„Gestern Nacht träumte ich, ich sei wieder in Manderley.“

von | 15.08.2024 | Belletristik, Buchpranger

Abgelegen an der Küste Cornwalls liegt das eindrucksvolle Anwesen Manderley, das auf den ersten Blick an ein verwunschenes Märchenschloss erinnert. Doch welche dunklen Geheimnisse verbergen sich in dem alten Gemäuer? Mit ihrem Roman „Rebecca“ gelingt es Daphne du Maurier, den düsteren, zerstörerischen und destruktiven Zügen des Menschen einen einzigartigen ästhetischen Ausdruck zu geben – so sieht das zumindest Bücherstädterin Luisa.

Der schaurig-hedonistische Psychothriller „Saltburn“ von Emerald Fenell kann inzwischen wohl zu einem der am kontroversesten diskutierten Filme des letzten Jahres gezählt werden. Nachdem ich den Film im Januar 2024 angeschaut hatte, entschloss ich mich dazu, einige der literarischen Werke zu lesen, von denen sich die Regisseurin in ihrem Film inspirieren ließ. Darunter auch: „Rebecca“ von Daphne du Maurier, ein Buch, welches sofort zu einem meiner Lieblingsbücher wurde. Der Roman erschien im Jahr 1938 und verhalf der Autorin unverhofft zum literarischen Durchbruch. Inzwischen gilt er schon längst als ein Klassiker der sogenannten Schauerliteratur (im Englischen: Gothic Novel), enthält jedoch auch Elemente eines Psychothrillers und eines Krimis – eine sehr gelungene Mischung, die wohl auch der Grund gewesen sein könnte, wieso Alfred Hitchcock das Buch 1940 verfilmte.

Die Handlung

Was anfangs wie eine recht harmlose Geschichte wirkt, entfaltet sich langsam, fast schon rieselnd in eine Geschichte über die Abgründe menschlicher Beziehungen. Die Erzählerin, ein (für uns) namenloses junges Mädchen, lernt während ihrer Arbeit als Gesellschafterin in Monte Carlo einen deutlich älteren, enigmatischen Mann kennen: Maxime de Winter, ein aristokratischer Witwer, in den sie sich prompt Hals über Kopf verliebt. Er erwidert ihre Gefühle und kurz darauf sind die beiden verheiratet.

Nach den gemeinsamen Flitterwochen soll das frischvermählte Paar auf den berühmt-berüchtigten Landsitz Mr. de Winters ziehen: Manderley, ein großes Anwesen, gelegen an der wetterumtriebenen Küste von Cornwall, England. Für die Erzählerin scheint das Glück vollkommen. Doch schon bald wird die neugefundene Seligkeit auf die Probe gestellt: Das Haus ist durchdrungen von den Abdrücken der verstorbenen ersten Ehefrau Maximes, Rebecca, die unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist. Das Personal und allen voran Mrs. Denver, die Haushälterin, behandelt die „neue Mrs. de Winter“ abschätzig und kalt und zu allem Überfluss entfremdet sich Maxime immer mehr von ihr.Während die Protagonistin immer weiter in den Schatten Rebeccas rückt, beginnen die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit die idyllische Harmonie der Eheleute zu zerfressen.

Ein Alptraum wird langsam Wirklichkeit

Das Anwesen, Manderley, spielt dabei in dem Buch eine zentrale Rolle und baut sich als typisches Element eines Gothic Novels auf: Direkt am Meer gelegen und umschlossen von weitläufigen Wiesen, Feldern und Wäldern bildet es den düsteren und bedrückenden, aber sehr atmosphärischen Hintergrund der Geschichte. Das Haus ist umgeben von einer feindseligen Atmosphäre, was sich den Leser*innen auf unterschiedlichen Ebenen zeigt: Durch die Dienerschaft, die Manderley im Hintergrund verwaltet und so ständig präsent ist, verfügt das Haus über einen gespenstischen Mechanismus des eingebauten Voyeurismus. Überall gibt es Augen und Ohren, was dazu führt, dass sich die Erzählerin ständig beobachtet und dem Urteil der Dienerschaft hilflos ausgesetzt fühlt. Unkontrolliert und unvorbereitet rutscht sie schon nach kurzer Zeit in einen klaustrophobischen Totalverlust wirklicher Privatsphäre.

Zudem scheint das Anwesen seine eigene intrinsische Logik zu haben, mit einem strikt geregelten Tagesablauf, Gepflogenheiten und Ritualen, die die Erzählerin weder kennt, noch versteht. Man klärt sie anscheinend nur widerwillig auf und auch ihr Ehemann distanziert sich seit ihrer Ankunft auf dem Anwesen unerklärlicherweise immer mehr von ihr, so dass sie völlig auf sich allein gestellt ist. Langsam rutscht sie, trotz ihrer Position als Herrin des Hauses, in den totalen Autonomieverlust und ist gezwungen, sich dem Rhythmus des Hauses zu unterwerfen. Rebecca ist hierbei omnipräsent und der ständige Hinweis auf sie (vor allem von Seiten der Dienerschaft á la „Zu ihrer Zeit pflegte Rebecca es, das so und so zu tun“) drängt sie in eine Rolle als Eindringling, ihr Leben wirkt in der ersten Zeit auf Manderley fast schon parasitär. Vor allem Mrs. Danver, die Haushälterin, scheint Rebecca beinahe abgöttisch zu verehren und manipuliert die Erzählerin gezielt, um so ihr Gefühl der Unterlegenheit gegenüber Rebecca zu verstärken. Das Anwesen Manderley erinnert so an ein undurchsichtiges Labyrinth, dem die Protagonistin hilflos ausgesetzt ist.

„Wo ich in Manderley auch ging und stand, selbst in meinen eigenen Gedanken und Träumen begegnete ich Rebecca (…) Rebecca, immer wieder Rebecca. Ich würde Rebecca niemals loswerden“. (S. 326 f.)

Das ist, wie ich finde, stilistisch sehr gut gemacht, denn das Grauen wird quasi durch das Haus und das dazugehörige Anwesen vermittelt. Manderley ragt drohend vor uns auf und versperrt dem/der Leser*in, sowie der Protagonistin den Blick auf ihre zuvor noch so rosengetränkte Zukunft.

Interessant ist vor allem, wie die Geschichte aufgespannt ist, wie die Hauptpersonen miteinander verbunden sind und dass eine Tote, nämlich Rebecca, den Mittelpunkt des Buches darstellt, ohne dass wir sie je „persönlich“ kennenlernen – Rebecca scheint in dem Anwesen Manderley verkörpert zu sein. Im Verlauf der Geschichte erfahren wir immer mehr über diese enigmatische Person, was auf irritierende und beunruhigende Art und Weise dazu führt, dass Rebecca schleichend zu einer Art zweiten Hauptprotagonistin wird, die die Erzählerin zu verdrängen scheint, hinter der sie langsam verschwindet und unsichtbar wird.Es liest sich fast so, als würde sie lebendig begraben werden.

Stilistisch interessant ist hierbei auch, dass wir Rebeccas Namen fast sofort erfahren (zudem ist er titelgebend), von der Erzählerin aber nur ihren neuen Nachnamen, Mrs. de Winter, den Namen, den auch Rebecca trug. Ihr Vorname findet keine Erwähnung und auch sonst wissen wir so gut wie nichts über ihr Aussehen – und wenn, dann nur im (meist abwertenden) Vergleich mit Rebecca (die Erzählerin ist zum Beispiel kleiner und schmächtiger als Rebecca es war). Die Geschichte setzt zudem erst wieder ein, als die Eheleute auf Manderley eintreffen, auf eine Beschreibung der Hochzeit und Flitterwochen wird verzichtet, was die Bedeutung des Anwesens noch einmal unterstreicht. Am Ende musste Rebecca sterben, weil sie ihr „wildes“ Leben nach Manderley getragen hat – und erst eine grausame Enthüllung ändert den gesamten Verlauf der Geschichte für die Erzählerin.

Kritik

Immer wieder stellten sich mir als Leserin die Fragen: Wem sollen wir glauben? Wie war Rebecca wirklich? Wer war sie? Die Autorin eröffnet hier eine vielschichtige und facettenreiche Perspektive. Wir sehen Rebecca wie durch verzerrte Spiegel, wir kennen sie nur durch teils widersprüchliche Erzählungen und können sie so nicht richtig greifen. Sie ist wie ein (böser?) Geist, der in Manderley sein Unwesen treibt. Trotz ihres Todes scheint Rebecca weiterhin die Fäden der Geschichte zu ziehen…

Das Buch irritiert, verunsichert und verschreckt. Daphne du Maurier schafft es hier, auf subtile Weise eine Geschichte zu erzählen, die sich wie ein böser Alptraum spinnennetzartig vor uns ausbreitet. Die Autorin greift dabei Themen von Eifersucht, Unsicherheit, Identität, Selbstwert und Liebe auf und verknüpft diese auf einzigartige Weise zu einer fesselnden Geschichte.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass das Buch teilweise zu detailreich geschrieben worden ist und sich so vor allem Landschaftsbeschreibungen unnötig in die Länge ziehen. Auf der anderen Seite sind es aber eben diese detaillierten Beschreibungen, die vor allem dem Anwesen seine düstere Atmosphäre verleihen, die Szenerie vor dem inneren Auge lebendig werden lassen und dafür sorgen, dass sich die Spannung langsam bis zum Zerreißen aufbaut.

Sehr erinnert hat mich diese Geschichte auch an das Buch „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë, ein weiterer Klassiker der Schauerliteratur, von dem sich du Maurier sicherlich hat inspirieren lassen. Vor allem zu Beginn liest sich das Buch durch das langsame Tempo aber zum Teil sehr schleppend und zäh. Dank Daphne du Mauriers Erzählkunst und ihrer lebendigen, vielschichtigen Beschreibung der Protagonisten wurde dem Buch meiner Meinung nach trotzdem zu Recht der Status als Klassiker anerkannt, welcher auch noch Jahrzehnte später und über Generationen hinweg mit der Leserschaft resonieren kann.

Rebecca. Daphne du Maurier. Übersetzerin: Brigitte Heinrich. Insel Verlag. 2016.

Luisa Rinsch

Luisa Rinsch

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