Gedichte aus der Gedankenspirale

von | 28.06.2016 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

Tamara Ireland Stones Jugendroman „Mit anderen Worten: ich“ erzählt von der Macht des Schreibens und der Kraft der Worte. Das vielleicht ungewöhnlichste an der Geschichte: Die Protagonistin leidet unter Zwangsstörungen. Worteweberin Annika hat mit ihr die „Dichterecke“ besucht.

Sam, eigentlich Samantha, wirkt von außen wie ein normaler Teenager: Sie ist seit Ewigkeiten mit den beliebtesten Mädchen der Schule befreundet, immer super gestylt und noch dazu eine erfolgreiche Schwimmerin. Doch vieles davon ist nur Schein, denn Sam leidet unter Zwangsstörungen. Ihr Auto kann sie nur parken, wenn der Kilometerzähler hinten eine Drei anzeigt, immer wieder nagen zerstörerische Gedanken an ihr und ohne Schlaftabletten würde sie nachts kein Auge zu bekommen.

Ihre Therapeutin rät ihr schon lange dazu, sich andere, verständnisvolle Freunde zu suchen, doch das gelingt Sam nicht. Bis sie eines Tages Caroline trifft, die ihr etwas zeigen möchte, das Sams Leben verändern könnte: Eine geheime Dichterecke unter dem Schultheater und die Kraft der Worte. Hier verliebt sich Sam nicht nur ins Gedichteschreiben, sondern auch in den musikalischen AJ und findet langsam sich selbst. Doch nun prallen zwei Welten aufeinander – die Dichterecke und die glitzernde Prinzessinnenwelt ihrer Clique.

Mit anderen Worten_ichRealistische Schilderungen

Man merkt dem Roman an, dass Tamara Ireland Stone viel Zeit mit Recherchen zugebracht hat, was sie auch in der Anmerkung erklärt. Als bei einer Jugendlichen aus ihrem Bekanntenkreis eine Zwangsstörung diagnostiziert wurde, wurde Stones Interesse geweckt. Viele Eindrücke und Schilderungen dieser Jugendlichen scheinen auch in „Mit anderen Worten: ich“ eingeflossen zu sein. So gewährt der Roman realistische Einblicke in das Leben mit Zwangsstörungen, aber auch in das Leben als Teenager, was noch lange nicht selbstverständlich für einen Jugendroman ist. Verliebtheiten und Probleme mit den besten Freundinnen sowie die Angst vor der Zukunft werden hier ernsthaft thematisiert.

Im Handlungsverlauf kann, wer möchte, auch einige Schwächen ausmachen. Wieso zum Beispiel sollte ein Jugendlicher, der in seiner Kindheit auf Ärgste von einer Mitschülerin gemobbt wurde und ihretwegen sogar die Schule gewechselt hat, sich plötzlich holterdiepolter in sie verlieben, nur, weil sie ein Gedicht schreibt? Nun, vielleicht ist das die unerklärliche Macht der Liebe. Was jedenfalls positiv auffällt, ist, dass Stone es sich mit der Lösung des Romans nicht zu einfach macht. Die Entscheidung zwischen der Dichterecke und den zickigen Freunden könnte sehr oberflächlich und kurz abgehandelt werden. Hier wird sie aber sehr differenziert getroffen und bewertet.

Ein stimmiges Gesamtkunstwerk

„Mit anderen Worten: ich“ ist sehr stimmig: Sprachlich ist der Roman jugendlich, aber ohne sich anzubiedern oder auf sprachliche Bilder zu verzichten. Zudem spiegelt sich der Inhalt auch auf der Textoberfläche: Wer genau aufpasst, kann zum Beispiel in der Wahl der Kapitelüberschriften Sams Ticks wiederfinden. Die im Roman abgedruckten Gedichte und Songtexte, die von den Jugendlichen in der Dichterecke geschrieben werden, machen direkt Lust darauf, selbst etwas zu Papier zu bringen. Sie fügen sich wunderbar in die nachdenkliche Stimmung des Romans ein. Die Geschichte um Sam ist unterhaltsam, keine reine Liebesgeschichte, sondern eine tiefsinnige Erzählung von einem besonderen Mädchen.

Mit anderen Worten: ich. Tamara Ireland Stone.
Aus dem Englischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina. Magellan. 2016.

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir sind umgezogen!

Wir sind kürzlich umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner