In Schreibgewittern mit Corinna Gerhards

von | 31.05.2018 | Buchpranger

Das Bremer Viertel. Eine gemütliche, kleine Küche in einem typischen Bremer Altbau. Satzhüterin Pia war zu Besuch bei Corinna Gerhards. Den Lebenslauf lesend könnte man mit einem alten Menschen rechnen, der viele Jahre hatte, im Leben einiges auszuprobieren und zu erleben. Corinna Gerhards hat dies in sehr viel kürzerer Zeit geschafft.

„Ich bezeichne mich als Autorin, weil ich vom Schreiben und Lesen leben kann.“

Corinna ist mir nicht unbekannt. In meinem Bachelorstudium lernte ich die energiegeladene, große Frau mit den schwarzen Haaren durch ihr General-Studies-Seminar mit dem Titel „Kreatives Schreiben: In Schreibgewittern“ kennen. Der Kontakt besteht bis heute. In Schreibgewittern, das trifft den Nagel auf den Kopf.

Ein herzliches Lachen auf meine Frage nach ihrem Lebenslauf: „Wie viel Zeit hast du denn?“ Ich werde neugierig und bitte um die Kurzfassung, die mich beeindruckt: Tischlerin, Maschinistin, freischaffende Künstlerin durch Europa reisend, Deutschlehrerin in einer amischen Schule in Michigan/USA, Projekt- und Teamleiterin in der Marktforschung, Selbstständige im Einzelhandel, Studentin der Germanistik, Kulturwissenschaften und Philosophie, Lehrbeauftragte und Dozentin der Uni Bremen, Redakteurin, freischaffende Autorin und Drehbuchautorin, außerdem Mutter. „Ich kann nur so schreiben, wie ich jetzt schreibe, eben weil ich so viel gemacht und gesehen habe“, erzählt sie mir und ich glaube es sofort. 2011 veröffentlicht sie ihr Kinderbuch „Mondläufer“ und bekommt das Autorenstipendium Bremen.

„Hier habe ich das erste Mal gemerkt, dass ich auch ein Buch schreiben kann.“

Gleichzeitig kommt sie von der Idee „Journalismus“ ab. Auf Dauer ist die Arbeit für Corinna doch zu eintönig, die Texte sollen zu sehr fremdbestimmt geschrieben werden, als dass sie es in Vollzeit machen möchte.  Die Zahl der Autorinnen und Autoren, die durch Veröffentlichungen leben können, ist jedoch verschwindend gering. „Dann bekam ich von Ute [Siewerts, Anm. d. Red.] den Tipp, beim Drehbuchseminar mitzumachen, was ich erst ganz furchtbar fand. Es war so anders als alles, was ich bisher gewohnt war zu schreiben“, erinnert Corinna sich. Die Bremer Universitätslektorin mag bei Corinna mit ihrem Vorschlag nicht sofort auf Begeisterung gestoßen sein, soll aber Recht behalten. Es folgen weitere Seminare in Berlin und es macht nicht nur immer mehr Spaß, sondern es lässt sich auch Geld damit verdienen.

Ihre kritische Art kann sie als Manuskriptkritikerin ausleben und erzählt von einer kurzen Zeit der Hemmung: „Bekommen das die Autoren eigentlich auch zu lesen? – Nein. – Oh, gut, dann kann ich ja so weiterschreiben.“ Sie lacht und dreht sich noch eine Zigarette.

„Deadlines diktieren oft den Tag.“

„Die eigene Organisation ist schwierig. Die krasse Struktur des Tages fehlt bei mir, aber es funktioniert für mich einfach nicht. Stattdessen diktieren Deadlines oft den Tag. Und die eigene Stimmung, die mir sagt, worauf ich gerade Lust habe“, verrät Corinna mir. Eine Situation, mit der sich viele Studierende identifizieren dürften, denn auch hier gilt es, sich selbst bestmöglich im Homeoffice zu strukturieren. „Ich muss mich auch sehr nach Jonas richten.“ Ihr 15-jähriger Sohn schaut während des Interviews immer mal in der Küche vorbei. Ganz wie seine Mutter ist auch er kreativ und sammelt bereits erste Erfahrungen im Filmgeschäft.

Eines der gemeinsamen Kurzfilmprojekte entstand von der Idee bis zur Vollendung in 99 Stunden: „Sunscream“, ein No-Budget-Projekt, geschaffen von vier Personen. „Ich habe mit einem Freund ‚Nosferatu‘ gesehen und wir mussten dazu einfach einen Kurzfilm machen“, lacht Corinna in Erinnerung an den witzigen 3-Minuten-Film über Vampire, die heutzutage schnell von Vereinsamung und Depression betroffen seien, aber eigentlich nur ein ganz normales Leben führen wollen. Noch gibt es keinen fertiggestellten Spielfilm aus der Feder der 39-Jährigen. „Langfilmprojekte dauern halt so lange, von Idee über Entwicklung bis zum fertigen Film kann es zwischen vier und sieben Jahren dauern“, erklärt Corinna. Kurzfilme bringen viel schneller Ergebnisse, weswegen sie diese immer wieder und wieder gerne mache. Auch wenn es ein No-Budget-Projekt wie ‚Sunscream‘ ist. Obwohl, No-Budget stimme nicht ganz: „Wir haben ein billiges Vampir-Gebiss gekauft.“

„Ein Vollzeitkreativer-Tag liegt eigentlich bei etwa 4,5 Stunden.“

Stattdessen kommt Corinna oft auf 15 Stunden-Tage. „Der Alltag ist Arbeit, Wochenenden habe ich nicht. Manchmal habe ich dennoch das Gefühl, ich arbeite gar nicht richtig.“ Deswegen beginne sie den Tag auch lieber mit den Händen, bevor dann der Kopf dran sei. Nur mit dem Haushalt prokrastiniere sie leider nicht – und sieht sich lachend in der Küche um. Ich mag die künstlerisch anmutende Küche auch mit den drei Spinnweben an der hohen Decke.

Aus den Serien und Filmen, die sie während handwerklicher Tätigkeiten schaut, nimmt sie viele neue Impulse mit: „Es geht einfach darum, neue Welten aufzumachen. Nicht darum, Szenen zu übernehmen.“ Und was braucht es noch, um all der geforderten Kreativität nachkommen zu können? „Viele Weinabende mit Freunden!“, grinst Corinna und wird wieder ernster. „Ganz wichtig ist das Herumspinnen mit Freunden. Zum Dranreiben. Man braucht einen ‚Sparing-Partner‘, der mitmacht und dich weiterbringt.“

„Beim U-Bahnfahren in Berlin findet man die besten Charaktere.“

Einmal sei sie dafür extra Runden gefahren, auf dem Schoß immer das obligatorische Notizbuch liegend. Ich will schon mit der nächsten Frage weitermachen, als Corinna noch was einfällt: „Ach ja! Und Yahoo News! Wenn du mal einen Krimi schreiben willst, schau auf die Yahoo News.“ Ein Blick auf besagte Internetseite zeigt: Dieser Tipp ist erschreckend gut!

Jetzt habe ich also erste Ideen – und nun? Was müssen angehende AutorInnen oder DrehbuchautorInnen denn eigentlich mitbringen? Die Antwort folgt unmittelbar auf meine Frage: „Man muss gucken können. Man muss die Geschichten sehen können. Das Gespür für Wörter kann man lernen, die Menschen auf der Straße, die kleinen Szenen, die muss man sehen können. Man muss rausgehen und die Geschichten einfach sehen können.“ Und genau so habe es bei ihr begonnen. „Ich habe angefangen zu schreiben, weil ich nicht malen kann. Ich habe die Geschichten gesehen, aber ich konnte nur das Abbild malen. Beim Schreiben bekomme ich diese zweite Ebene, das was eigentlich hinter dem liegt, was man offensichtlich sieht, hin. Da wurde mir klar, dass das meine Kunst ist.“

Ich merke Corinna an, dass sie sich darüber schon häufiger Gedanken gemacht hat. Das Thema ist ihrs! Ihre Motivation? „Ein bisschen auch, um die Welt zu verändern und wenn es nur ein kleines bisschen ist. Der Gedanke daran, etwas in Menschen bewegen zu können. Und wenn es nur ein Kind ist, was meine Geschichte liebt. Dann habe ich es schon geschafft.“ Und im Film sei das natürlich noch intensiver.

„Ich habe neben Heike Makatsch gepinkelt.“

Apropos Film. Wenn man regelmäßig auf großen Filmfestivals herumläuft, gibt es doch sicherlich schöne Anekdoten, oder? „Puh!“, ist die spontane erste Reaktion von Corinna. Sie lehnt sich auf dem niedrigen, gepolsterten Stuhl zurück und überlegt. „Ich renne regelmäßig Tom Schilling um. Er ist aber auch soooo klein und einfach auf jeder Party.“ Ihr entschuldigender Blick bringt mich erneut zum Lachen. Aber alles in allem sei es irgendwann einfach sehr normal, all diesen kleineren und größeren Prominenten zu begegnen. Und nicht weniger spannend seien die vielen Begegnungen mit Autorinnen und Autoren: „Irgendwann mach ich noch mal ‘ne Reihe ‚Auf ein Bier mit…‘, weil ich schon mit so vielen Autoren einen trinken war.“ Bei einer Lesung von Kai Meyer im März 2014 zu seinem Buch „Phantasmen“ wäre ich beinahe noch mitgegangen. Es scheint eine lustige, lange Nacht geworden zu sein. Ärgerlich für mich!

Vermutlich hat auch die eine oder andere Begegnung dieser Art für Inspiration von Figuren gesorgt. Gibt es aktuell eine Lieblingsfigur? Auch hier muss Corinna erst überlegen: „Ich arbeite an so vielen Projekten gleichzeitig, dass ich manchmal sogar die Figuren durcheinander bringe. Die leben alle in deinem Kopf!“ Besonders gerne habe sie aber nach wie vor die Figur „Dschäck Ohnebohne“ aus ihrer Fortsetzungsgeschichte in der „Kinderzeit“.

„Leidenschaft, Spaß, man muss es wirklich wollen!“

Ein eigenes Buch zu schreiben ist der Traum vieler Menschen. Der Gedanke, einen besseren als den letzten, enttäuschenden Film zu schreiben, kommt so ziemlich nach jedem schlechten Kinobesuch auf. Wie oft mokiere ich mich selbst über grausige Dialoge! Und trotzdem: Warum schreibt man dann doch wieder kein Buch? Ich frage nach Tipps, die ich auch bekomme: „Einfach machen. Nicht irgendwann mal, sondern machen. Den Zensor ausstellen, einfach mal was runterschreiben und Verbesserungen erst danach angehen. Zuerst muss man die Illusion der Perfektion von Anfang an loswerden.“ Eine Variante, seine Hemmungen abzustellen und den Gedankenstrom zuzulassen, ist der „NaNoWriMo – der National Novel Writing Month“, also in einem Monat, genauer im November, ein Buch zu schreiben. Bei durchschnittlich 1.667 Wörtern am Tag kann man es sich nicht leisten, über jeden Satz lange nachzudenken. Und genau das ist auch der Sinn dieses kreativen Schreibprojekts: Einfach losschreiben.

„Nicht alle finden alles gut.“

Um die Motivation nicht zu verlieren, gibt Corinna noch einen Tipp: „Man sollte sich nicht zu sehr von anderen Menschen herunterreden lassen. Nicht alle finden alles gut. Es muss dir gefallen.“ Und niemals das Notizbuch vergessen! An diesen Tipp erinnere ich mich selbst noch aus ihrem Seminar vor zwei Jahren. Genauso wie die kleinen, wenige Minuten umfassenden Schreibübungen zu einem bestimmten Begriff. Hierbei gilt es, den Kopf aus-, den Stift einzuschalten. Es geht darum, sich in Schreibgewitter fallen zu lassen. Die Worte, von denen man nicht einmal weiß, dass sie in einem stecken, herauszulassen. Ob quantitativ oder doch qualitativ ausgerichtet: Corinna Gerhards lebt in Schreibgewittern.

Auf dem Bremer Filmfestival am 24. und 25. September konnten Zuschauer den siebenminütigen Film „Hold it (AT)“ von Corinna in der Kategorie „Kurz & Gut, Teil 1 – Kurzfilme bis 15 Minuten“ erleben. Bei der deutsch-ukrainischen Produktion übernahm sie zusätzlich zum Drehbuch neben Leon Pietsch die Regie. Außerdem kann man ihre Arbeit bald bei „Siebenstein“, einer TV-Kinderserie vom ZDF, wiederfinden. Corinna bekam den Zuschlag für einen Animationsfilm in einer Folge. Sicherlich inspiriert und berührt sie damit noch die eine oder andere Kinderseele: „Denn du weißt nie, wo die Geschichte noch hinkommt.“

Dieser Beitrag ist erstmals im Unimagazin ScheinWerfer erschienen.

Fotos: privat

 

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