Dracula, Dracula! (Teil I)

von | 30.10.2017 | #Todesstadt, Buchpranger, Specials

Blut saugen, durch einen Pflock sterben und in den Hals junger Frauen beißen – schon anhand dieser wenigen Merkmale weiß jeder, worum es sich handelt: Vampire, insbesondere Dracula. Erfunden wurde Graf Dracula von Bram Stoker. Von diesem Mythos geht wiederum eine ganze Epidemie von Vampirerzählungen aus. Aber auch Draculas Geschichte selbst wurde oft neu interpretiert. Geschichtenzeichnerin Celina geht dem auf den Grund und vergleicht Roman, Verfilmungen, Comicadaption und Parodie.

Bram Stokers originaler Dracula-Roman aus dem Jahr 1897 ist eine Ansammlung von Tagebucheinträgen und Briefen der Beteiligten sowie Zeitungsberichten. Diese Berichte bewegen sich alle um den Mythos Dracula und erzählen seine Geschichte aus Sicht des jeweiligen Verfassers. Der Roman wirkt wie eine Sammlung von Zeitzeugenaussagen. Am Anfang der Geschichte schreibt der Anwalt Jonathan Harker in sein Tagebuch. Darin wird erzählt, wie er aus geschäftlichen Gründen Schloss Dracula aufsucht, um mit dem Grafen Verträge für einen Wohnsitz in London abzuschließen. Schon hier berichtet er von merkwürdigen Begebenheiten, die sich im Schloss ereignen, und seiner Angst vor dem Grafen. Er erkennt die dunklen Machenschaften und beschließt zu flüchten.

Nach diesem recht langen Monolog wird zu Briefen von Wilhelmina ‚Mina‘ Murray – Hakers Verlobten – und ihrer Freundin Lucy Westenra gewechselt, in denen es unter anderem um den zukünftigen Ehemann Lucys geht. Lucy hat mehrere Bewerber um ihre Hand: Dr. John Seward, Lord Arthur Holmwood und Quincey P. Morris. Lucys Angewohnheit zu schlafwandeln, führt sie eines Nachts auf einen nahen Friedhof. Dort wird sie, sitzend auf einer Bank, von einem Geschöpf der Nacht gebissen. Daraufhin verschlechtert sich Lucys gesundheitlicher Zustand und der holländische Professor Abraham van Helsing wird gerufen.

Besonderes fällt auf, dass bis hierhin alle genannten Figuren entscheidende Rollen einnehmen. Dabei entsteht ein Wechselspiel zwischen Tagebucheinträgen, Briefen, Zeitungsberichten und sogar Logbucheinträgen eines Kapitäns. Alles baut schlüssig aufeinander auf.

Spezifische Romaneigenschaften

  1. Bram Stocker hat das Buch aus seiner Zeit herausgeschrieben. So sind vorherrschender Aberglaube, aber auch stark christlich geprägte Symbole im Text zu finden. Beispielweise das Kruzifix, welches zur Abwehr von Vampiren eigesetzt wird, steht sinnbildlich für den Glauben, der somit über das Böse – hier dem Vampirismus – triumphiert.
  2. Das Bild vom Vampir wird in diesem Roman so geprägt wie sonst nirgends zuvor. Besser gesagt: Hier werden die entscheidenden Merkmale und Legenden des Vampirismus zusammengetragen, die bis in die Gegenwart nachhallen. Ab diesem Roman entstand ein ganzer Kult an Vampir- und Werwolfs-Geschichten.
  3. Der Roman schafft es, authentisch zu wirken, durch die persönlichen Schriftstücke, die wie Zeugenaussagen erscheinen. Hinzu kommen die detaillierten Darstellungen, wie jene vom Leidensweg Lucys, bei welchem allerhand Symptome aufgezeigt werden.

Die Dracula-Verfilmung?

Über die Jahre hinweg gab es zahlreiche Dracula-Filmadaptionen – wie jene mit Filmlegende Christopher Lee – aber nur eine aus dem Jahr 1992 gibt sich den Namen „Bram Stoker’s Dracula“. Schon alleine mit dem Titel wird impliziert, sich besonders auf die Romanvorlage bezogen zu haben. In der ersten Sitzung, welche die Schauspieler mit dem Regisseur hatten, haben diese den Roman laut und in Rollen gelesen, um auf diesen bewusster eingehen zu können. Aber ist dies eine eins zu eins Romanverfilmung?
Es gibt durchaus Gemeinsamkeiten, aber ebenso Unterschiede zum Buch. Was nicht zuletzt auch damit zu tun hat, dass es sich um ein anderes Format – einen Film – zur Wiedergabe des Stoffes handelt. 

Gegenüberstellung

Im Roman steht der vampirisch-mysteriöse Fall im Vordergrund, während im Film der Graf selbst als Charakter genauer beleuchtet wird. Es kommt zur Verschiebung, sodass Dracula zum Hauptprotagonisten wird. Er bekommt daher die erste Szene des Films eingeräumt, in der seine Vorgeschichte erzählt wird. Dracula – ehemals der rumänische Fürst Vlad III. Tepes Dráculea – erfährt bei seiner Rückkehr von einer erfolgreichen Schlacht vom Selbstmord seiner Frau Elizabeta. Für die Kirche ist Selbstmord eine Sünde, wodurch ihr der Himmel versagt bleibt. Vlad fühlt sich von Gott betrogen und schändet einen Altar mit Blut, wodurch er zu ewigem Leben verdammt wird.

Der Film erzählt die Geschichte dramatischer als der Roman, in dem eine Liebesgeschichte zwischen Dracula und Elisabetha, seiner ersten Frau, sowie später Mina – welche Elizabeta zum Verwechseln ähnlich sieht – hinzugefügt wurde. Gleichzeitig erscheint Dracula menschlicher, weil er Gefühle zeigt. Die Rolle des Grafen wird zu einer, die zwischen Verzweiflung, Liebe und Blutdurst schwankt und mit Gary Oldman eine geradezu ideale Besetzung erhält. Wie man in „The Making of Bram Stoker’s Dracula Bloodlines“ sehen kann, ist diese emotionale Darstellung so gewollt. Die Verfilmung möchte mehr als ein Horrorfilm sein und Dracula tiefgehender als Person in Szene setzen, was durchaus gelungen ist. Vom Original hebt sich zudem Minas Rolle ab. Durch die eingebaute Liebesgeschichte scheint sie mehr hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu Dracula und zu Jonathan.

Eine Bezugnahme zu den Schriftstücken im Roman ist im Film zu sehen. An einigen Stellen werden beispielweise Jonathan Harkers aufgeschlagene Tagebücher oder Mina beim Schreiben an ihrem Tagebuch auf der Schreibmaschine gezeigt. Dabei wird auszugsweise der Text vom jeweiligen Charakter gesprochen. Allerdings ist dies hier, da es sich um das Medium Film handelt, nur eine Nebenerscheinung, aber dennoch eine Art kleine Hommage an den Roman.

Hinzufügend lässt sich noch sagen, dass ich, als ich den Film gesehen habe, teilweise verwirrt war, weil es manchmal etwas durcheinander ging. Hier und da entstanden für mich Fragezeichen, wo schlichtweg Übergänge fehlten. Im Roman wurde darauf geachtet, logische Schlussfolgerungen aufzuzeigen. Die Fragezeichen im Film könnten daher rühren, dass bei der anderen Art des Erzählens nicht darauf geachtet wurde die Lücken des Romans zu schließen. Im Roman ist es logisch, dass ein Aufbau aus verschiedenen Dokumenten und Sichtweisen Lücken aufweist, da eine Person nur ganz spezifische Momente wiedergeben kann. Daraus ergibt sich erst nach und nach ein Gesamtbild. Bei der Verfilmung jedoch wird Dracula von Vornherein an sich beleuchtet. So ist er zum Beispiel erst alt, dann ein Wolf und daraufhin ein junger Mann. Hier kann man sich fragen, wie das zu Stande kommt.

Einzigartige Frisur, Kostüme und Bühnenbilder

Solch eine Dracula-Frisur – hier ist die weiße Haarpracht des älteren Dracula gemeint – hatte man zuvor noch nicht gesehen. Die Frisur mutet etwas merkwürdig an, doch einen bleibenden Eindruck hinterlässt sie schon. Mal abgesehen von dieser Perücke weist der Film ein beeindruckendes Bühnenbild und aufwendig, detailliert designte Kostüme auf. Eiko Ishioka erhielt daher für das Beste Kostümdesign auch eine Oscarnominierung. Auffällig bei einigen Kostümen ist der Rückbezug auf den Wiener Maler Klimt. Dieser hat vieles im Jugendstil dargestellt und eines seiner bedeutensten Werke ist „Der Kuss“. Leider ist das Gewand, welches sich speziell auf dieses Werk bezieht, nur zwei Mal kurz im Film zu sehen: Zum einen, als sich Dracula aus seiner Gruft erhebt und zum anderen in der Endszene.

Weiterhin spielt der Film mit der Symbolik von Farben. Beispielweise trägt Lucy zu Beginn des Films relativ schlichte Kleider, aber in dem Moment, wo Dracula sie verführt, trägt sie ein orangerotes Kleid, welches einen Komplementärkontrast zur grünen Umgebung bildet. Sie wirkt so erotischer und wilder als zuvor. Eine spezifische Atmosphäre baut ebenfalls das Spiel mit Schatten auf. Bereits im Film „Nosferatu“ von 1922, mit Max Schreck in der Hauptrolle, wird ein legendäres Schattenspiel inszeniert. Auch „Bram Stoker’s Dracula“ taucht in diese Tradition ein. Bemerkenswert ist zudem, dass es für die Endszene zwei Varianten gibt. Diese verändern das Gefühl, mit welchem die Zuschauer aus dem Film entlassen werden. Um nicht zu viel vorweg zu nehmen: Die zweite Version kann auf YouTube im Video der Deleted Scenes angesehen werden.

Ein Fund aus der Todesstadt. Über Dracula gibt es noch viel mehr zu berichten. Seid gespannt auf den zweiten Teil von Geschichtenzeichnerin Celina und lasst euch bis dahin nicht beißen.

Illustrationen: Geschichtenzeichnerin Celina

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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