Kafka im Comic – düster, ergreifend, humorvoll

von | 03.06.2024 | Buchpranger, Graphic Novels, Comics, Manga

„Die Kafka ist eine sehr selten gesehene prachtvolle mondblaue Maus, die kein Fleisch frisst, sondern sich von bittern Kräutern nährt. Ihr Anblick fasziniert, denn sie hat Menschenaugen“, beschrieb Literaturkritiker Franz Blei Franz Kafka im Jahr 1922. Anlässlich des 100. Todestages des Ausnahmeliteraten am 03. Juni 2024 werden der Schriftsteller und sein Werk erneut in den Blick genommen. Dieses Mal nicht im Stil einer zoologischen Abhandlung wie es Blei tat, sondern in Form von Comic und Grafic Novel. Sehr passend, meint Bücherstädterin Melanie, war doch auch Kafka „einmal ein großer Zeichner“. 

„Komplett Kafka“

Dachte ich bisher an Kafka, kamen mir Wörter wie düster, skurril oder leidvoll in den Sinn. Dank Nicolas Mahlers Comic-Biografie „Komplett Kafka“ kann ich inzwischen auch Witz und Ironie mit dem Prager Literaten verbinden.

„Komplett Kafka“ ist die erste Biografie aus der Feder des österreichischen Comic-Zeichners, der in Kafka einen Gleichgesinnten sieht und ihn nicht als Schriftsteller, sondern als Zeichner einführt. Wie schon Kafka pflegt auch Mahler einen minimalistischen Zeichenstil und setzt in Schwarz und Lila Leben und Werk des Schriftstellers in Szene.

Auf besondere Weise gelingt es Mahler, Biografie, Erzählungen und Romane von Kafka auf gerade einmal 130 Seiten zusammenzubringen und Leser*innen dennoch eine umfassende Einsicht zu vermitteln. Dafür verbindet er Passagen aus Tagebüchern, Briefen und literarischen Texten und reichert diese mit Zitaten von Kafkas langjährigem Freund Max Brod, einigen Zeitgenossen und wenigen eigenen Kommentaren zu einer beeindruckenden Montage. Geschickt setzt Mahler sich über Gattungsgrenzen – Biografie, Comic oder doch Grafic Novel? – und Verbote hinweg. So erlaubt er sich beispielsweise den in einen Käfer verwandelten Gregor Samsa zu zeichnen, obwohl Kafka selbst seinem Verleger schrieb: „Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden.“

Mahler gelingt es, neben den tragischen Seiten Kafkas und seiner Texte eine für mich bisher ungesehene Zweideutigkeit herauszuarbeiten, der eine gewisse Komik nicht abgesprochen werden kann. Sehr gelungen und trotz der Schwere und Zerrissenheit Kafkas, die Mahler keineswegs verschweigt, eine kurzweilige Lektüre.

„Verwandelt. Franz Kafka – Leben Lieben Literatur“

Autor Thomas Dahms und Illustrator Alexander Pavlenko beginnen ihre Graphic Novel „Verwandelt. Franz Kafka – Leben Lieben Literatur“ mit einer knappen Rahmenerzählung, in der Dora Diamant in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs von einer Zufallsbegegnung gebeten wird, über ihren verstorbenen Lebensgefährten zu berichten. Auf sie folgt eine chronologische Betrachtung von Kafkas Leben, die nicht nur das Schaffen des Literaten sowie seine Familie, die problematische Beziehung zu seinem Vater oder seine Liebschaften in den Blick nimmt. Dahms und Pavlenko beleuchten zudem politische und gesellschaftliche Hintergründe und heben Einflussnahmen durch Freunde und Bekannte Kafkas hervor.

Über die literarische Qualität der Texte Dahms‘ lässt sich stellenweise streiten, besonders die Sprechanteile der Figuren wirken zuweilen hölzern. Entschädigt wird dies jedoch durch die geschickte Einbindung von Zitaten aus Kafkas Tagebüchern und Briefen, die einen gelungenen Einblick in die inneren Konflikte Kafkas geben, und Passagen aus seinem literarischen Werk.

Auf häufig seitenfüllenden Splash-Panels werden Kafkas Erzählungen ins Bild gesetzt und optisch von der Biografie abgegrenzt. Pavlenko verzichtet auf eine wiederkehrende Anordnung und Gestaltung der Panels und setzt stattdessen auf Varianz, ohne das Auge zu überfordern. Mit viel Schwarz, dem Einsatz weniger Farben und starker Kontraste unterstreicht er das Erzählte und greift die Stimmung aus Leben und Werk Kafkas auf. „Verwandelt“ ist ein lesenswerter Einstieg für Comic- und/oder Kafka-Neulinge. 

„Wie ein Hund“

Beeindruckt von der düsteren Bildgewalt und ratlos von den scheinbar zusammenhangslos zusammengestellten Textfragmenten aus Kafkas Werk, bleibe ich nach der ersten Lektüre von Danijel Žeželjs „Wie ein Hund“ zurück.

Die Graphic Novel des kroatischstämmigen Comickünstlers erzählt ausgehend von Kafkas „Ein Hungerkünstler“die Geschichte eines Künstlers, der der Gier der Öffentlichkeit nach immer neuen Sensationen nicht gerecht werden kann und vergessen von seinem Publikum zugrunde geht. Žeželj verbindet Kafkas Kurzgeschichte in seiner Adaption mit Passagen aus „Eine kaiserliche Botschaft“, „Die Wahrheit über Sancho Pansa“, „Der Geier“, „Wunsch, Indianer zu werden“ und den Notizbüchern „Die Acht Oktavhefte“. Die Einschübe bleiben unkommentiert und fordern Interpretation durch die Lesenden.

Mehr als die Collage der Erzähltexte beeindruckte mich die visuelle Gestaltung von „Wie ein Hund“. Žeželj platziert Kafkas Kurzgeschichte, die erstmals 1922 veröffentlicht wurde, in einer Welt, die an Filme wie Fritz Langs „Metropolis“ und Ridley Scotts „Blade Runner“ erinnert. Bedrückend, beinahe unheimlich ist die ausschließlich in Schwarz-weiß gestaltete Bildwelt der Graphic Novel. Seitenfüllende Abbildungen wechseln sich ab mit unterschiedlich großen Panels, die mal vertikal, mal horizontal nebeneinanderstehen. Zeigt Žeželj in einem Bild eine Totale, zoomt er im nächsten Panel so dicht in die Szene hinein, dass der Bildinhalt erst beim zweiten oder gar dritten Hinsehen erschlossen werden kann.

„Wie ein Hund“ bleibt für mich auch nach dem zweiten Lesen unergründlich, hat mich aber so sehr in seinen Bann gezogen, dass ich es mit Sicherheit noch viele weitere Male lesen und betrachten werde. 

„Kafka“

Anders als die zuvor besprochenen Texte ist „Kafka“ von David Zane Mairowitz und Robert Crumb keine Neuerscheinung. Der inzwischen als Klassiker zu bezeichnende Comic wurde erstmals 1993 in den USA veröffentlicht und 2013 ins Deutsche übersetzt. Anlässlich Kafkas 100. Todestag veröffentlichte der Reprodukt Verlag eine Taschenbuchausgabe der Comic-Biografie.

Hierin bieten Mairowitz und Crumb Einblicke in geschichtliche Kontexte zur Lebzeit Kafkas, wie den erstarkenden Antisemitismus, seine Beziehungen zu Familie, Freunden und Frauen sowie Themen, die Kafkas Schreiben maßgeblich beeinflussten, beispielsweise seine jüdische Identität. Auch die posthume Deutung und Vermarktung des Künstlers wird von dem Duo in den Blick genommen. Zudem präsentieren sie Interpretationsansätze, die jedoch kaum über eine biografische Lesart seines Werkes hinausgehen.

„Kafka“ kommt mit einem deutlich größeren Textumfang als der klassische Comic daher. Dem gewohnten Comic entsprechen vor allem die Auszüge aus Kafkas Erzählungen. Crumb setzt die Gefühlswelt Kafkas und seiner Figuren geschickt in Szene, spiegelt die Dunkelheit der realen und fiktionalen Welt Kafkas wider und ermöglicht eine ergreifende Innensicht in Leben und Werk. Dadurch ist die Comicbiografie im Taschenbuchformat trotz der einseitigen Auslegung der Erzähltexte eine Empfehlung für alle, die sich mit dem Schriftsteller beschäftigen möchten und Denkanstöße für die Interpretation seines Schaffens suchen. 

  • Komplett Kafka. Nicolas Mahler. Suhrkamp. 3. Auflage 2024.
  • Verwandelt. Franz Kafka – Leben Lieben Literatur. Thomas Dahms und Alexander Pavlenko. Knesebeck. 2024.
  • Wie ein Hund. Danijel Žeželj. Nach Texten von Franz Kafka. avant-verlag. 2023.
  • Kafka. David Zane Mairowitz und Robert Crumb. Aus dem Amerikanischen von Ursula Grützmacher-Tabori. Reprodukt 2024.
Melanie Trolley

Melanie Trolley

Die Leidenschaft für das geschriebene Wort hat Melanie nach Bremen und dort an die Uni verschlagen. Das Studium der Germanistik hat ihr einen veränderten Blick auf Bekanntes ermöglicht, die Augen für Neues geöffnet und Begeisterung fürs Bilderbuch entfacht. Als Texterin arbeitet Melanie täglich daran, die richtigen Worte zu finden – im Beruf vorerst ohne literarische Berührungspunkte.

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