„Die Filmerzählerin“ ist eine traurig-schöne Geschichte, die Kino im Kopf verursacht – mit Bildern, die einen so schnell nicht wieder loslassen.
Erzählkünstlerin
„Wie in jeder Salpetersiedlung in der Wüste, so konnte man auch in unserer an der Behausung gleich erkennen, zu welcher der drei sozialen Klassen die Bewohner gehörten: In den Wellblechhäusern lebten die Arbeiter, in den Häusern aus Lehmziegeln die Angestellten, in den Villen mit Holzveranda die Gringos.“
María Margarita ist zehn Jahre alt und lebt mit ihrem Vater und ihren fünf Brüdern in einer Siedlung der chilenischen Atacama-Wüste. Dort ist Kino das Spannendste, das es gibt und für diejenigen, die es sich leisten können, ein wahres Erlebnis. Marías Familie gehört zu den Armen in der Siedlung, der Vater sitzt seit seinem Arbeitsunfall im Rollstuhl und bekommt eine so karge Rente, dass es gerade noch fürs Essen reicht. Das Haus können sie allein deshalb bewohnen, weil der Vater ein vorbildlicher Arbeiter gewesen ist und keinen Tag auf der Arbeit gefehlt hat. Da er jedoch ein großer Filmliebhaber ist, legt er monatlich etwas Geld beiseite, damit sich einige seiner Kinder einen Kinobesuch leisten können. Deren Aufgabe ist es anschließend, den Film so detailiert wie möglich nachzuerzählen, damit die anderen Familienangehörigen auch etwas davon haben. Bis María eines Tages beweist, dass sie eine Erzählkünstlerin ist und fortan jeden Film schauen darf, um ihr Können als Filmerzählerin perfektionieren zu können. Schnell verbreitet sich die Nachricht im Dorf, María könne einen Film so bildhaft nacherzählen, dass es noch schöner sei als ein Besuch im Kino. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf…
Hernán Rivera Letelier hat einen sehr leichten, lockeren Schreibstil. Aufgrund der Ich-Perspektive kann man die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin erleben und man empfindet auf Anhieb Sympathie. Es ist ein Mädchen, das vor Selbstbewusstsein strahlt, das mit Energie und Enthusiasmus an das Erzählen von Filmen herangeht. Umso erschreckender sind die Schattenseiten, die aufgezeigt werden. Denn es ist längst nicht alles so schön wie es anfangs noch scheint, so unbefangen und locker. Zum Ende hin legt sich eine bedrückende Traurigkeit auf die Seiten, hält einen fest zwischen den Zeilen, wo sich noch so vieles mehr befindet. All das, was in den 107 Seiten nicht hätte untergebracht werden können.
„Die Filmerzählerin“ ist eine traurig-schöne Geschichte, die Kino im Kopf verursacht – mit Bildern, die einen so schnell nicht wieder loslassen.
Alexa
Titel: Die Filmerzählerin; Autor: Hernán Rivera Letelier; Übersetzerin: Svenja Becker; Verlag: Insel Verlag; Erscheinungsjahr: 2012
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