Egal, wie lange man schon Spiele entwickelt, jedes neue Spiel hat zahlreiche ungeahnte Herausforderungen. Es gibt einen Spruch unter Spieleentwicklern: „Die zweiten 80% einer Spieleentwicklung sind immer die schwierigsten.“
Jan Theysen ist einer der beiden Gründer und Creative Director des unabhängigen Bremer Spieleentwicklers KING Art Games. Bekannt sind diese durch Point and Click Adventures wie „The Books of Unwritten Tales“ oder zuletzt „Die Zwerge“. Satzhüterin Pia stellt Jan Fragen zu Videospielen, Literatur und der Entwicklung von Spielen.
Bücherstadt Kurier: Jan, vielen Dank, dass du dich unseren Fragen stellst. Bitte stell uns KING Art doch mal vor.
Jan Theysen: KING Art ist ein Computerspiele-Entwickler aus Bremen. Uns gibt es jetzt seit 17 Jahren und wir haben bis heute über 40 Spiele für PC, fast alle Spielekonsolen und für mobile Geräte veröffentlicht. Unsere Spezialität sind sogenannte „story-driven games“, also Spiele, in der die Spieler eine Geschichte erleben.
BK: Eure bekanntesten Spiele sind die „The Books of Unwritten Tales“-Spiele sowie „Die Zwerge“ – sie haben auf ihre Art einen Bezug zur Literatur. Inwiefern ist die Verbindung von Videospielen und Literatur ein Thema für euch?
JT: Es gibt natürlich Spiele, die ohne Geschichten auskommen. Aber für die Art von Spielen, die wir machen, ist eine packende interaktive Handlung wichtig. Geschichten und interessante Charaktere helfen, Spieler bei Laune zu halten und die Basis dafür können natürlich – wie beim Film – Romane sein.
Ab und zu halten sich Spiele nah an literarische Vorlagen, aber üblicher ist es, lediglich, die Welt und Charaktere einer Romanwelt zu übernehmen und eine eigene Geschichte zu erzählen. Fluch und Segen von interaktiven Spielen ist ja, dass die Spiele im gewissen Umfang selber entscheiden wollen, wie die Geschichte abläuft, und je stärker man da aufgrund einer Vorlage eingeschränkt ist, desto komplizierter wird das.
BK: Wenn eigene Spiele entworfen werden, werden neue Geschichten geschrieben. Bei „The Books of Unwritten Tales“ zum Beispiel warst du der Autor. Besonders die witzigen Dialoge fallen auf. Wie ist der Entstehungsprozess eines solchen „Drehbuchs“ für Spiele?
JT: Am Anfang schreiben wir einen groben Ablauf: Was soll wann und wo passieren? Wer sind die wichtigsten Charaktere und welche Motivation haben sie? Und – ganz wichtig – was ist die Aufgabe des Spielers bei alldem. Welche Informationen geben wir ihm wann und was kann er im Spiel anstellen?
Sobald dieser grobe Plan steht, machen wir uns an einen detaillierteren Ablauf, der aber immer noch ohne echte Dialoge auskommt. Wir legen fest, welche Aufgaben der Spieler wie präsentiert bekommt und was er genau tun muss. Je nach Spiel werden hier auch die Gags geschrieben und vor allem wird geklärt, welche verschiedenen Abläufe der Geschichte wir erlauben wollen. Man kann sich das vorstellen wie ein „Choose your own adventure“ Buch. In einem Spiel kann der Spieler erst Objekt A nehmen und dann mit Charakter B sprechen oder er kann erst mit Charakter B sprechen und dann Objekt A nehmen. Je nachdem für welche Reihenfolge sich der Spieler entscheidet, müssen die Geschichte oder zumindest einzelne Texte angepasst werden.
Der dritte Schritt ist dann das Schreiben der eigentlichen Texte und Dialoge. Dabei hangelt man sich an den ganzen Eventualitäten entlang, die man im zweiten Schritt festgelegt hat. Die Kunst ist, eine Geschichte so zu schreiben, dass sie immer Sinn ergibt, egal in welcher Reihenfolge sie erzählt wird. Denn genau das, die Reihenfolge von Ereignissen, wird in Computerspielen häufig nicht vom Autor, sondern vom Spieler festgelegt.
BK: Vor welche Herausforderungen stellt es einen Spieleentwickler, wenn es darum geht eine Buchvorlage wie bei Heitz‘ „Die Zwerge“ umzusetzen?
JT: Der große Vorteil einer erfolgreichen Buchvorlage ist, dass man die Welt, die Charaktere und die Handlung nicht selber entwickeln muss und sich sicher sein kann, dass diese Elemente vielen Leuten gefallen – immerhin haben sie schon im Roman „funktioniert“.
Der Nachteil ist, dass ein Buch eine andere Struktur und andere Erzählformen als ein Spiel haben kann. In einem Buch ist es zum Beispiel kein Problem, ständig zwischen verschiedenen Handlungssträngen hin und her zu springen oder auch mal „in den Kopf“ eines Charakters zu schauen, um seine oder ihre Gedanken zu offenbaren. Im Spiel erzählen wir eine Geschichte eher visuell und meistens will man nur EINE Spielfigur haben, die der Spieler direkt steuert.
Ein weiteres potenzielles Problem: Wenn man einfach die Geschichte des Buches nacherzählt, könnten einige Fans des Buches das als langweilig empfinden. Wenn man sich zu weit vom Buch entfernt, wird das vielleicht als Etikettenschwindel wahrgenommen.
Wir haben das Problem bei „Die Zwerge“ so gelöst, dass die Haupthandlung des Spiels im Wesentlichen der Geschichte des Buches entspricht (wenngleich man auch leicht davon abweichen kann), wir aber zusätzliche Nebenhandlungen eingeführt haben, die auch für Fans des Buches neu waren.
BK: Welche Bereiche oder Aufgaben stellen einen kleinen Spieleentwickler vor ungeahnte Herausforderungen? Und wie geht ihr damit um?
JT: Spieleentwicklung ist sehr schwer. Tatsächlich ist die Entwicklung eines großen Spiels vermutlich das komplexeste Unterfangen, das man im Unterhaltungssektor angehen kann. Auf einen Spieleentwickler warten so ziemlich alle Herausforderungen, denen sich auch ein Filmemacher stellen muss. Zusätzlich kommen bei uns aber noch Interaktivität und hochkomplexe technische Aspekte hinzu.
Egal, wie lange man schon Spiele entwickelt, jedes neue Spiel hat zahlreiche ungeahnte Herausforderungen. Es gibt einen Spruch unter Spieleentwicklern: „Die zweiten 80% einer Spieleentwicklung sind immer die schwierigsten.“ Man denkt, man hätte eine Nuss geknackt und liegt gut im Zeitplan, doch dann kommen plötzlich die Probleme…
Aber letztlich ist das auch einer der Gründe, warum es so viel Spaß macht, Spiele zu entwickeln. Spieleentwickler sind Problemlöser. Ihnen macht es Spaß, immer neue, immer größere Herausforderungen anzunehmen.
BK: Wie sehen eure aktuellen Projekte aus? Auf was dürfen wir uns freuen?
JT: Wir arbeiten zurzeit an einem noch nicht angekündigten storylastigen Spiel. Wir können dazu noch nicht viel sagen, außer, dass es gruselig werden wird. Das zweite Spiel, an dem wir zurzeit arbeiten, ist ein Strategiespiel auf Basis der alternativen Realität von 1920+. Das ist eine Welt, die ungewöhnlicher Weise ihren Ursprung nicht im Literarischen hat, sondern auf den Gemälden des polnischen Künstlers Jakub Różalski basiert. Jakub hat eine Welt ersonnen, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einen anderen Weg eingeschlagen hat als unsere Welt und hat dazu eine Reihe faszinierender Bilder gemalt. Wir erarbeiten nun zusammen mit ihm die dazugehörige Welt und machen ein Spiel daraus.
BK: Wenn ihr es euch aussuchen könntet, welches Buch oder auch Thema würdet ihr dann gerne als Videospiel umsetzen?
JT: Es gibt eine ganze Reihe von Romanen, Romanserien oder Welten, die sich gut für Spiele eigenen würden. Hoch auf der Liste stehen natürlich Fantasy-Welten wie „Der Herr der Ringe“ oder „Harry Potter“. Natürlich gibt es bereits Spiele dazu, aber aus beiden Welten ließe sich noch eine Menge herausholen. Spannend können auch „Whodunnit“-Krimis sein. Wir haben vor einigen Jahren mit „Der Rabe“ ein Spiel in der Tradition eines Agatha Christie Romans entwickelt.
BK: Abschließend gibt es auch für dich noch unsere Spezialfrage: Wenn du ein Buch wärst, welches wäre das?
JT: Ein Jugendroman. Etwas mit Abenteuern und cleveren Kids. „Die drei ???“, „To Kill a Mockingbird“ oder „Tom Sawyer“? Oder „Peter Pan“. Ein Haufen Leute, die nicht erwachsen werden wollen und Spiele entwickeln.
BK: Vielen herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick in die Welt der Computerspiele!
Foto: privat
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