julian Barnes, denn mit einer Reise in die Normandie beginnt auch dieser Roman, dessen Erzähler Geoffrey Braithwaite, Arzt, Witwer und Flaubert-Experte, in zwei Flaubert-Museen zwei präparierte Papageien sieht, die angeblich Flaubert zur Inspiration dienten. Die Frage nach dem echten Papagei wird zur Suche nach dem echten Flaubert. Eine intelligent strukturierte Sammlung von Gedanken, Notizen und biographischen Details – und eine Abrechnung mit literarischer Kritik und Biographien.
Für eine Rundreise durch England: W. G. Sebalds „Die Ringe des Saturn“, eine einzigartige Mischung aus Reisebericht und Geschichtsbuch, ein Buch voller Erinnerungen, eigener und fremder, die sich um die Reisebeschreibung der Wanderung des Erzählers durch East Anglia legen.
5. Ist dir auf deiner Reise bzw. im Urlaub schon einmal etwas ganz Lustiges oder Peinliches passiert? Erzähl uns davon!
Hm, dazu fällt mir ein, dass ich als Kind, zum ersten Mal in einem französischen Hotel, das Bidet für die Kindertoilette hielt. Meine Eltern haben mich zum Glück rechtzeitig aufgeklärt. Lustige Momente ergeben sich ja oft durch eine gewisse Situationskomik, die erzählt dann für die, die nicht dabei waren, nicht mehr so lustig sind. Im Sinn bleiben mir aber eigentlich vor allem die schönen oder überraschenden Szenen, unglaublich freundliche Menschen, ihre Gastfreundschaft oder Hilfsbereitschaft, ihr Interesse, ihr Versuch, auch über Sprachgrenzen hinweg zu kommunizieren, ihre interessanten Leben oder das, was ich für einige Zeit davon miterleben durfte.
6. Reisen und lesen – liest du eigentlich auch gerne im Zug oder Bus? Wo liest du am liebsten?
Im Bus, wie übrigens auch im Auto, kann ich leider nicht lesen, weil mir dann übel wird. In Zügen lese ich gern, allerdings nur, wenn sie nicht mit Neigetechnik ausgestattet sind (dann wird mir nämlich ebenfalls unwohl). Im Flugzeug geht’s. Aber am liebsten lese ich auf Reisen am Meer, in Cafés oder auf einem bequemen Hotelbett. Wobei ich am Meer vermutlich am Ende doch mehr aufs Wasser schaue als ins Buch. Und in Cafés beobachte ich gern die Gäste, versuche, in ihren Gesten und Gesichtern ihre Geschichten zu lesen oder denke mir welche zu ihnen aus. Sie und das Meer sind sozusagen die größte Konkurrenz für meine Lektüre unterwegs.
7. Du bist nicht nur Bloggerin, sondern auch Autorin. Worum geht es in deinem Buch „Ganz weit weg“ und wem würdest du es empfehlen?
Darin gehe ich anhand verschiedener Stationen den Parallelen zwischen Lesen und Reisen nach. Beides müssen wir lernen, um es zu genießen. Beide haben ihre Sehnsuchtsziele, also Orte, die man bereisen, und Bücher, die man unbedingt lesen will. Gepäck ist ein Thema, das beide verbindet, zum Beispiel die richtigen Bücher darin. Die Vorstellung, die wir mit Orten und Büchern verbinden, und die Wirklichkeit. Hotels sind eine weitere Station, die in Romanen wie jene in der Wirklichkeit. Dann, nach Reisen oder Lesen, was bleibt, die Souvenirs, die man sich mitbringt, die Erinnerungen, die man an bestimmte Lektüren hat. Das Zuhause als Ausgangs- und Endpunkt jeder Reise, aber auch als mögliches Ziel; dass sich selbst in den eigenen vier Wänden hervorragend reisen lässt, hat ja bereits Xavier de Maistre mit seiner „Reise um mein Zimmer“ gezeigt. Und schließlich geht es auch um Schreibende Reisende, um Reiseliteratur und einflussreiche Entdeckungen. Diese essayistischen Betrachtungen, die ich mit eigenen Erlebnissen und denen anderer, größerer Reisender und Schreibender angereichert habe, eignet sich wohl besonders für Menschen, die Bücher über Bücher und das Lesen schätzen, etwa von Alberto Manguel oder Alain de Botton.
8. Ist ein weiteres Buch in Planung?
Ja. Arbeitstitel: „Die Gefahren des Lesens. Essays zu Risiken und Nebenwirkungen“. Darin behandle ich anhand verschiedener Themenkomplexe mögliche Risiken, Nebenwirkungen und Gefahren des Lesens für die Leserschaft, für die Autorinnen und Autoren und für die Texte selbst. Dabei geht die Gefahr stets von den Leserinnen und Lesern aus, die das Geschriebene rezipieren, interpretieren, kritisieren, übersetzen, bearbeiten oder zensieren. Man muss lesen können, um zur Gefahr zu werden. Historische Risiken wie die Lesewut werden ebenso thematisiert wie zeitgenössische Erfahrungen mit Literaturblogs, Informationsflut und Transparenz. Es geht mir natürlich keinesfalls darum, die Leserschaft vom Lesen abzuhalten, sondern um Erkenntnisgewinn, Denkanstöße – und nicht zuletzt um gute Unterhaltung.
9. Stell dir vor, du könntest von Buch zu Buch reisen – in welchen würdest du dich gerne aufhalten?
Wenn wir Romane lesen, geradezu darin versinken, halten wir uns ja in gewisser Weise immer darin auf. Wir versetzen uns an die Handlungsorte, fühlen uns in die Figuren ein, wir sehen die Personen und Szenen vor uns (vielleicht einer der Gründe dafür, dass wir manchmal so enttäuscht von den Verfilmungen sind). Wirklich drin gewesen wäre ich gern in fast allen Romanen, die ich las, außer in den allzu abenteuerlichen oder gruseligen.
10. Wenn du ein Buch wärst, welches wärst du?
Vielleicht eine Enzyklopädie. Nicht, weil ich so viel zu wissen glaube, sondern weil ich gern noch sehr viel mehr wüsste.
Dieses Interview erschien erstmals in der 17. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto: privat
Auf das neue Buch bin ich gespannt. Hätte man Lust, etwas dazu beizutragen.