In letzter Zeit scheint es gerade bei sogenannter „anspruchsvoller Literatur“ Mode zu sein, auf das gute alte Gänsefüßchen zu verzichten. Anführungszeichen, wenn man korrekt sein will. Wo sind sie nur hin? Ein Plädoyer für die Benutzung des Gänsefüßchens.
Während in der Schule für mich Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung noch unumstößlich waren, ist mir durch das Germanistik-Studium klar geworden, dass nicht nur der Wortschatz, sondern auch diese Teile der Sprache wandelbar sind. Sie alle beruhen nur auf Konventionen und manchmal ist es gut Konventionen zu überdenken und sie – nach der Überlegung – zu verwerfen. Sonst müsste ich Euch, verehrte Leser, immer noch mit Sätzen, welche zu lang sind, um von Eurem Gehirn, dem Meisterwerk der Natur, welche uns allen das Leben gab, das wir ehren wollen bis in die Abendstunde unseres Daseins, zur Gänze und ohne Komplikationen, welche Unverständnis und – in den ärgsten Fällen – Aggressionen bei Euch, geneigte Leser, hervorrufen können, aufgefasst werden zu können, zur Weißglut treiben.
Anhand dieses Satzes kann jedoch gut gezeigt werden, dass manche Konventionen auch nach reiflicher Überlegung beibehalten werden sollten. Ich denke, niemand käme auf die Idee, dort sämtliche Kommata zu entfernen, die als einzige etwas Orientierung bieten. Wie viele SMS von Personen, die noch nicht herausgefunden hatten, wie ein Handy Punkt und Komma schreibt, wohl für Missverständnisse gesorgt haben?
Auch Fragezeichen und Ausrufezeichen werden erfreulicherweise noch benutzt. Wie sähen unsere Texte wohl ohne sie aus? MAN MÜSSTE, UM KLARZUMACHEN, DASS EINE FIGUR LAUT SPRICHT, ALLES IN GROßBUCHSTABEN SCHREIBEN. Auf die Dauer etwas lästig und ablenkend, denn der Satz in Großbuchstaben erscheint im Vergleich viel wichtiger. Nicht umsonst wird in der Werbung oft damit gearbeitet.
Fuchs, du hast das Gänsefüßchen gestohlen.
Gib es wieder her!
Gib es wieder her!
Sonst wird dich der Leser holen, mit dem Schreibgewehr.
Sonst wird dich der Leser holen, mit dem Schreibgewehr.
Nun stellt sich mir die Frage: Wenn Autoren und Verlegern der Sinn dieser Satzzeichen klar ist, und sie sie – meistens zumindest – gekonnt einsetzen, wieso vernachlässigen sie dann das Gänsefüßchen so sehr? Während meines Leserlebens habe ich das Gänsefüßchen kennen und lieben gelernt. Es sagt mir: „Hier beginnt wörtliche Rede. Hier hört sie auf.“ Es zeigt mir, dass ein Dialog stattfindet, noch bevor ich ein Wort gelesen habe! Es leitet mich durch Figurenrede, wenn „er sagte/sie sagte“ es nicht mehr können, weil sie schon zu häufig aufgetreten sind. Doch am Gänsefüßchen kann sich das Publikum nicht sattsehen. Das Gänsefüßchen und ich, das ist wahre Freundschaft!
Und so erschreckt es mich, wenn ich wörtliche Rede ohne meinen Freund und Helfer sehe. Ich bin dem Text hilflos ausgeliefert und werde von Sätzen überschwemmt, die ich nicht zuordnen kann! Was hat A gesagt? Was hat B gesagt? Sind das die Gedanken von C oder fragt das A? Wo spricht der Erzähler, wo die Figur? Daher nun meine Bitte:
Verehrte Autorinnen und Autoren, Verlegerinnen und Verleger,
Sie wissen, Satzzeichen haben einen Sinn, wenn nicht sogar mehrere Sinne. Die meisten sind Ihnen bekannt und schon in Fleisch und Blut übergegangen. Kommata und Punkte, um Sätze zu unterteilen und verständlich zu machen. Fragezeichen und Ausrufezeichen, um Betonung und Ausdruck zu verändern.
Doch warum nur behandeln Sie das Gänsefüßchen so schlecht? Was hat es Ihnen getan? Das Gänsefüßchen hat Talent und möchte helfen, wo es geht! Es sorgt für Klarheit, bringt Ordnung ins Chaos, hilft beim Leseverständnis und bietet Ihnen Möglichkeiten, die Ihnen selbst mit Verben irgendwann nicht mehr offenstehen. Ich bin mir sicher, Sie alle haben nur gute Erinnerungen an das Gänsefüßchen.
Im Namen dieses treuen Freundes bitte ich Sie, vergessen Sie ihn nicht! Dabei ist es nicht wichtig, in welche Form Sie es bringen. Ob einfach oder zweigestrichen, ob nach französischer Art, gerade, gebogen oder tropfenförmig. Meinetwegen könnten Sie sogar die Anführungszeichen wie die Engländer immer oben setzen. Hauptsache Sie setzen Sie! Seien Sie kein diebischer Fuchs.
Mit freundlichen Grüßen
Ronja
Rechtsbeistand des Gänsefüßchens
Illustration: Ronja
Mir gefällt der Beitrag sehr gut, ist er doch ein schönes, wohgeschriebenes Plädoyer für einen nützlichen und auch aus typographisch gesehener Seite schönen Helfer der geschriebenen Sprache. Ich bevorzuge ja, auch in meiner privaten Korrespondenz, das Guillemet und weiß um seinen Platz in der Sprache.
Was aber derzeit in der Literatur passiert, würde ich als Experiment sehen, Perspektiven aufzubrechen. Mir liefen jetzt auch schon die einen oder anderen Bücher über den Weg, in denen wörtliche Rede dieserart nicht vorkamen. Entweder, weil die Hauptperson auch der Erzähler ist und seine Gedanken und Wahrnehmungen aufzeichnet oder weil man versucht, wie Du sagtest, die narrative Struktur zu verändern, vielleicht zu verwirren und das Chaos, was man vielleicht auch empfindet, wenn man mitten in einer Diskussion ist, zu verdeutlichen.
An sich muß ich sagen, wenn es konzeptionell stimmig ist, kann man das Experiment »Gänsefüßchenfrei« durchaus gut sein und den Leser auch fordern, aber wenn man es nur macht, um irgendwie herauszustechen, weil das ja so trendy ist, verfehlt es die Wirkung.
Viele liebe Grüße
Shaakai
Das stimmt vollkommen. Es gibt Ausnahmen, in denen fehlende Anführungszeichen nicht negativ auffallen. Meiner Meinung ist das immer ein Kompliment für den Text, denn es bedeutet, dass der/die Autor_in so gut geschrieben hat, dass das ganze Drumherum in Nichtigkeit verschwindet.
Als Anwältin des Gänsefüßchens muss ich jedoch sagen: Wenn es nicht negativ auffällt, dass es nicht da ist, dann würde es auch nicht negativ auffallen, wenn es da wäre. 😉
Stimme grundsätzlich zu – Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel. Bei „Die Straße“ zB. 🙂
Meinst du „Die Straße“ von Cormac McCarthy? 🙂
Aye, genau die. Ich finde, dass das Weglassen der Anführungszeichen in diesem Fall sozusagen zum Bouquet beiträgt. 😀
Ein sehr gut geschriebener Beitrag mit einem – wie ich finde – beachtenswerten Thema. Aktuell lese ich ebenfalls ein Buch, welches völlig ohne „Gänsefüßchen“ auskommt und das nicht mal schlecht. Es sind (wie schon erwähnt) die Aufzeichnungen des Protagonisten und der Autor versteht es sehr gut, die wörtlichen Reden so einzubinden, dass man sie auch ohne Anführungszeichen erkennt.
Aber, wie schon erwähnt wurde: Es gibt Ausnahmen. Und diese Ausnahmen sollten keinesfalls die Regel werden, denn diese Regel hat durchaus ihren Sinn.
Das ist auch etwas, was mich nervt. In manchen Büchern gibt es dafür noch eine Rechtfertigung, aber ansonsten scheint es einfach nur „in“ zu sein. Finde nicht, dass das in irgendeiner Weise innovativ ist…
Ich finde auch, dass das nicht immer passend ist und habe oft das Gefühl, dass dadurch „Anspruch“ erreicht werden soll, wo keiner ist. So manchem Buch hätten die Anführungszeichen gut getan, wenn nicht sogar den Lesegenuss gerettet. Ich sage da nur: der Verzicht auf Anführungszeichen macht Literatur nicht gleich „anspruchsvoll“.