Ann Leckies intergalaktische Abrechnung mit Diskriminierung

von | 12.06.2016 | Belletristik, Buchpranger

Buchstaplerin Maike liebt Herausforderungen bei der Lektüre. Diesmal hat sie sich an die beiden SciFi-Romane „Die Maschinen“ und „Die Mission“ von Ann Leckie gewagt, die bei Heyne erschienen sind. Eine Herausforderung deshalb, weil ein sprachliches Experiment gewagt wird, das gängige Markierungen von Geschlecht in Frage stellt. Lesenswert, auch wenn der Plot dabei in den Hintergrund rückt!

Die Maschinen von Ann Leckie

„Die Maschinen“: In der fernen Zukunft beherrschen die Radchaai einen großen Teil des Weltraums. Ihre Politik heißt Eroberung. Wo ein Planet von Menschen bevölkert ist, wird er annektiert und in die eigene Kultur überführt. Möglich wird das durch die eindrucksvolle Kriegsmaschinerie: Riesige Raumschiffe werden betrieben von künstlichen Intelligenzen, die unzähligen versklavten Körper fast überall gleichzeitig agieren können.
So ein Schiff ist die Gerechtigkeit der Torren, zweitausend Jahre alt, mit einer zu starken Bindung zu ihrer Leutnantin, und auf dem letzten Einsatz, bevor die Annexionen für immer ein Ende finden sollen. Doch dann geschieht etwas, das die KI des Raumschiffs in einem einzigen sterblichen Körper bündelt. Auf sich allein gestellt und mit immer mehr Zweifel am System will die Gerechtigkeit der Torren (oder Breq, wie sie sich jetzt nennt) Rache, und damit nichts anderes als die Vernichtung der Herrscherin der Radch.

„Die Mission“ (enthält Spoiler für den ersten Teil): Als klar wird, dass die aus vielen vernetzten Klonen bestehenden Herrin der Radch in sich gespalten ist und sich selbst bekämpft – Eroberungen fortführen oder Eroberungen einstellen? – droht der Bürgerkrieg. Und niemand weiß, ob er auf der richtigen Seite steht, denn beide Seiten sind dieselbe Person.
Die reformistische Variante der Herrin schafft es, Breq für eine Mission einzuspannen. Als Kapitänin ihres eigenen Kriegsschiffs soll sie rund um einen Planeten für Ordnung sorgen, den die reaktionäre Variante der Herrin von der Versorgung abgeschnitten hat. Doch das ist nicht das einzige Problem: Der harte Kolonialismus auf dem Planeten weckt Breqs Gerechtigkeitssinn, und als sie sich für die Rechte der Unterdrückten einsetzt, zieht sie den Zorn der herrschenden Klasse auf sich. Denn sie stellt damit auch das Herrschaftsbild der Radchaai in Frage.

Die Stärke der Reihe liegt darin, uns unsere Normen vor Augen zu führen

Der Plot, der sich im ersten Band der Trilogie auffächert, ist ein kompliziertes Konstrukt, das einige Eingewöhnungszeit verlangt. Die Geschichte verteilt sich auf zwei Handlungsstränge, die zwanzig Jahre auseinanderliegen und einerseits aus der Sicht des fast allsehenden Raumschiffs Gerechtigkeit der Torren, andererseits aus der Sicht der auf einen Körper reduzierten KI erzählt werden. Das erweist sich als spannendes Spiel mit Erzählperspektiven. Zudem entwirft Ann Leckie eine Auseinandersetzung mit Sprache und Geschlecht, die den Plot so manches Mal zu überschatten droht. Doch für mich ist das nicht unbedingt negativ, denn selten konfrontiert ein Buch so mit unsichtbaren Normen wie dieses.

Am auffälligsten ist da natürlich die Sprache: Die Radchaai Die Mission von Ann Leckiemarkieren in ihrer eigenen Sprache keine Geschlechter, und Leckie (sowie der deutsche Übersetzer) haben diese Konstruktion für uns ins generische Femininum „übersetzt“. Das bedeutet, von allen Menschen wird in der weiblichen Form gesprochen, egal, welches Geschlecht sie eigentlich haben. Der Effekt beim Lesen ist enorm: Irritation stellt sich ein, weil man sonst nur das generische Maskulinum gewohnt ist, welches unter der männlichen Form alle anderen Geschlechter „mitmeint“. Man beginnt außerdem, viel mehr Figuren als Frauen wahrzunehmen, bis schließlich der Punkt erreicht ist, die Sprache des Romans zu akzeptieren und zu verstehen, dass das Geschlecht für die Charaktereigenschaften und Handlungsweisen der Figuren komplett irrelevant ist.

Doch damit ist Leckies Bemühen, die Leser*innen zu irritieren, nicht erschöpft. Die Stärke der Reihe liegt darin, uns auch andere Normen vor Augen zu führen. In diesem Universum sind etwa Wertung von Hautfarben und Rationalität „umgedreht“. So stutzt man etwa kurz, wenn klar wird, dass in der Radchaai dunkle Hautfarbe ein Zeichen von edler Herkunft und hoher sozialer Stellung ist, oder dass Rationalität keine erstrebenswerte Eigenschaft ist. Und dann ist da noch das Klassendenken der Radchaai, bei denen angeblich alle gleichberechtigt sind – ein Vergleich mit unserer heutigen Gesellschaft erscheint verdächtig erwünscht.

Wohldosierte Action und perfekt ausgearbeitete Protagonistin

Doch so anregend die Diskurse auch sind, die Leckie durch ihre Ich-Erzählerin Breq verhandelt, so leicht lassen sie den eigentlichen Plot nebensächlich erscheinen. Zudem zieht sich dieser häufig unnötig in die Länge, sodass man sich so manches Mal fragt, wann denn endlich mal etwas passiert. Denn in den beiden ersten Bänden der Trilogie folgt nicht etwa Actionszene auf Actionszene – vielmehr liegt die Spannung in den gesellschaftlichen Konflikten, und auch Kampfhandlungen bleiben wohldosiert und schwelgen nicht in expliziten Gewaltdarstellung.
Was Leckie dafür hervorragend gelingt, ist die Konstruktion ihrer Protagonistin Breq. Ihre Identität als verselbständigte künstliche Intelligenz eines Raumschiffs, gefangen in einem menschlichen Körper zweiter Klasse, ist der Ausgangspunkt für diverse Überlegungen, was Menschlichkeit und freier Wille sind. Eine KI als Ich-Erzählerin einzusetzen, ist zweifellos erfrischend, zumal dadurch unterschiedliche Formen von Nähe und Distanz erzeugt werden können, die Breq mit glaubwürdigen Stärken und Schwächen ausstatten. Dabei wirkt sie niemals kalt oder berechnend, im Gegenteil. Als KI, die emotional und sozial veranlagt ist, erlaubt Breq einen tiefen Einblick in ihr Inneres, das sie menschlicher macht, als es auf den ersten Blick scheint.

Zwischen den Zeilen also eine komplex gestaltete Abrechnung mit vielen Diskriminierungen, die wir in unserer Gesellschaft so manches Mal als Normen abtun. Ann Leckie macht es uns leicht, unsere Welt in ihrem Universum wiederzuentdecken, auch wenn das eine Gratwanderung zwischen Plot und Politik bedeutet.

Die Maschinen (2015)Die Mission (2016). Ann Leckie. Übersetzung aus dem Amerikanischen Englisch: Bernhard Kempen. Heyne.

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