„Baba Dunjas letzte Liebe“ heißt der neue Roman von Alina Bronsky, die bereits mit Werken wie „Scherbenpark“ und „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ großen Erfolg hatte. Mit ihrem neuen Roman landete sie nicht nur auf der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises, sondern auch auf einer Lesereise, bei der sie neben fünf Mitstreitern um den Preis der „LiteraTour Nord“ kämpft. Am Sonntag, 25. Oktober, beginnt die Reise. Zeichensetzerin Alexa hat sich vorab mit Baba Dunjas letzter Liebe auseinandergesetzt.
Baba Dunja heißt eigentlich gar nicht Dunja, aber alle im Dorf Tschernowo nennen sie so. Hier ist sie bekannt – was bei der geringen Anzahl an Bewohnern gar nicht so schwer ist – aber auch außerhalb dieser Dorfgemeinschaft kennt man sie: Die Frau, die trotz des Reaktorunglücks und der darauf folgenden Verstrahlung des gesamten Gebiets wieder zurückgekehrt ist. Während andere sich vor den Folgen der schädlichen Strahlung fürchten, stellt Baba Dunja ihre Sehnsucht nach ihrer Heimat in den Vordergrund. Hier und sonst nirgendwo anders möchte sie leben. Hier ist sie aufgewachsen. Hier ist sie zu Hause.
Familienliebe
Ihre Kinder haben das Land verlassen und bauen sich unter anderem in Deutschland ein neues Leben auf. Überwiegend kommuniziert sie mit ihrer Tochter Irina über Briefe, auf die sie manchmal wochenlang warten muss. Für sie ist ein Brief stets „wie ein Fest“. So etwas wie E-Mails und Internet kennt Baba Dunja nicht. Sie ist eine einfache Frau, die vom Leben außerhalb ihres Dorfes nur wenig durch Zeitungen von 1986 und Briefe mitbekommt. Die Leitung für Telefone funktioniert hier nicht mehr und einen Empfang für „Handtelefone“ bekommt man nur in der Nähe einer Stadt.
Ihre Tochter macht sich Sorgen um sie, bietet ihr an, nach Deutschland zu kommen, schickt ihr Pakete mit Lebensmitteln und anderen Dingen, von denen sie glaubt, sie könnten Baba Dunja nützlich sein. Natürlich freut sich diese über die Aufmerksamkeit, aber sie wäre auch ohne diese Dinge zurechtgekommen. „Dann habe ich begriffen, dass sie diese Pakete dringender braucht als ich. Seitdem sage ich einfach nur Danke und äußere ab und zu Wünsche. Zum Beispiel nach Gummibärchen und einem neuen Sparschäler.“
Während die Jahre dahinziehen, wächst in Deutschland Baba Dunjas Enkelin zu einer Jugendlichen heran, die den Anforderungen ihrer Generation zu trotzen versucht. Als Laura ihrer Großmutter schreibt, kann diese den Brief nicht lesen, weil er in einer anderen Sprache verfasst ist. Doch jemanden um Hilfe bei der Übersetzung zu bitten, will Baba Dunja nicht. Ein Konflikt, der sie eine ganze Weile begleitet: Was mag ihre Enkelin, die sie noch nie in ihrem Leben persönlich getroffen hat, geschrieben haben? Diese Frage konstruiert einen Spannungsbogen, der den Fall mit dem recht merkwürdigen Mord im Dorf weit übertrifft.
Baba Dunja und die Männer
Der Titel „Baba Dunjas letzte Liebe“ mag auf den ersten Blick mit einer Liebesgeschichte assoziiert werden, doch findet sich inhaltlich keine. Zumindest keine, die man erwarten würde. Vielmehr wird die Aufmerksamkeit auf die Liebe zur Familie gelenkt, welche in Baba Dunjas Leben eine wesentliche Rolle spielt. Als Witwe lebt sie für sich allein, einen Mann lässt sie nicht an sich heran – was soll sie mit dem auch anfangen? Die wollen doch nur bemuttert werden, meint sie. Die Beziehungen, die sie zu Männern pflegt, sind anderer Natur, freundschaftlich, unterstützend. Sehr überrascht, ja sprachlos, reagiert sie auf den Heiratsantrag vom hundertjährigen Sidorow, der die Heirat damit begründet, dass er ein Mann sei und sie eine Frau – und da könne man doch einfach heiraten.
Der Begriff „Liebe“ wird in diesem Buch in ein anderes Licht gerückt. In welches, dafür bietet die Autorin mehrere Möglichkeiten der Interpretation an. Sei es die Liebe zur Familie, die Liebe zum Leben oder die Liebe zur Freiheit.
Zwischen Authentizität und fehlender Tiefe
Das Reaktorunglück als Hintergrund der Geschichte erweckt den Gedanken, es könnte sich bei dem Buch um eine Auseinandersetzung mit dem Thema handeln. Doch es ist nicht der wesentliche Bestandteil der Handlung, sondern vielmehr der Umstand, unter dem Baba Dunja lebt. Ihre Gedanken und Gespräche zeigen, dass sie sich damit beschäftigt, sich aber nicht davon leiten lässt. Es gibt auch noch andere Dinge in ihrem Leben, über die sie sich Gedanken machen muss: der eigene Garten, die Tiere und stets die Frage, wie sie überleben kann.
Dieser Aspekt lässt nicht an der Authentizität zweifeln. Es sind die Beschreibungen, die mich in meine eigene Kindheit zurückversetzt haben: der krähende Hahn, die eigenen Tomaten im Garten, die zu melkende Kuh. Nicht unbekannt waren mir die Umstände, unter denen in Russland und anderen russischsprachigen Gebieten gelebt wird. Die große Freude, wenn von den Verwandten ein Paket kam, in dem sich Süßigkeiten und Spielzeug befanden. Oder Briefe, denen farbige Fotos beigelegt waren und die von einer anderen Welt erzählten. All das war beim Lesen wieder da.
Doch auch wenn das Buch im Hinblick auf Authentizität überzeugt, so fehlt es der Geschichte an Tiefe. Das, was erzählt wird, bleibt meist an der Oberfläche. Da hilft es wenig, dass man Einblick in das Innenleben der Protagonistin erhält, denn trotz der Ich-Perspektive, bleibt sie einem doch bis zum Ende fremd. Es ist, als würde Baba Dunja die Leserschaft – wie auch die Männer – nicht an sich heranlassen wollen.
Die kurzen, einfach gehaltenen Sätze ermöglichen zwar ein schnelles Voranschreiten der Handlung, allerdings lassen sie in ihrer Kürze wenig Lebendigkeit zu, sodass die Sprache im Kontrast zum Titel und Inhalt kaum Emotionen hervorzurufen vermag. Nichtsdestotrotz ist „Baba Dunjas letzte Liebe“ ein lesenswerter Roman für einige unterhaltsame Stunden. Mehr aber auch nicht.
Baba Dunjas letzte Liebe. Alina Bronsky. Kiepenheuer & Witsch. 2015.
Weitere Informationen & eine Leseprobe gibt es hier.
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