Eine Insel, ein Mord, eine Ermittlerin: Das sind Zutaten für einen klassischen Insel-Krimi. „Der letzte Mord am Ende der Welt“ von Stuart Turton ist sehr viel mehr: Dystopie, Apokalypse, Thriller. Worteweberin Annika hat den Roman gespannt gelesen.
Ein giftiger Nebel überspannt die gesamte Erde. Nur auf einer Mittelmeerinsel gibt es noch Leben: Hier haben Forschende rund um ein ehemaliges Wissenschaftszentrum eine Barriere errichtet, die die letzten Menschen vom Nebel abschottet. Eine autarke Gemeinschaft aus Dorfbewohner*innen und drei Wissenschaftler*innen lebt hier zusammen. Diese drei Ältesten sind die letzten, genetisch optimierten Menschen, die noch vor dem Auftauchen des Nebels geboren wurden. Sie scheinen unsterblich und führen die Inselbewohner*innen an.
Doch eines Morgens wird Niema, die wichtigste der Drei, tot in einer brennenden Lagerhalle aufgefunden. Alles deutet auf einen Mord hin. Und nicht nur das, denn nach Niemas Tod ist die Barriere gefallen, die die Insel vor dem Nebel beschützte. Jetzt läuft die Uhr: Es bleiben 107 Stunden bis zum Ende der Menschheit. Kann die Dorfbewohnerin Emory den Mord aufklären und so das Ende verhindern? Und welche Geheimnisse wird sie bei Ihren Nachforschungen aufdecken?
Gemeinsam mit ihrer Tochter durchkämmt Emory die Insel, spricht mit den verbleibenden zwei Ältesten Thea und Hephaistos und steckt ihre Nase in Dinge, die Niema bisher streng geheim gehalten hat. Denn der Radius der Dorfbewoher*innen ist mit Absicht immer begrenzt gewesen.
Eine komplizierte Ermittlung
Emory ist eine außergewöhnliche Ermittlerin. In der Dorfgemeinschaft konnte sie nie einen Platz finden, eckte überall an und hatte nur wenige stabile Beziehungen. Anders als die anderen stellt sie seit jeher unbequeme Fragen, beobachtet neugierig und gibt nicht nach. Um einen Kriminalfall zu lösen, sind das wichtige Qualitäten. Immer wieder überrascht Emorys Beobachtungsgabe im Laufe der Handlung.
Dennoch verlaufen die Ermittlungen kompliziert: Alle Bewohner*innen der Insel sind in Gedanken mit Abi verbunden, einer Instanz, die nicht nur auf andere einwirken und Informationen weitergeben oder verheimlichen kann, sondern die auch die Erinnerungen aller Personen an die Mordnacht gelöscht hat. Die Figuren können sich selbst genauso wenig trauen wie den anderen – im Grunde ist jede*r verdächtig. Gemeinsam mit Emory begeben sich die Leser*innen also auf eine Reise ins Ungewisse. Auf dieser zeigt sich, dass die Dorfbewohner*innen nur einen Bruchteil über ihre Welt wussten. Und bald geht es nicht mehr nur um die Aufklärung eines Mordes …
Spannend & überraschend
Stuart Turtons „Der letzte Mord am Ende der Welt“ ist ein apokalyptischer Thriller voll unerwarteter Wendungen und mit einer rasanten Spannungskurve, alleine schon durch die näherrückende Nebelwand. Der Autor zaubert stetig neue Entwicklungen hervor, sodass es sich lohnt, aufmerksam zu lesen. Wird es Emory gelingen, die Dorfbewohner*innen zu retten? Dank der kurzen Kapitel entwickelt sich der Roman zu einem richtigen Page-Turner, den ich überraschenderweise kaum weglegen konnte.
Da selbst die Figuren sich und ihren Erinnerungen in dieser Welt nicht trauen können, begeben sich die Leser*innen auf eine Reise ins Ungewisse. Doch das dystopische Setting wirft auch darüber hinaus interessante Fragen auf. Stuart Turtons ausgeklügelte Zukunftsvision ist erschreckend, aber augenöffnend. Wie kann eine Gesellschaft am Ende der Welt aussehen? Gibt es Leben, das schützenswerter ist als anderes? Woher kommt das Böse im Menschen? Und was bedeutet es, zu altern?
Wer Krimis mag, sich gerne auf Gedankenspiele einlässt und etwas für Science Fiction oder Dystopien übrig hat, sollte unbedingt zu „Der letzte Mord am Ende der Welt“ greifen. Sicherlich hat Stuart Turton damit keinen klassischen Insel-Krimi geschrieben, aber einen sehr spannenden allemal!
Der letzte Mord am Ende der Welt. Stuart Turton. Aus dem Englischen von Dorothee Merkel. Tropen. 2025.
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