Martin Kordić

von | 25.08.2015 | Buchpranger, Im Interview, Stadtgespräch

Ich nehme meine Figuren und ihre Geschichten ernst.

Wortklauberin Erika hat sich mit Martin Kordićs Roman „Wie ich mir das Glück vorstelle“ auf die Suche nach dem Glück begeben – und dem Autor dabei einige Fragen gestellt.

BK: Lieber Herr Kordić, vielen Dank, dass Sie Zeit für uns und dieses kleine Interview haben. Ich habe Ihr Buch „Wie ich mir das Glück vorstelle“ in vollen Zügen genossen. Die erste Frage des Interviews dreht sich deshalb wohl um das allgemeinste überhaupt: Wie sind Sie auf die Idee gekommen? Und wie auf den verkrüppelten Protagonisten Viktor?

MK: Es gab nicht diese eine zündende Idee. Zumindest nicht, was die Geschichte und das Thema betrifft. Bei der Figur war das aber tatsächlich so. Das kann ich exakt auf einen Tag zurückdatieren. Da saß ich in Bosnien-Herzegowina mit meiner Cousine vor dem Haus und habe Wassermelone gegessen. Und sie erzählte mir von einer Art Camp in der Nähe, das von Nonnen geleitet wird, und in dem versucht wird, verwaisten Kindern und Jugendlichen durch Arbeit und Gebet wieder Stabilität im Leben zu geben. An diesem Tag hatte ich Viktor, den Erzähler in meinem Roman, zum ersten Mal klar vor Augen. Wie er zum Ende des Krieges so eine Art Gemeinschaft verlässt, ganz auf sich allein gestellt. Was dabei aber sehr wichtig ist, ist, dass Viktors autistische Wesenszüge keine Folge des Krieges sind, sondern dass er von Geburt an besonders ist, einen anderen Blick auf die Welt hat – und die Welt auf ihn.

BK: Gibt es für die Stadt der Brücken ein bestimmtes (vielleicht sogar reales) Vorbild, in der sich Viktor und sein Gefährte durch den Kriegszustand schlagen?

MK: Die topographischen Bildwelten und Konfliktlinien haben ihren Ursprung zu großen Teilen in Bosnien-Herzegowina, genauer: in der Stadt Mostar und der unmittelbaren Umgebung. Für mich war dieses Herausheben des Sujets aus der unmittelbaren Realität im Schreiben aber ein sehr wichtiger Moment. Ich wollte kein dokumentarisches Buch schreiben, sondern vor allem eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die eine in sich geschlossene Welt erzählt, ein Gefühl. Insofern sind reale Bezugspunkte für die Entstehung des Romans zwar wichtig gewesen, für den Roman selbst sind sie aber völlig egal.

BK: Das Thema, das Sie anschneiden, ist stark aktuell. Wenngleich das „Land aller Völker“, wie es in Ihrem Buch heißt, zersplittert ist, muss man nur einige Stunden weiter in Richtung Süden/Südosten, um vor ähnlichen Situationen zu stehen. Dabei bewerten Sie das Vorgehen der Jugendlichen nicht moralisch – wie haben Sie das geschafft? War es schwierig für Sie?

MK: Ich nehme meine Figuren und ihre Geschichten ernst. Würde ich mich über sie stellen, würde sich das extrem komisch anfühlen. Ich möchte meine Figuren nicht beurteilen, sondern ich will so nah wie möglich an sie heran. Mit allen Schönheiten und Abgründen. Im Roman selbst werden zudem alle Ereignisse von Viktor aus dem Jetzt heraus erzählt, ganz egal, ob sie die Gegenwart, die Vergangenheit oder die Zukunft betreffen. In dieser Unmittelbarkeit bleibt keine Zeit für Moral. Es gibt kein Morgen, kein Gestern, kein Gut, kein Böse, keine Regeln. Metaebenen sind kein Bestandteil dieser Welt.

BK: Haben Sie literarische Vorbilder, denen Sie nacheifern?

MK: Ich habe ein dynamisches Feld an Enthusiasmusverteilung. Zu dem kommen immer wieder neue Dinge hinzu, für die ich mich begeistern kann, während andere mit der Zeit unmerklich in den Hintergrund gedrängt werden. Das beschränkt sich nicht auf Literatur. Das geht von Marilyn Manson über Stanley Kubrick zu Michael Ende und von dort zurück über Anekdoten meines Nachbarn quer durch eine Sammlung Seemannslieder.

BK: Wenn Sie ein Buch wären, was für eines würden Sie sein?

MK: Lieber ein kurzes.

Dieses Interview erschien erstmals in der 17. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto © Sabine Lohmüller

Erika Unterpertinger

Erika Unterpertinger

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