Eine zeitlose Geschichte

von | 12.07.2014 | Belletristik, Buchpranger

Vladimir Petrowitsch erinnert sich in späten Tagen an die zärtlichen Farben seiner ersten Liebe. Den Sommer 1833, er selbst zählte 16 Jahr, verbrachte die Familie auf dem Lande. Die Familie: bestehend aus Mutter, Vater, Kind, wird mit einer durchgehenden Kühle charakterisiert. Vladimir bereitet sich auf die Universität vor, ihm fehlt es an nichts, nur Zuneigung sind die Eltern nicht vermocht ihm zu geben, die er sich rasch in seiner neuen Nachbarin sucht, der fünf Jahre älteren Prinzessin Zasjekina. Sie bezog mit ihrer Mutter den nachbarlichen Flügel desselben Hauses. Aus einem verarmten Adelsgeschlecht stammend bezirzt sie tagtäglich sie verehrende Männer.

Vladimir aber bleibt für sie stets ein Kind, er selbst beginnt jedoch von der ersten Minute Feuer zu fangen und bemerkt rasch, wie sehr Leidenschaft Leiden schafft. Wie Wachs in ihren Händen formt die Prinzessin ihren Pagen und lässt ihn gar eine Mutprobe absolvieren, nicht ahnend, wie weit seine Liebe zu ihr reicht. Bei all den recht kindlichen Veranstaltungen zeigt sich für Vladimir bald, dass Zasjekina keine Kokette ist, nein, sie ist verliebt, doch leider wohnt der Glückliche den anderen Verehrern nie bei. Zunächst für niemanden ersichtlich, stößt der Leser recht schnell darauf, was es nicht weniger genüsslich macht, sondern die Tragik der Geschichte umso mehr erweitert.

124 Seiten, die sich schnell lesen und doch nicht den Eindruck erwecken, schnell vergessen wollen zu sein. Die Geschichte selbst zeigt keine Skandale, wie wir sie heute gewohnt sind, es zeigt sich nichts Neues, was nicht von vielen anderen schon aufgedeckt wurde. Dies ist keineswegs eine Kritik, sondern soll überleiten zu Turgenevs Sprache, die filigran ein goldenes Geflecht spinnt, was sich über die Protagonisten legt. Ein Sommertraum vergangener Jahre wird eindrucksvoll – nicht geschildert, sondern – erlebt. Bilder steigen auf und man erinnert sich unweigerlich an die eigenen ersten herzerwärmenden Erlebnisse mit dem anderen Geschlecht, wenn man spürt, wie Schmetterlinge oder wahlweise Ameisen in der Magengegend pulsieren, wie die Hände feucht werden, wie das Herz schnell und laut klopft, wie süß die Früchte der ersten Liebe schmecken. Wir erinnern uns gern. Und somit ist es trotz Rahmeninformationen eine sehr zeitlose Geschichte, die von der Atmosphäre lebt.

Eine rührende Vater-Sohn-Beziehung verdichtet den Konflikt, der Vater gibt sich unnahbar, während der Sohn liebeshungrig umherirrt: „Anfangs fürchtete ich mich zu springen, indes mein Vater verachtete zage Menschen, und so hörte ich auf, mich zu fürchten.“ Turgenevs Geschichte hätte keine Einleitung gebraucht, denn Vladimirs Erinnerungen leben auch gut allein, es hätte nicht einmal eine Handlung dazu gebraucht.

Ich stelle das Buch leise zurück, verharre einen Augenblick und genieße die Stille, wenn meine Gedanken sich allein formen müssen. Die Stille, wenn eine Geschichte endet und ihren Platz in die wohlsortierte Ordnung findet. Die Stille, wenn Protagonisten schlafen gehen und die Bilder verblassen.

Autorenportrait:
Ivan Sergejevich Turgenev wurde 1818 in Orjol geboren. Er studierte Literatur und Philosophie in Moskau, Sankt Petersburg und Berlin. Bevor er sich der Literatur zuwandte, war Turgenev kurzzeitig als Staatsbeamter in Sankt Petersburg tätig. Turgenev zählt zu den bedeutendsten europäischen Novellendichtern. Ab 1855 hielt er sich vorwiegend in Deutschland und Frankreich auf, wo er sich u.a. mit George Sand und Gustave Flaubert befreundete. Turgenev starb 1883 in Bougival bei Paris. (Quelle: Diogenes.de)

Nicole
urwort.com

Titel: Erste Liebe; Autor: Ivan Sergejevich Turgenev; Verlag: Diogenes; Erscheinungsjahr: 2009

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Ich habe Turgenev auch immer sehr gerne gelesen, leise und atmosphärisch dicht.
    LG Heidi

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  2. Avatar

    Ich werde dieses Buch noch unbedingt lesen – dann aber in Originalsprache…
    LG
    Tanja

    Antworten

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