Im Zeichen der näher und näher rückenden Veröffentlichung des nächsten Teils von Biowares Space-Opera-RPG Reihe „Mass Effect“ („Mass Effect: Andromeda“) bietet sich ein Blick zurück auf die Vergangenheit der Serie an. Im Zuge dessen soll ein besonderes Augenmerk auf das Entscheidungssystem und dessen Auswirkungen auf Gameplay und Narrativ gelegt werden. Codejäger Peter stürzt sich auf das Epos, die Geschichte einer Galaxie verschiedenster Völker, die sich, vor eine unabwendbare Bedrohung gestellt, hinter der Crew der Normandy vereinigen.
Commander Shepard dreht am Rad
Die RPG-Elemente der „Mass Effect“-Serie hielten sich traditionsgemäß in Grenzen. Spiel für Spiel verschwand oder wurde das Ausrüstungs-, das Taktik-, das Auflevel- und das Wirtschaftssystem simpler, was jedoch stets blieb war der Dialogverlauf. Das berüchtigte Dialograd, an dessen Rändern zumindest drei und höchstens sechs verschiedene Antworten gewählt werden konnten, ist der treueste Begleiter der Spieler in „Mass Effect“. Und das zu Recht, verkörpert es doch den Kern des Spiels: Die Erzählung und unsere Rolle darin. Ist unser Commander ein herzensguter Mensch oder ein herzloser Opportunist? Ist er ein treuer Freund oder ein strenger Kommandeur? Unsere Dialoge, die Gespräche, die wir führen, formen unsere Beziehung zu den Charakteren, formen die Charaktere selbst und mögen unsere Entscheidungen rund um unser virtuelles soziales Netzwerk beeinflussen.
Auch abseits des Dialogrades lassen uns die „Mass Effect“-Spiele vieles entscheiden, vom Tod des einen oder anderen Crewmitglieds bis hin zum Fortbestand der einen oder anderen Rasse. Alles unabhängig von unseren vorhergehenden Entscheidungen, doch nicht unabhängig von den Emotionen, welche diese in uns auslösten. Die Entscheidungen sind stets explizit (es ist klar, wofür wir uns entscheiden, auch wenn die Auswirkungen nicht klar sind), ihre Konsequenzen aber können beides sein. So mancher Beschluss verändert die Welt des Spiels, andere nur unsere Sicht auf sie. Die Grundausrichtung der Handlung bleibt bei alledem stets dieselbe – die Galaxie will gerettet werden. Selbst wenn wir unseren Charakter zum niederträchtigsten erziehen, bleibt unsere Mission stets die gleiche. Das Spiel bleibt auf seine Erzählung fokussiert und verliert sich nicht in uneingeschränkter Freiheit, welche die Handlung aushebeln könnte. Denn diese Freiheit ist es nicht, worum es geht.
Das narrative Netz eines interaktiven Epos
„Mass Effect“ erzählt eine große Geschichte und unser Charakter spielt die Hauptrolle in dieser Erzählung. Stets ist Commander Shepard im Zentrum des Geschehens. Die Entscheidungen, die Ereignisse, die sich um ihn drehen, formen die Galaxie und so sehen wir im Verlauf der Reihe (die von Spiel zu Spiel unsere Entscheidungen aus den Vorgängern mit in ihre Ausgangssituationen einbeziehen) uns selbst zur Legende, zur bestimmenden Figur der Erzählwelt werden, was dies jedoch mit einem Narrativ macht, zeigt sich erst zum Ende. Bevor über dieses Ende jedoch gesprochen werden kann, muss man betrachten, worum es in „Mass Effect“ eigentlich geht. Das Was, das Wie, das Warum, die Erzählelemente und Motive sind es, die in Zusammenarbeit ein narratives Kunstwerk darstellen, also kann das Ende nicht systematisch, sondern nur im Kontext des Vorhergegangen beurteilt werden.
Die Menschheit gehört, seit in Erdnähe ein Mass Relay (Sprungtor zu anderen Teilen der Milchstraße) entdeckt wurde, zur galaktischen Gemeinschaft unterschiedlichster Völker. Commander Shepard soll nach einem Zwischenfall als erster Mensch in den Rang eines Paragons (Eliteeinheit zum Schutz der Galaxis) erhoben werden und deckt die Existenz einer Bedrohung auf, die alle paar tausend Jahre alles Leben in der Galaxis auf ein Minimum reduziert. Von da an beginnt (über drei Spiele und Erzählbögen hinweg) die Reise zur Rettung der Galaxis. Diese arg verkürzte Zusammenfassung zeigt bereits die Größe und Schwere des Themas auf, welches sich von Rassismus über Politik bis hin zu philosophischen Fragen zur Definition von Existenz streckt, und genau diesem Maßstab muss sich auch eine Interpretation unterwerfen.
Narrative Verteidigung eines enttäuschenden Endes (Spoilerwarnung)
Das Ende der „Mass Effect“-Reihe ging, wegen des Aufschreis, den es unter all seinen Fans auslöste, in die Geschichte der Videospiele ein. Die Spieler kamen ans Ende ihrer epischen Reise, an den Punkt, an dem all ihre unzähligen Entscheidungen zu einem Ergebnis hätten führen sollen. Sie waren gespannt, wie sich jede ihrer Dialogzeilen auswirken würden und dann wurden sie vor ein weiteres Dialograd gestellt und sollten sich zwischen einer Handvoll von Endsequenzen entscheiden, vollkommen unabhängig von ihren vorangegangenen Beschlüssen. Man kann sich die Enttäuschung vorstellen.
Spielerisch ist dieses Ende also fragwürdig, doch tritt man einen Schritt zurück, zeigt sich seine erzählerische Notwendigkeit. Zu allererst sei erwähnt, dass auch alle anderen größeren Entscheidungen in anderen Teilen der Reihe stets unabhängig getroffen wurden. Die wahre Notwendigkeit entsteht aber durch den Maßstab der Handlung. Vor die Entscheidung der Weiterexistenz des Lebens in der Milchstraße stehend, müssen alle vorangegangenen unbedeutend wirken. Zu wem wir höflich, zu wem wir unhöflich waren, wen wir gerettet und wen geopfert haben, selbst welche Rasse wir in einem Krieg zum Aussterben verurteilten, ist nicht wichtig und kann gar keinen Einfluss auf die letzte Entscheidung haben.
Soll also dies die Geschichte von „Mass Effect“ sein, soll die Handlung des Epos auf die absolute Frage nach Fortbestand hinauslaufen, dürfen die zwischenmenschlichen, politischen, moralischen Kleinigkeiten keinen direkten Einfluss haben. Was sie aber mitformen, ist die Reise, die uns an diesen Punkt gebracht hat, die Gefühle und Einstellungen, die wir ans Ende mitgebracht haben, und somit beeinflussen sie so die freie Entscheidung des Spielers. Als Gameplay Entscheidung bleibt das Ende der „Mass Effect“ Reihe eine schwache, als narrative Konsequenz der Erzählung jedoch eine konsequente und starke.
Titel: Mass Effect 1-3. Studio: Bioware. Publisher: Electronic Arts.2007, 2010, 2012. Genre: Actionrollenspiel. Spielerzahl: 1. Spielzeit: 30, 25, 20 Stunden, Alterfreigabe: fsk16
Ein Beitrag in der Reihe um entscheidungsbasierte Spiele.
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