Dass Frauen strukturell benachteiligt sind, ist bekannt und wird immer wieder (von Frauen) zur Sprache gebracht – ändern tut sich wenig. Spätestens seit der Pandemie sind Schlagwörter wie „Mental Load“ und „Care-Arbeit“ und damit nicht nur Frauen, sondern speziell Mütter erneut stärker in den Fokus gerückt worden. Die zwei Titel „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ und „Die Wut, die bleibt“ sind in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedliche Bücher, thematisieren aber auf jeweils ihre Art die Mutterschaft der heutigen Zeit. Satzhüterin Pia hat beide Hörbücher mit großem Interesse gehört.
„Das Unwohlsein der modernen Mutter“
Eine leichte körperliche Beschwerde oder auch eine (subjektive) Wahrnehmung des eigenen gestörten Befindens, dessen Ursache es erst noch zu eruieren gilt: Ein Unwohlsein ist nicht direkt klar definiert, aber eine immerwährende latente Störung. Diese erst einmal im Zusammenhang mit „modernen Müttern“ komisch anmutende Begrifflichkeit, passt auf den zweiten Blick wie die bekannte Faust aufs Auge. Die Journalistin und Autorin Mareice Kaiser hat in ihrem Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ genau dieses Gefühl sehr genau beleuchtet.
Es geht um Emotionen, politische und soziale Rahmenbedingungen, um Assoziationen mit dem Bild der „idealen“ Mutter, die milde lächelnd sich selbst hintenanstellt, aber – sofern partnerlos – möglichst auch eine „Milf“ ist, kurz, es geht ins Eingemachte. Immer entlang Kaisers eigenem Status Quo, fächert die Autorin das breite Spektrum an Themen auf, das durch die 13 klar benannten Kapitel (beispielsweise „Die Arbeit“, „Das Geld“, „Die Psyche“, „Der Sex“) und die inhaltlichen Verknüpfungen übersichtlich bleibt.
Der Alltag ist getaktet, die innere To-Do-Liste ständig präsent, der Kopf macht keine Pause: Die Krux arbeitender (und – worst case – alleinerziehender) Mütter? Der Satz auf dem Cover „Ich möchte nicht überall nur halb sein, sondern ganz“ trifft den Nagel auf den Kopf, keinem Bereich wird man als arbeitende Mutter ganz gerecht. Wie stark dies strukturell bedingt ist – ob durch Arbeitsbedingungen, Betreuungssituationen, sozialen Benachteiligungen der Frau oder den zahlreichen anderen Aspekten, die hier zum Nachteil einer jeden Mutter gereichen – wird erst durch die komprimierten und auf den Punkt gebrachten Informationen dieses Buches so richtig deutlich.
Mareice Kaiser inkludiert andere Lebensrealitäten konsequent. Sie verweist darauf, wie viel schlimmer viele Situationen für gleichgeschlechtliche Elternpaare, trans Mütter oder behinderte Mütter sind. Sie macht vor Themen wie „regretting motherhood“ nicht Halt und beschränkt sich ebenfalls nicht nur auf die arbeitenden Mütter. Das Problem der modernen Mutterschaft ist derart vielfältig, dass es regelrecht beeindruckend ist, wie viel davon durch Kaisers Buch abgedeckt wird. Alles wird dabei durch weitere Zitate und Quellen gestützt (die Quellenarbeit habe ich an dieser Stelle aber nicht genau verfolgt – in einem Hörbuch ist dies schwieriger umsetzbar).
„Es muss akzeptiert sein, die eigene Ambivalenz anzusprechen und zu sagen: Ich liebe mein Kind und gleichzeitig ist alles ganz schön anstrengend und ich nicht immer glücklich. Denn das Unwohlsein resultiert auch daraus, dass gewisse Themen überhaupt nicht besprochen werden“, erzählt Kaiser sehr treffend – denn grundsätzlich wird mit dem Begriff „Mutter“ auch immer noch das Bild der vorherigen Generationen verknüpft. Und diese hat nicht „gejammert“, diese hatte noch weniger Rechte, noch veraltetere Vorbilder, noch stärkere Rollenbilder und sich all dem gefügt.
Sprachlich ist das Buch unaufgeregt, fokussiert und sehr gut lesbar, oder vielmehr hörbar. Auch nach einem langen Arbeitstag, der mit Care-Arbeit und zusätzlich belastendem Mental-Load auf- und überfüllt wurde, lässt sich das Hörbuch bei der abendlichen Einschlafbegleitung noch gut hören. Und das mag schon was heißen.
Das Unwohlsein der modernen Mutter. Mareice Kaiser. Gelesen von der Autorin. Rowohlt Verlag, Hörbuch exklusiv bei Audible Studios. 2021.
„Die Wut, die bleibt“
Abendessen. Vater, Mutter, drei Kinder. „Haben wir noch Salz?“, fragt der Mann. Eine dieser typischen, indirekten und passiv-aggressiven Handlungsaufforderung, wie (zumeist) Frauen sie von ihren Partner:innen häufig zu hören bekommen. Auch Helene handelt daraufhin, aber anders als Johannes es erwartete: Sie steht auf, geht auf den Balkon und stürzt sich zwölf Meter in die Tiefe. Ihr Tod hinterlässt die Familie und ihre Freundin Sarah in Schockstarre, Unverständnis und … Wut.
Mareike Fallwickel rechnet in „Die Wut, die bleibt“ unter anderem damit ab, wie viel unbezahlte Care-Arbeit besonders während der Pandemie auf Frauen abgewälzt wurde und wird. Und das macht sie radikal und aggressiv – der Roman hat es in sich, geht viele Schritte weiter, als sich andere trauen, und kritisiert mit einem Rundumschlag das patriarchale System.
Sarah, die Johannes‘ Ruf nach Hilfe folgt und ihn (mit einer Selbstverständlichkeit der anerzogenen Fürsorge und Pflichtbewusstsein einer Frau) mit den drei Kindern unterstützt, ist als erfolgreiche und kinderlose Autorin mit eigenem Haus und jüngerem Lover ein Gegenmodell zu Helene. Die Dreifachmutter geht während der Pandemie und diverser Lockdowns, in denen ihr Mann ihr weder im Haushalt noch mit den Kindern helfen kann (er muss schließlich arbeiten!), mehr als einmal über die eigene Kraft hinaus. Sie ist an die kleine Wohnung gefesselt, mit Kleinkind, Homeschooling, Haushalt, Forderungen und keinerlei Zeit oder Ruhe für sich selbst. Auch die jüngste Generation Frauen findet ihren Platz im Roman: Lola, Helenes älteste Tochter, ist 15 Jahre alt und entwickelt immer mehr eine unbändige Wut. Eine Wut auf die Generation ihrer Mutter und deren Freundin Sarah. Und eine Wut auf die eigene Ohnmacht gegenüber Männern. Sie und ihre Freundinnen machen einen Selbstverteidigungskurs und finden irgendwie sogar Spaß am Zurückschlagen.
Das Beispiel von Helene ist krass, man kann es nicht anders sagen. Es geht in allen Ecken und Enden um Feminismus (unterschiedlicher Generationen). Die zwei verschiedenen Erzählperspektiven – einmal Sarah, einmal Lola – sind zum einen ein spannender Blick von außen auf die Belastung Helenes und zum anderen machen sie die Ansichten zweier Frauengenerationen deutlicher – ein Aspekt, der mir am Buch besonders gefallen hat, weckt es doch auch neue Erkenntnisse gegenüber der Generation meiner Mutter.
„Die Wut, die bleibt“ demontiert festgefahrene Strukturen und Denkmuster, bereitet ein brandaktuelles Thema mit einer kontroversen Auseinandersetzung auf – durchaus ein Must-read, vor allem für Männer oder kinderlose Menschen.
Die Wut, die bleibt. Mareike Fallwickel. Sprecherinnen: Marie-Isabel Walke, Ulrike Kapfer. Argon Verlag. 2022.
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