Andreas Eschbach

von | 09.01.2015 | Buchpranger, Im Interview, Stadtgespräch

„Wer Macht hat, verändert die Welt – aber die Macht verändert ihn ihrerseits ebenfalls.“

Dystopie oder Utopie? In diesen Kategorien denkt Bestsellerautor Andreas Eschbach nicht. Warum das so ist, und wieso er seine Vorbilder für sich behält, verrät er im Gespräch mit Bücherstädterin Ann-Christin – außerdem wie es zu der Fortsetzung vom „Jesus Video“ kam.

BK: Herr Eschbach, danke dass Sie sich die Zeit nehmen. In unserer aktuellen Ausgabe beschäftigen wir uns mit Dystopien und Utopien. Wie würden Sie selbst Ihre Werke unter diesem Gesichtspunkt einordnen?

AE: Ehrlich gesagt denke ich nicht in diesen Kategorien. Ich habe mir noch nie vorgenommen, „jetzt schreibe ich eine Dystopie.“ Ich habe eine Idee für eine Geschichte – damit beginnt es. Und meine Geschichten beschäftigen sich häufig mit der Zukunft. Das ist alles. In welches Themenregal das fertige Buch dann zu stellen ist, das müssen andere entscheiden.

BK: Ihre Bücher scheinen häufig eine Mischung aus Science-Fiction, Thriller und Gesellschaftskritik zu sein. Stimmen Sie dieser Beschreibung zu? Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

AE: Das kann man sicher so sehen. Aber, wie gesagt, das ist nicht etwas, das ich mir vornehme, sondern etwas, das sich jeweils beim Schreiben so entwickelt. Das Erzählen von Geschichten folgt einer ganz eigenen Magie.

BK: „Todesengel“ beginnt damit, dass ein Rentner an einer U-Bahn-Station von zwei Jugendlichen angegriffen wird. Ein schreckliches Szenario, das leider nicht allein ihrer Fantasie entsprungen ist. Die Jugendgewalt in Deutschland scheint in den vergangenen Jahren zugenommen zu haben – wie erklären Sie sich diese Zunahme? Ist es weil, wie Sie in „Todesengel“ schreiben, der Staat mit jugendlichen Straftätern zu lasch umgeht?

AE: Man liest in diesem Zusammenhang häufig, die Gewalt nähme in Wirklichkeit ab und es werde nur mehr darüber berichtet, wodurch der Eindruck entstehe, sie nehme zu. Das beruht aber auf unsauberer Statistik; wenn man es genau untersucht, nimmt sie tatsächlich zu, insbesondere die Schwere der ausgeübten Gewalt. Woran das liegt, ist nicht mit ein paar Sätzen erschöpfend zu beantworten, aber generell scheint mir, dass der Widerstandswille des Rechtsstaates erlahmt. Man versucht es mit Appeasement, anstatt klare Grenzen zu setzen – was entsprechende Anstrengung erfordern würde –, und befördert so das, was man vermeiden will.

BK: In ihrem Buch ist die Antwort auf einen Justizapparat, der versagt hat, im wahrsten Sinne des Wortes ein „Todesengel“, ein Rächer, der die Täter zur Strecke bringt und dafür von den Medien gefeiert wird. Besonders der Journalist Ingo Praise nimmt dabei eine Schlüsselfigur ein. Wie würden Sie ihn beschreiben und die Rolle der Medien im Allgemeinen?

AE: Ingo Praise ist jemand, der sich selbst wehrlos fühlt angesichts körperlicher Gewalt, zuerst Schutz gesucht hat bei seinem Vater und später beim Staat und diesen Schutz bei beiden nicht gefunden hat. Das Auftauchen des „Todesengels“ erscheint ihm wie eine Verheißung, dass der Bedrohung Einhalt zu gebieten ist, und er glaubt, er hilft ihm, indem er einen Hype um ihn veranstaltet, als er über die Medien die Möglichkeit dazu erhält. Was, wie mir scheint, immer mehr die Norm wird, was Medien anbelangt – es geht nicht mehr darum, neutral zu informieren, sondern es wird jemand entweder gehyped oder gebashed, ungeachtet lästiger Fakten. Und wir geben den Medien die Macht dazu, weil wir ihnen immer noch glauben.

BK: Macht ist ein wichtiges Stichwort. In „Todesengel“ geht es um die Macht der Medien, „Eine Billion Dollar“ beschreibt den Einfluss des Geldes und „Herr aller Dinge“ geht sogar noch einen Schritt weiter, indem die Hauptfigur Hiroshi Kato mittels Nanotechnik die Macht besitzt, Dinge nach seinem Willen zu erschaffen. Der Wunsch nach Macht scheint die Menschheit anzutreiben. Aber wenn man Ihre Bücher gelesen hat, wirkt es, als wären wir ohne dieses Anspruchsdenken viel besser dran, oder?

AE: Natürlich. Man braucht sich nur die Menschen in Machtpositionen anzusehen – wie schnell sie altern, zum Beispiel –, um zu erkennen, dass Macht ihren Preis hat. Wer Macht hat, verändert die Welt – aber die Macht verändert ihn ihrerseits ebenfalls.

BK: Wäre Simon König – einer der Hauptfiguren aus „Ein König für Deutschland“ – ein guter Monarch, oder würde er sich von seiner Macht blenden lassen?

AE: In der Geschichte gab es viel zu wenig gute Könige, als dass sich die Frage überhaupt noch stellen sollte, ob die Monarchie eine sinnvolle Regierungsform ist.

BK: In „Eine Billion Dollar“ ist der Pizzabote John Fontanelli mit einem Schlag steinreich, gleichzeitig soll er das Geld so einsetzen, damit die Zukunft der Menschheit gesichert ist. Was würden Sie mit einer Billion Dollar anstellen?

AE: Ich habe beim Schreiben des Buches sehr deutlich gemerkt, dass mich ein solches Vermögen völlig überfordern würde, und wahrscheinlich jeden anderen Menschen auch. Es ist angenehmer, wohlhabend zu sein als arm, aber es gibt für Reichtum eine Grenze, jenseits derer er sinnlos wird. Man besitzt dann nicht mehr das Geld, sondern das Geld besitzt einen. Und das trägt dann nichts mehr zum Lebensglück bei, sondern vermindert es wieder.

BK: Robotik, Nanotechnik – wie viel Recherchearbeit war notwendig, um „Herr aller Dinge“ zu schreiben? Und welcher Ihrer Romane war bisher die größte Herausforderung für Sie?

AE: Schwer zu sagen, weil jeder Roman einen auf andere Weise herausfordert. „Herr aller Dinge“ ist mir vergleichsweise leicht gefallen. Ziemlich stressig war es, „Ausgebrannt“ zu schreiben, weil sich da zeitweise der Schreibtisch durchbog unter Recherchematerial.

BK: Haben Sie über die Jahre eine gewisse Tagesroutine fürs Schreiben entwickelt? Gibt es besondere Rituale?

AE: Nein, damit kann ich leider nicht dienen, obwohl sich so etwas immer ganz pittoresk macht in Schriftstellerbiografien. Aber ich kann immer und überall schreiben, vorausgesetzt, man lässt mich in Ruhe.

BK: Wie sind sie zum Schreiben gekommen und welches sind Ihre großen Vorbilder?

AE: Was Vorbilder anbelangt, habe ich im Lauf der Jahre gelernt, dass es besser ist, keine zu nennen, weil man dann nur mit ihnen verglichen wird. Wobei die Liste der Autoren, von denen man lernt, im Lauf des Lebens immer länger wird. Und was das Schreiben anbelangt – nun, ich hatte eine Kindheit ohne Fernseher, ohne Internet und mit viel freier Zeit. Also musste ich mich beschäftigen, und Geschichten zu schreiben war eines der Dinge, die ich irgendwann probiert habe. Dabei muss irgendetwas „eingehakt“ haben, sonst würde ich es nicht heute noch machen…

BK: Woraus schöpfen Sie Ihre Inspiration? Wie sind Sie beispielsweise auf „Das Jesus Video“ gekommen, welches Ihnen den Durchbruch verschaffte?

AE: Inspiration schöpfen – das klingt richtig anstrengend! Tatsächlich muss ich überhaupt nichts tun; die Ideen zu meinen Romanen kommen ganz von selber, sie verfolgen mich richtiggehend. Die Arbeit beginnt erst, wenn ich anfange, die Romane tatsächlich zu schreiben. Was ich wiederum tun muss, eben weil mir diese Ideen keine Ruhe lassen.

BK: In diesem Oktober – 16 Jahre später – erscheint eine Fortsetzung: „Der Jesus-Deal“. Können Sie uns verraten, worum es in der Geschichte geht und warum Sie so lange mit der Veröffentlichung gewartet haben?

AE: Als das „Jesus-Video“ geschrieben war, habe ich nicht an eine Fortsetzung gedacht. Aber vor einiger Zeit fiel mir ein, wie man eine zweite Geschichte so schreiben könnte, dass sich beide Romane völlig unabhängig voneinander lesen lassen und sich trotzdem aufeinander beziehen – also jeder gewissermaßen die Fortsetzung des anderen ist. Das war eine unwiderstehliche Idee, die ich so schnell wie irgend möglich umgesetzt habe. Was übrigens, da Sie vorhin danach gefragt haben, auch eine ziemliche Herausforderung war. Jedenfalls habe ich nicht mit der Veröffentlichung gewartet; die Idee kam mir einfach nicht früher.

BK: Werden Sie mit dem „Jesus-Deal“ auch auf große Lesetour gehen oder gibt es bereits Planungen für ein neues Buchprojekt?

AE: Ich werde im Herbst insgesamt zwei Wochen auf Lesereise sein. Und danach überlege ich mir, was ich als nächstes schreibe.

BK: Zum Abschluss unsere BK-Spezial-Frage: Wenn Sie ein Buch wären, welches wären Sie?

AE: Ein Notizbuch. In Geheimschrift.

Dieses Interview erschien erstmals in der 14. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto: Marianne Eschbach

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