Gerüchte und ein bunter Garten

von | 26.09.2017 | Belletristik, Buchpranger

In ihrem Haus mit Garten über dem Meer feiert ein junges Paar Feste, fährt Wasserski, hält ungewöhnliche Tiere, beherbergt Freunde. Ihr Gärtner beobachtet in „Der Garten über dem Meer“ von Mercè Rodoreda nicht nur den Trubel, sondern auch, was unter dem schönen Schein verborgen liegt. Worteweberin Annika hat den Roman gelesen, der vor einigen Jahren wiederentdeckt wurde.

Der Ich-Erzähler des Romans, ein Gärtner, lebt schon seit langer Zeit in einem kleinen Gartenhäuschen des Anwesens, kümmert sich um Lupinen, Lilien und Blattläuse, sammelt Saatgut und beobachtet die Pflanzen beim Gedeihen. Senyoret Francesc und Senyoreta Rosamaria sind längst nicht seine ersten Herren, und sie werden auch nicht die letzten sein. Doch für sechs Sommer verschlägt es das junge Paar aus Barcelona ins Haus am Meer, im Gepäck zahlreiche Freunde und abenteuerliche Ideen, aber auch einige Sorgen, denn die Ehe ist nicht glücklich.

Dann tauchen Fremde auf, als die Herrschaften gerade auf einem Ausflug sind. Der Gärtner bewirtet sie und erfährt so von ihrem Sohn Eugenie. Er war die erste Liebe von Senyoreta Rosamaria. Gegen ihr Herz entschied sich die junge Frau damals für Francesc, doch Eugenie schwor ihr, nach fünf Jahren zurückzukehren. Da die Eltern den Kontakt zu ihrem Sohn verloren haben, sind sie nun, kurz vor Ablauf der Frist, da, um Neues über ihn zu erfahren, doch weder der Gärtner noch Rosamaria können ihnen etwas erzählen. Kurz darauf ist es aber so weit, denn Eugenie zieht mit seiner neuen Frau im Haus nebenan ein.

Der Gärtner kann nur zusehen, wie nun alles aus den Fugen gerät. Als guter Beobachter und besonnener Mensch wird er von Eugenie, aber auch dessen Schwiegervater ins Vertrauen gezogen. Trotzdem steht er außerhalb der Verwicklungen, kann sich einiges nur zusammenreimen oder erfährt es aus zweiter Hand durch Gerüchte anderer Dienstboten. Seine Perspektive als Außenstehender macht den Roman besonders interessant. Der Gärtner blickt als Erzähler auf diese inzwischen schon lange vergangenen Sommer zurück, versucht sich zu erinnern und mischt in die Ereignisse um die Herrschaften Gedanken an seine eigene einstige Liebe. Dies alles erzeugt einen Sog, in den die Leser hineintreiben. Der Roman erstrahlt in einer schwülen, wehmütigen Stimmung und vermittelt gleichzeitig das Gefühl eines Sommertags am Meer.

1967 erschien „Der Garten über dem Meer“ in Spanien. Erstaunlich, dass es bis ins 21. Jahrhundert dauerte, dass der Roman seinen Weg in deutscher Übersetzung in die Buchläden fand. 2014 erschien der Roman in der ersten deutschen Ausgabe, nachdem Roger Willemsen ihn entdeckt hatte. Auch im Nachwort macht er sich für den Text stark, analysiert ihn und schwärmt. „Der Garten über dem Meer“ ist eine wunderbare Sommerlektüre, stimmungsvoll und reich an Andeutungen lädt sie dazu ein, mit dem Gärtner gemeinsam über das Leben der Herrschaften zu sinnieren.

Der Garten über dem Meer. Mercè Rodoera. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Roger Willemsen. Berlin Verlag. 2016.

 

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