Auf dem bunten Auge blind?

von | 15.03.2022 | #OwnVoicesBK, Belletristik, Buchpranger, Specials

Worteweberin Annikas Erwartungen an Bolu Babalolas Stories „In all deinen Farben“ waren so wie die Kaugummiblase auf dem Cover: groß und rosig. Doch Kaugummiblasen neigen ja bekanntlich dazu zu platzen.

„In all deinen Farben“ hat mich auch auf Grund des bunten und coolen Covers direkt angelacht. Dazu ein wirklich spannendes Konzept: Die Autorin hat sich afrikanische, griechische und asiatische Mythen zur Vorlage genommen und daraus moderne Liebesgeschichten mit starken Frauenfiguren entwickelt. Dabei wandert sie zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit und zwischen den Kontinenten, thematisch aber bleibt ein Ruhepol bestehen.

Love is in the Air

Der Fokus aller Stories liegt auf der Liebe. Und zwar, das zumindest deutet der Titel des Bandes an, auf der Liebe „in all ihren Farben“. Allerdings erwarte ich von Stories, die in der heutigen Zeit dieses Versprechen geben, mehr. Mehr Diversität als nur eine queere Geschichte zum Beispiel, nämlich die von Nofretete und Ma’at, die in einem Nachtclub angesiedelt ist. Da Babalola die Geschichten stark überarbeitet hat, wäre es auch unproblematisch gewesen, aus ursprünglichen Männerfiguren Frauen zu machen oder andere queere Figuren unterzubringen, zumal ihre drei eigenen Geschichten, die den Band abschließen, ohne Vorlage auskommen.

Aber ich erwarte mir auch mehr als Liebesklischees, mehr als Happyendings am laufenden Band. Ich erwarte unerwiderte Liebe, enttäuschte Liebe, Selbstliebe. Und ich erwarte nicht nur die Liebe zwischen jungen Menschen, die frische Verliebtheit, sondern auch alternde Liebe, Liebe zwischen Eltern und Kindern oder Freund*innen. Die Liebe ist bunt, aber in diesen Stories ist sie es meiner Meinung nach nicht. Hier treffen junge, unabhängige Frauen auf junge, gutaussehende Männer, verlieben sich – und kommen zusammen, Ende der Geschichte (mehr oder weniger).

Wer ist hier stark?

Im Vergleich mit tradierten Mythen zeigt Babalola sehr starke Frauen: Kriegerinnen, Kämpferinnen für die Gerechtigkeit, Karrierefrauen. Auch in der Liebe haben sie das Heft in der Hand. Sie treffen die Wahl, welche Männer ihnen gefallen, beenden Beziehungen, stellen sich selbst an erste Stelle. Im Vergleich zu Figuren in anderen Neuerscheinungen sind diese Frauen allerdings nicht ungewöhnlich, sondern das, was viele Leser*innen inzwischen gewohnt sind und erwarten.

Das fällt insbesondere deswegen auf, weil die hier adaptierten Erzählungen mir zum Großteil gar kein Begriff sind. Automatisch vergleiche ich also die selbstbestimmt agierende Attem, die sich auf dem Markt ihre Liebhaber auswählt, nicht mit Attem aus der nigerianischen Volksweise „Ituen und die Frau des Königs“, sondern mit Frauen aus heutigen Romanen. Verstärkt wird das dadurch, dass Babalola viele der Erzählungen in die heutige Zeit umgesiedelt hat. Psyche zum Beispiel ist Aphrodites Assistentin bei der Modemarke „Olymp“, hantiert mit Coffe-to-go-Bechern und findet durch einen erfolgreichen Pitch ihr Glück, auch in der Liebe (natürlich). Was liegt da näher als ein Vergleich mit „Der Teufel trägt Prada“ oder ähnlichen Romanen? Sicherlich wäre es hilfreich gewesen, den Stories jeweils kurze Zusammenfassungen der ursprünglichen Mythen voranzustellen oder im Nachwort ausführlich auf die Vorlagen einzugehen.

In diesen Erzählungen lohnt sich auch ein Blick auf die Männerfiguren. Sie sind oft oberflächlich angelegt – als „Hotties“ mit muskulösen Oberkörpern, die in engen T-Shirts oder gleich ganz oben ohne durch die Szenen huschen. Zwar erfüllen sie alle das Kriterium, das in diesen Erzählungen an die Liebe gestellt wird und sehen die Frauen, wie sie wirklich sind, aber der Schlüssel zum Liebesglück scheint in großem Maße gutes Aussehen und ein Sixpack zu sein.

Hat hier jemand was von bunt gesagt?

Wenn man den Stories auch vorwerfen kann, sie würden die Liebe monochrom darstellen, dann sind sie doch in anderer Hinsicht bunt: durch ihre Herkunft. Babalola versammelt Mythen aus aller Welt und haucht ihnen neues Leben ein. Zhinüs Geschichte beispielsweise spielt in China, wo die Hauptfigur als Popsternchen durch die Städte tingelt und an der Rezeption eines kleinen Hotels ihren Traummann findet. Attem und Osun sind in Nigeria angesiedelt, andere Geschichten in Ghana und Mesopotamien. Die meisten der Figuren in diesem Band sind Schwarz. Insbesondere bei den drei eigenen Stories fällt auf, dass Babalola sich stark an ihrer eigenen Lebenswelt orientiert: Darin zeigt sie junge Schwarze Frauen, die schreiben (wollen), mit guter Bildung und großen Träumen. Besonders bewegend in diesem Band ist sicherlich die letzte Geschichte, in der Babalola von der Liebe ihrer Eltern erzählt, die sie zu „In all deinen Farben“ überhaupt inspirierte.

Sprachlich springt Bolu Babalola zwischen den Registern, wie die Stories sich zwischen den Zeiten und Kontinenten bewegen. Mal greift sie den Duktus alter Erzählungen auf, was eher schwerfällig wirkt, mal ist ihr Ausdruck sehr modern. Leider schleichen sich dann auch gehäuft Floskeln ein, da ist man „trunken vor Liebe“, es „pulsiert in den Adern“, die „Liebe keimt in den Herzen“ und auch „das Ende der Beziehung ist vorprogrammiert“…

Bolu Babalolas Erzählungen in „In all deinen Farben“ sind gelungen, wenn man sie als Alternative zu aktuellen Romanen aus der Sparte Romance liest. Da ich aber unbedingt mehr in ihnen finden wollte, wurde ich enttäuscht. Sie sind wie Kaugummi, ganz nett für einen kurzen Moment, aber Sahnetörtchen sind sie nicht.

Bolu Babalola. In all deinen Farben. Aus dem Englischen von Ursula C. Sturm. Eisele. 2022.

[tds_note]Ein Beitrag zum Themenjahr #OwnVoicesBK. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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