„Du, wie macht man eigentlich ein Baby?“ Das ist nicht unbedingt die Kinderfrage, auf die Eltern sehnsüchtig warten. Um die richtigen Antworten zu geben, nimmt man am besten ein Buch in die Hand. Zum Glück erscheinen immer mehr clevere, gendergerechte und moderne (Bilder-)Bücher, die es uns leichter machen. – Von Worteweberin Annika
„Erbsenklein, Melonengroß“
Ein erzählendes Sachbuch zum Thema Geburt für Kinder ab 4 Jahren ist „Erbsenklein, Melonengroß“ von Cornelia Lindner und Verena Tschemernjak. Darin geht es um Toni, geschlechtsneutral dargestellt und neugierig auf ein neues Geschwisterchen in Mamas Bauch. Toni hat ganz viele Fragen an die Eltern – „Wenn zwei Erwachsene sich küssen, entsteht dann auch ein Baby?“ – und die Eltern stehen Rede und Antwort. Sie beantworten alle Fragen offen und ehrlich und zeigen Toni zum Beispiel ganz klassisch mit Obst und
Gemüse, wie groß ein Baby nach wie vielen Wochen im Bauch ist, eben ganz am Anfang erbsenklein oder auch melonengroß bei der Geburt.
„Gibt es Babysamen im Blumenladen zu kaufen?“
Weil Toni aus der Kita verschiedene queere Familien kennt, geht es selbstverständlich auch um Kinder mit zwei Papis und das Thema Adoption. Beim Thema Zeugung wird sowohl Geschlechtsverkehr als auch die Befruchtung mit einer Spritze und im Reagenzglas vorgestellt. Schließlich geht es um die Geburt – im Krankenhaus, im Geburtshaus und zu Hause – und die Möglichkeit eines Kaiserschnitts. Außerdem werden verschiedene Wege gezeigt, auf denen Toni mit dem ungeborenen Baby in Mamas Bauch in Kontakt treten kann. Das ist besonders schön für Kinder, die in der gleichen Situation wie Toni sind.
Gendersensibel und bunt
Die Sprache in „Erbsenklein, Melonengroß“ ist gendersensibel: „Wenige Papas* haben einen Uterus. Viele Mamas* haben einen Uterus, aber nicht alle“, heißt es zum Beispiel. Hier wird stets sehr klar benannt, was gemeint ist, ohne auf halbgare Lösungen auszuweichen. Allerdings wird die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht und Gender ebensowenig angesprochen wie das Thema Transsexualität. Der Satz „Manche Menschen haben eine Mischung aus Vulva und Penis.“ verweist auf Intersexualität, die jedoch nicht weiter erklärt wird. Hier sollten sich Vorleser*innen auf Fragen vorbereiten oder weitere Bücher zur Hand haben.
Die Illustrationen von Verena Tschemernjak sind wunderbar bunt und vielfältig: Es gibt dicke und dünne Menschen, Personen mit unterschiedlichen Hautfarben, Tattoos und auch eine Frau mit Weißfleckenkrankheit zu sehen. Hingegen sind die Bilder wenig detailreich und der Geschlechtsakt ist zum Beispiel anders als in anderen Büchern nicht im Querschnitt zu sehen, dafür werden aber verschiedene und auch homosexuelle Paare gezeigt. Für Vierjährige reichen diese Darstellungen vollkommen aus. Insgesamt ist „Erbsenklein, Melonengroß“ meiner Meinung nach ein sehr gelungenes Vorlesebuch für neugierige Kinder ab 4 Jahren.
Erbsenklein, Melonengroß. Cornelia Lindner. Illustration: Verena Tschemernjak. Achse Verlag. 2022. Ab 4 Jahren.
„Ein Baby! Wie eine Familie entsteht“
Das Sachbilderbuch „Ein Baby! Wie eine Familie entsteht“ ist nicht nur von außen ein herrlich bunter Hingucker, auch im Innenteil bauen die Autorin Rachel Greener und Illustratorin Clare Owen auf Diversität.
Das Buch holt Kinder zu Anfang mit einer Information ab, die für kleine Menschen oft unbegreiflich ist: „Du warst einmal ein Baby – genau wie alle, die du kennst.“ Kurz geht es um verschiedene Geschichten rund ums Kinderkriegen, vom Klapperstorch über Kohlköpfe und Stachelbeerbüsche und dann erfahren wir, wie das mit den Babys tatsächlich funktioniert. Den Anfang macht die Unterscheidung zwischen Mädchen und Jungen und bei einem Besuch in der Schwimmbaddusche erfahren wir mehr über die Geschlechtsorgane. Dass die Illustrationen wie hier in den Alltag von Kindern eingebettet sind, wirkt besonders unverkrampft und macht es leicht, ins Gespräch zu kommen. Beim Geschlechtsverkehr dürfen wir im Querschnitt einen Blick unter die Bettdecke werfen – hier werden etwas mehr Details als im ersten Buch geliefert, dafür wird nur ein heterosexuelles Paar abgebildet. Dann geht es um Leihmutterschaft, Adoption und Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung. Schließlich wächst das Baby – auch hier die bekannten Vergleiche aus der Obst- und Gemüseabteilung –, wir erfahren etwas über Zwillinge und die Geburt. Auch in „Ein Baby!“ wird die Geburt per Kaiserschnitt gezeigt. Und schließlich ist sie da: die Familie! Bunt und vielfältig, denn es sind verschiedene Hautfarben, Personen im Rollstuhl, mit Kopftuch und Tattoos abgebildet – und natürlich nicht nur Familien, die aus Mutter, Vater und Kind bestehen.
Gendersensibel mit Luft nach oben
Im Text wird auf die Formulierungen „Frauen“ und „Männer“ verzichtet, stattdessen ist zum Beispiel die Rede von einer „Person mit einem Penis“ und einer „Person mit einer Scheide“. Statt des Wortes „Scheide“ hätte man hier und an anderen Stellen im Buch jedoch auf Grund der heute feministisch diskutierten Problematik des Begriffs besser auf andere Formulierungen ausweichen können.
Im Vergleich zu den Beschreibungen in „Erbesenklein, Melonengroß“ wird in diesem Sachbuch stellenweise weniger deutlich, warum genau manche Familien zum Beispiel auf Samenspenden angewiesen sind. Auch, warum nicht nur Frauen Babys gebären können, erfährt man erst im letzten Teil des Buches. Auf der Doppelseite mit der Überschrift „Vielleicht hast du dich schon mal gefragt…“ geht es um trans Menschen und Intersexualität, außerdem um Fehl- und Frühgeburten. Diese Informationen hätten aber auch direkt im Verlauf des ersten Teils mit eingebracht werden können, da sie nicht weniger wichtig sind.
Sehr schön an „Ein Baby! Wie eine Familie entsteht“ ist meiner Meinung nach, dass das Buch viele positive Botschaften sendet:
„Für ein Baby braucht man also eine Samenzelle, eine Eizelle und eine Gebärmutter, aber jede Familie entsteht auf ihre eigene und besondere Weise. Du und deine Familie, ihr seid einfach großartig – so wie ihr seid!“
„Ein Baby! Wie eine Familie entsteht“ ist nicht perfekt, aber doch ein sehr gelungenes Sachbuch zum Thema Aufklärung – bunt, unverkrampft und mit vielen wichtigen Informationen.
Ein Baby! Wie eine Familie entsteht. Rachel Greener. Illustration: Clare Owen. Übersetzung: Mika Maier. Penguin Junior Verlag. 2021. Ab 5 Jahren.
„Von wegen Bienchen und Blümchen“
„Von wegen Bienchen und Blümchen“ – schon der Titel macht deutlich, dass in diesem Aufklärungsbuch kein Blatt vor den Mund genommen wird. Das Bilderbuch richtet sich an Kinder ab 5 Jahren und explizit in Infokästen auch an deren Eltern und Erzieher*innen. Denn damit Kinder später unverklemmt und selbstbewusst mit ihrer Sexualität umgehen können, kann man schon früh nachhelfen. Autor Carsten Müller arbeitet als Sexualtherapeut und kennt sich daher bestens aus. Im Buch geht es nicht nur um Befruchtung, Schwangerschaft und Geburt, sondern zum Beispiel auch um Gefühle und Selbstbestimmung. Daher ist „Von wegen Bienchen und Blümchen“ mehr als ein klassisches Aufklärungsbuch und unterscheidet sich von den beiden vorigen Büchern. Es lässt sich besonders gut einsetzen, wenn Kinder im Kindergartenalter bereits von sich aus Interesse am Thema Sexualität zeigen. Hier geht es zum Beispiel auch um „das Kribbeln im Genitalbereich“, das schon Kinder kennen.
Die Illustrationen im Buch sind lustig und farbenfroh. Sie zeigen zum Beispiel viele verschiedene Familienmodelle und erlauben auch einen Blick „unter die Bettdecke“. Themen wie Transition und das dritte Geschlecht werden angesprochen und verschiedene Familienmodelle werden gezeigt. Trotzdem ist das Buch nicht durchgehend gendersensibel formuliert. In den Texten ist beispielsweise anders als in den anderen beiden Büchern nicht mitgedacht, dass nicht nur Frauen Kinder gebären können und die Gebärmutter sich nicht zwangsläufig im Bauch einer Frau befinden muss.
Auf den Bildern sehen wir starke Frauen, meditierende Männer, eine Ärztin mit Kopftuch, eine Frau mit indischer Dupatta und vieles mehr. Auch diese Illustrationen verdienen also die Auszeichnung divers. Irritierend fand ich hingegen die Seite zu typischen Beschäftigungen für Jungen und Mädchen – mit dem Hinweis, dass natürlich jede*r frei in seinen*ihren Vorlieben ist –, die aber dennoch unnötig Klischees reproduziert.
Insgesamt ist „Von wegen Bienchen und Blümchen“ für mich zwar ein gelungenes Aufklärungsbuch, das gerade für Erwachsene wichtige Informationen und Ansätze parat hält, jedoch auch einige große Schwächen hat. Aber wahrscheinlich gilt in Sachen Aufklärung, was wir auch sonst immer unterschreiben würden: Je mehr verschiedene Bücher, desto besser!
Von wegen Bienchen und Blümchen. Carsten Müller, Sarah Siegl. Illustration: Emily Claire Völker. EMF. 2021. Ab 5 Jahren.
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