Alte Freunde auf Kneipentour

von | 14.02.2022 | Belletristik, Buchpranger

Ein Gespräch zwischen alten Freunden über die Liebe in vielen Facetten – so könnte man Roddy Doyles „Love. Alles was du liebst“ beschreiben und würde es dennoch nicht richtig treffen. Satzhüterin Pia hat sich mit Davy und Joe in die Kneipe(n) gesetzt und ihren Gesprächen gelauscht.

Davy und Joe sind schon lange Freunde, die sich zuletzt nur noch selten sehen – und zwar immer dann, wenn Davy, der vor vielen Jahren nach England zog, seinen Vater in Irland besucht. Die beiden Männer um die 60 gehen zusammen etwas essen und verfallen schließlich in alte Muster, indem sie durch die Pubs von Dublin ziehen, einen Pint nach dem anderen zechen und sich unterhalten. Während Davy zum Grund seines Irland-Aufenthalts schweigt, hat Joe seinem alten Freund etwas Wichtiges zu erzählen. Die richtigen Worte findet er nicht und so vergehen Stunden, in denen er nicht so recht auf den Punkt kommt.

Ein Wiedersehen mit Folgen

Joe traf nach fast 40 Jahren seinen und Davys alten Schwarm Jessica wieder – auf einem Elternabend an der Schule seiner Tochter. Für Jessica verließ er nun Frau und Kinder … und damit trifft er bei Davy – selbst glücklich verheiratet – auf Unverständnis. Dieser vermutet schlicht sexuelle Intentionen, aber Joe beteuert, dass es nicht darum ginge. Bei Jessica fühle er sich angekommen, zu Hause, aber seine Frau Trish liebe er eigentlich noch und obwohl er nicht 40 Jahre lang eine Lüge gelebt habe, habe er dennoch nicht das richtige Leben gelebt – und überhaupt ist es paradox. Davy kann seinen ehemals guten Kumpel nicht recht verstehen. So oft will er eigentlich gehen, hat keine Lust mehr, bleibt aber dennoch. Das Gespräch ist nicht selten ein Disput, ein Sich-gegenseitig-Angehen, Fluchen und Übereinander-Herziehen. Und schließlich ein Resignieren, Zurückrudern, Noch-ein-Pint-Bestellen, Weiterreden.

Im Biernebel am Nachbartisch

Als Leser:in hat man das Gefühl, am Nachbartisch zu sitzen, was den Charme der Geschichte ausmacht. Der Biernebel ist förmlich zu spüren und zu riechen, so authentisch sind die Dialoge gestaltet und wird die Umgebung gelegentlich geschildert. Die Beschreibungen von Umgebung und Menschen bleibt dabei sporadisch. Es ist gerade genug, um die eigenen Vorstellungen der Leser:innen lebendig zu halten.

Im Umkehrschluss bedeutet diese Authentizität aber auch, dass ein Gespräch zwischen langjährigen Freunden um die 60, biertrinkend im Pub, nicht immer stringent und logisch geführt wird. Spätestens ab der Hälfte des Buches kommt mehr und mehr das Gefühl auf, nicht zu wissen, worauf Roddy Doyle in seiner Geschichte eigentlich hinauswill. Ewig wiederkehrende Motive und Situationen machen den Roman häufig repetitiv, was im Gesamten, aber auch im Speziellen gilt – je „bierlastiger“ eine Gesprächssequenz wird, desto mehr drehen die beiden sich in ihrem Dialog im Kreis. Es ist ein schmaler Grat, aber irgendwie schafft Doyle es immer wieder, dass auch ich als Leserin doch noch nicht das Buch zuklappe, doch noch etwas weiterlese – genau wie Davy, der eigentlich gehen will, aber irgendwie doch noch bei Joe sitzen bleibt.

Ungewöhnliche Darstellung der Liebe

„Love“ handelt von der Liebe, aber auf ungewöhnliche Weise. Das liegt zum Großteil an der Darstellungsform: In erster Linie führen Davy und Joe nämlich seitenweise einen Dialog. Dabei wird die wörtliche Rede nicht klassisch mit Anführungszeichen dargestellt, sondern über Gedankenstriche in einzelnen Zeilen. Durch gelegentliche Nennung der Vornamen oder andere Hinweise auf die Person schafft man es als Leser:in meistens gut folgen zu können. Gelegentlich muss man aber noch mal genauer lesen oder aber man geht darüber hinweg und findet sich damit ab, nicht zu wissen, wer genau was gesagt hat, weil die Passage inhaltlich wenig relevant für die Handlung ist. Anfangs habe ich mich mit dieser Darstellungsform schwergetan, durch die Masse an Dialogzeilen aber schnell Verständnis dafür gewonnen. Den Lesefluss hätten zusätzliche Satzzeichen deutlich unterbrochen.

Über den Dialog sowie die gelegentlichen gemeinsamen Rückblicke oder persönlichen Erinnerungen Davys lernt man die beiden Männer und die Menschen, die sie lieben, kennen. Überwiegend bleibt das jedoch oberflächlich. Ein wenig mehr erfahren wir über Davy und seine Frau Faye, schon deutlich weniger über Joe, seine (Ex-)Frau Trish sowie die alte-neue Liebe Jessica. Generell ist es verwunderlich, wie wenig man über diese ominöse Person erfährt, die doch der Anlass für dieses ausschweifende Gespräch ist. Wirft man einen genaueren Blick darauf, geht es aber eigentlich um sehr viel mehr: eine Freundschaft im Wandel der Zeit, die Liebe zwischen Vater und Kind und vom Kind zum Vater, die Liebe zwischen Ehepartner:innen, die romantische Liebe oder auch die Nächstenliebe.

Wenn „alte, weiße Männer“ Bier trinken …

Gut, so viel bissige Überspitzung verdient das Buch nicht, aber dennoch finden sich Situationen, die ich aus meiner Sicht als (junge) Frau unangenehm finde. Während es ebenfalls Textpassagen und Aussagen gibt, die ich für einen Autor dieser Generation schon wieder angenehm fortschrittlich finde, stoßen ein Satz wie „Sie redete wie ein Mann, als hätte sie Anspruch darauf zu reden.“ (S. 72) deutlich saurer auf, selbst wenn es im Kontext abgeschwächt wird. Immer wieder blitzen Aussagen hervor, die zeigen, dass sich hier zwei „alte, weiße Männer“ bei einer Menge Bier unterhalten. Ich muss Doyle zugutehalten, dass es insgesamt sehr überschaubar bleibt und nicht zu unangenehm wird, als junge Feministin ihren Gesprächen und Gedanken zu lauschen.

Doyle führt seine Leser:innen sprachlich überwiegend sehr geschickt durch die Erzählung – oder vielmehr durch den Kneipenabend. Der Dialog, der eigentlich nur einen Abend lang dauert, zieht sich. Aber nur zum Teil, weil die beiden Männer gefühlt ewig um die eigentlich benötigten Wörter herumdrucksen. Vor allem zieht aber ein ganzes Leben an uns vorbei. Wir sehen die Männer im Pub sitzen und durch Dublin laufen, aber wir sehen (vornehmlich Davy) auch mit Anfang 20 im Pub, in seinem Elternhaus, mit der ersten Freundin und erleben, wie er erwachsen wird.

Als übermäßig anspruchsvoll empfand ich die Lektüre nicht, obwohl sie ein gewisses Mitdenken erforderte. „Nur fix ein Kapitel lesen“ funktioniert hier nicht, gibt es doch kaum Unterbrechungen im Fluss der Wörter, Zeilen und Seiten. Dank des berührenden Endes bin ich froh, dass ich drangeblieben bin. Noch einmal lesen werde ich das Buch jedoch eher nicht.

LOVE. Alles was du liebst. Roddy Doyle. Übersetzung: Sabine Längsfeld. GOYA. 2021.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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