»Woher weiß man, ob man in einem Traum oder in der Wirklichkeit ist?«
Anatole lächelt.
»Sehr gute Frage.«
Schon mit ihren acht Jahren hat Manon großen Kummer und muss irgendwie damit klar kommen, dass ihre Mutter spurlos verschwunden ist. Ihrem Vater fehlt die Kraft, sich um sie zu kümmern, obwohl er ihr doch immer so viel Liebe gegeben hat. Stattdessen trinkt er, er wäscht sich nicht mehr und wartet Tag ein, Tag aus auf den Anruf seiner geliebten Frau. Und Tante Sophie? Die macht sich Sorgen um Manon, aber leidet selbst auch.
Somit sitzt Manon jeden Tag nach der Schule unter der Birke im Garten und redet mit den Katzen und Ameisen, bis irgendwann der Rentner Anatole auf sie zu geht und ihr aus „Dem kleinen Prinzen“ vorliest. Manon fasst Vertrauen zu Anatole und gemeinsam bringen sie sich wieder zurück ins Leben. Und als dann Briefe von Anais, Manons Mutter, aus Marokko ankommen, ist kein Halt mehr da und sie machen sich gemeinsam auf den Weg.
Hier beschreibt die Autorin mit wenigen Worten sehr eindrücklich die Trauer von Vater Pierre und die Einsamkeit sowie die Unsicherheit der kleinen Manon. Wunderbar sind hier auch die Parallelen zu der Geschichte des kleinen Prinzen. Auf diese Weise lernt Manon mit ihrem Kummer umzugehen. Es beginnt eine Reise, die für alle Beteiligten einige Überraschungen bereit hält. Sie erleben traurige, aber auch schöne Momente und unterstützen sich schließlich doch gegenseitig, was anfangs nicht den Anschein gemacht hat.
Durch den flüssigen Schreibstil kann man sich gut in die einzelnen Personen hineinfühlen, allerdings kann man die Emotionen nicht hautnah spüren bzw. miterleben, da die Erzählweise distanziert wirkt. Einige Passagen sind aber auch sehr ausgefüllt, sodass man denkt, das hätte man weglassen können, wie zum Beispiel der Teil bei Tante Sophie. Schade ist außerdem, dass das Ende sehr schnell ging. Da bekommt man das Gefühl, als sei die Geschichte nicht mehr ganz so glaubwürdig.
Alles in allem hat die Autorin den Roman gut umgesetzt. Auch wenn hier und da kleine Schwächen aufzufinden sind, werden sie nicht unbedingt als störend empfunden. Es ist eine leichte Lektüre für zwischendurch, die einen zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken anregt. Schön ist auch, wie die Freundschaft zwischen Anatole und Manon dargestellt wird.
Ein ganz besonderes Highlight sind natürlich die Parallelen zum kleinen Prinzen. Es ist eine schöne Idee und die Zitate aus dem Buch „Der kleine Prinz“ sind sehr passend gewählt, sodass sie jeder einzelnen Charakterfigur neuen Mut und Hoffnung geben.
Bäume reisen nachts, Aude Le Corff, Insel, 2014
Danke für die Empfehlung…gleich auf die Wunschliste gepackt 🙂
Viel Freude beim Lesen! Vielleicht magst du uns später schreiben, ob und wie dir das Buch gefallen hat? LG, Alexa
Buch gelesen und da wollte ich mich kurz melden: Im Großen und Ganzen hat es mir gefallen. Es liest ziemlich schnell und flüssig. Ich hätte mir gewünscht, dass der Teil, den Manon unter der Birke verbringt etwas ausführlicher zum Tragen kommt. So tauschen die Bäume immer eher nur als Randerscheinungen auf. Das Ende finde ich auch etwas unglaubwürdig, aber im Grunde passt es, weil man sich doch irgendwie immer ein Happy-End wünscht. Und warum sollte es nicht auch wirklich so kommen. Wie auch schon angemerkt taucht man gefühlsmäßig nicht so 100% ein, aber auf der anderen Seite macht es auch den Reiz des Buches aus. Irgendwie kommt die Stimmung und die Probleme der einzelnen Personen mehr zum Tragen. Ich hatte da irgendwie immer alles in schwarz-weiß vor meinem Augen. Eben etwas trüb. Interessanterweise scheint es momentan Trend zu sein, Geschichten auf irgendeiner Reise stattfinden zu lassen. So, als müssten die Personen erst eine Reise machen, um auch zu sich zu finden. Aber pilgern ist ja auch so in Mode.
Alles in allem kann ich es empfehlen und es sicherlich das „Los“ von Viellesern, dass man selten auf Bücher stößt, die einen total vom Hocker hauen.
Liebe Grüße, Kerstin