Lange Nacht der Literatur

von | 31.08.2014 | Buchpranger

Hamburg – Am Samstag hat in Hamburg die erste „lange Nacht der Literatur“ stattgefunden. Mehr als 20 Lesungen konnte man in dieser Nacht erleben. Ein Grund für Bücherstädterin Alexa die literarische Stadt zu besuchen.

Die Auswahl zwischen den im Programm stehenden Lesungen fiel nicht leicht. So viele interessante Autoren, nationale sowie internationale, die ihre Werke vorstellen wollten. Am Ende entschied ich mich für zwei Lesungen in der Buchhandlung „Sautter & Lackmann“. Als ich sie an diesem bewölkten Samstagabend betrete, bin ich umgeben von hohen Regalen voller Fachbücher. So viele Titel springen mir entgegen, bekannte wie unbekannte. Diese Umgebung und die freundliche, lockere Art von Herrn Sautter schafft eine angenehme Atmosphäre. Während die Besucher Platz nehmen, bereitet er die Getränke vor und meint: „Ich weiß, das ist vielleicht eine komische Reihenfolge, aber nehmt euch doch schon mal ein Gläschen Wein. Normalerweise macht man das am Ende der Lesung, aber wir machen das hier anders.“ Die Gäste lachen.

Die erste Lesung beginnt um 18 Uhr. Autor Miguel Ángel Hernández Navarro ist für diesen Abend aus Spanien angereist, um aus seinem Werk „Intento de Escapada“ („Fluchtversuch“) vorzulesen. Die deutsche Übersetzung liest Herr Sautter. Wie sich gleich am Anfang herausstellt, spricht der Buchhändler Spanisch und kann sich auf diese Weise mit dem Autor absprechen. Auf die Frage Sautters hin, wer von den anwesenden Besuchern Spanisch spräche, folgt die nächste Überraschung: 2/3 der Gäste verstehen und sprechen die Sprache. Auf diesem Wissen basierend läuft die Lesung ab: mal auf Deutsch, mal auf Spanisch, mal ein Mischmasch. Flexibel ändern Navarro und Sautters die Planung, flüstern sich, während Navarros Begleiterin Mela Dávila Freire das von ihm Vorgelesene kurz zusammenfasst, schnell etwas zu. Dieser Anblick wirkt auf eine faszinierende Weise vertraut und locker und entlockt so manchem Besucher ein Lächeln.

Navarro liest lebhaft, schnell, energisch. In seinem Text ist er so sicher, dass er immer wieder aufschaut und den Blickkontakt zu seinem Publikum hält. Während Sautter auf Deutsch liest, wirkt er dagegen nachdenklich, versunken in seiner Geschichte. Diese ist Mitte August im Wagenbach-Verlag erschienen und handelt von einem fragwürdigen Kunstwerk: „Ein Künstler pfercht einen Afrikaner in eine Holzkiste und stellt ihn aus die Kritiker sind begeistert. Doch danach ist der Eingesperrte wie vom Erdboden verschluckt. Der Student Marcos beginnt nachzuforschen und steckt mit seinem bösen Verdacht auch den Leser an: Kann Kunst tödlich sein?“ Vor allem die letzte Frage mag zu der Vermutung führen, dass es sich bei diesem Buch um einen Krimi handelt. Navarro jedoch ist über die Einteilung in das Genre „Krimi“ überrascht, denn beabsichtigt hatte er das nicht. „Ich wollte meine Kunstideen in die Welt der Literatur bringen“, sagt er. Als Kunsthistoriker stößt er immer wieder auf verschiedene Sichtweisen und Fragestellungen. Vor allem auf die Frage „Ist das Kunst oder nicht“ geht er an diesem Abend ausführlich ein. Denn er ist der Meinung, dass Kunst heutzutage zu viele Bedeutungen hat. Dabei geht es ihm gar nicht darum zu hinterfragen, ob es Kunst sei, sondern was für eine Art von Kunst. Die wirklich bedeutende Frage ist eher: Ist diese Kunst ethisch vertretbar? Durch den Protagonisten äußert er seine Ideen, die er als Kunsthistoriker in einem Fachbuch so nicht beschrieben hätte, da man ihn sonst für verrückt erklärt hätte. Zumindest glaubt er das. „Es geht hier um Möglichkeiten, nicht um Wahrheiten“, sagt er. Der Protagonist steht zwischen ihm als Person und dem Leser und zeigt auf eine ganz andere Art und Weise die Problematik der Kunst auf. Jemand, der sich sonst nicht für Kunst interessiert, könnte dennoch zu diesem Buch greifen, da ihn die Geschichte anspricht. Somit erreicht er ein anderes Publikum.
Die Idee „Kunstwerke in soziale Ereignisse umzuwandeln“ fand großen Anklang. Vom Publikum kamen Fragen – auch hier wieder auf Deutsch und Spanisch – aber auch Lösungsansätze: Man könne Kunstkritik im Journalismus-Bereich verstärken und öfter Kunstausstellungen organisieren. Auch wenn noch viel Gesprächsbedarf ist, muss Sautter die Lesung beenden, da im Anschluss eine weitere stattfinden soll.

Einige Besucher gehen, andere wiederum kommen. Als Jürgen Bracker Platz nimmt, um sein Buch „Am Ruder der Tod“ vorzustellen, verliert Sautter nur wenige Einleitungsworte und überlässt Bracker das Feld. Dieser beginnt mit lauter, kräftiger Stimme vorzulesen. Sein Buch behandelt politisch, historische Themen, erzählt von enttäuschter Liebe, Ausgrenzung, Fremdenhass und Kriegsbegeisterung, eingebettet in einen Krimi: „Mord im Watt! Die Leiche eines Jungfischers wird Pfingstmontag 1911 bei pottendichtem Nebel im Hafen angetrieben. Sehr verschiedenartige Motive hätten einen Tod herbeiführen können. Der Landarzt Dr. Wittenborg fand die Spur im Nebel der Motive.“ Brackers Begeisterung ist spürbar, er liest überzeugend, mit Gefühl. Die Liederverse singt er sogar vor. Anschließend beantwortet er einige Fragen. Doch viel Zeit hat er nicht. Denn schon geht es weiter mit der „langen Nacht der Literatur“ im Literaturhaus, wo der erste Buchhandelspreis der Stadt vergeben werden soll.

Ich verlasse die Buchhandlung. Draußen ist es bereits dunkel geworden, der Himmel ist sternenklar. In meinem Kopf schwirren noch die Impressionen beider Lesungen: Kunst, Mord, Wein… Und während ich die Brücken der Stadt entlanglaufe, die Lichter in den geöffneten Buchhandlungen sehe, da denke ich nur noch: Ja, das war eine schöne, lange Nacht der Literatur.

Weitere Informationen:
www.langenachtderliteratur.de
www.sautter-lackmann.de

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

1 Kommentar

  1. Avatar

    Liebe Alexa,

    du hast es richtig gemacht und bist an einem Ort geblieben. 😉 Sollte – und ich hoffe es doch sehr – nächstes Jahr wieder eine Lange Nacht stattfinden, werde ich es auch so machen. Sonst wird man den Veranstaltungen einfach nicht gerecht.
    Liebe Grüße

    Antworten

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