Das Leben der jungen Japanerin Mizuki sollte ausschließlich um ihre zwei Kinder, ihren Haushalt und ihren Ehemann kreisen. Doch was, wenn das nicht ausreicht? In Emily Itamis Roman „Eine kurze Begegnung“ hat Worteweberin Annika ihren Ausbruch aus der Rolle der Ehefrau verfolgt.
„Er hat mich unsichtbar gemacht. Aus all den Optionen, die ich hatte, habe ich ihn ausgesucht, ihn fürs Leben gewählt, und er hat mich in eine Existenz verstoßen, die mit Leben nichts zu tun hat.“ (S. 85)
Als Mizuki und Tatsu sich kennenlernten, war ihr Leben voller Überraschungen, Gemeinsamkeiten und Freude. Inzwischen haben die beiden zwei Kinder im Alter von zehn und vier Jahren, Tatsu hat viel zu arbeiten und wenn er nicht gerade im Büro ist, klebt er an einem Bildschirm. Von einer Beziehung kann man eigentlich kaum sprechen – egal was Mizuki sich einfallen lässt, perlt es an Tatsu einfach ab.
Und auch wenn sie ihre Kinder wirklich liebt, scheint sie dem strengen japanischen Korsett der Mutterrolle nicht gerecht zu werden: Ihre Bentoboxen packt sie schlampig, sie erscheint nicht immer auf die Minute pünktlich und träumt heimlich davon, sich selbst zu verwirklichen.
„Elternschaft ist brutal – es gibt keine andere Aktivität auf der Welt, für die man zwei Jahre lang viermal pro Nacht aufstehen muss, um am Ende gerade mal im Rennen um Mittelmäßigkeit zu sein.“ (S. 62)
Hier werden zwei unterschiedliche Brennpunkte aufgespannt: die Elternschaft, die für Mizuki trotz aller Schwierigkeiten hauptsächlich positiv besetzt ist, und die Ehe, in der sie sich gefangen fühlt.
Zwei Welten
Als Schülerin hatte Mizuki ein Auslandsjahr in den USA verbracht und dort einen liberalen Lebensstil kennengelernt. Nach dem Schulabschluss kehrte sie zurück nach New York und wurde Sängerin, auch in Japan trat sie vor der Ehe noch auf. Im Vergleich zu diesem abwechslungsreichen Lebenswandel fühlt sich die Ehe an wie ein Käfig.
Doch dann begegnet sie Kiyoshi – einem gutaussehenden, lustigen, freundlichen und zugewandten Restaurantbetreiber, der sich wirklich für Mizuki zu interessieren scheint. Die beiden verbringen immer mehr Zeit miteinander und beginnen schließlich eine Affäre. Ab jetzt lebt die junge Frau in zwei verschiedenen Welten. Doch bald merkt sie, dass sie sich entscheiden muss: zwischen der Liebe, also ihrem Liebhaber, und dem Glück, das ihre Kinder für sie bedeuten…
Dass diese Entscheidung notwendig ist, ergibt sich logisch aus der Erzählung Mizukis. Allerdings: Wäre es nicht schön, sie könnte einen Weg finden, sich selbst zu verwirklichen? Lieben und glücklich sein? In diesem Sinne ist „Eine kurze Begegnung“ eine traditionelle Ehebruchgeschichte, die der Frau am Ende wenig Spielraum gewährt. Im Nachgang hätte ich mir hier mehr Mut gewünscht.
Aus dem Leben einer Frau
Emily Itamis stellt in ihrem Debütroman „Eine kurze Begegnung“ kluge Beobachtungen an und lädt dazu ein, sich mit der Ich-Erzählerin zu identifizieren. Viele Situationen kennen Mütter und Frauen auch hierzulande, andere sind heutzutage spezifisch für die japanische Gesellschaft, zum Beispiel die klare Erwartungshaltung an Frauen, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen. Auch darüber gibt die Autorin interessanten Aufschluss.
„Damals, als sie (die Kinder) noch sehr klein waren, sagten mir seufzende Mütter älterer Kinder, ich solle es genießen, solange es andauere, und ich, übermüdet, verfluchte sie (…). Jetzt möchte ich nicht zugeben, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, wann die beiden anfingen, die Nacht durchzuschlafen oder feste Nahrung zu sich zu nehmen, oder dass die gurrende Weichheit ihrer Babyzeit tatsächlich innerhalb eines Wimpernschlags vergangen ist.“ (S. 36)
Die Erzählung baut eine angenehme Spannung auf, die durch Andeutungen und Vorwegnahmen gehalten wird. Der Ton der Ich-Erzählung ist ruhig, teils lakonisch. Auch wenn sich – bis auf ein Erdbeben – nur ein alltägliches zwischenmenschliches Drama abspielt, konnte ich das Buch kaum aus den Händen legen. Ich bin schon gespannt auf die nächsten Romane von Emily Itami!
Eine kurze Begegnung. Emily Itami. Übersetzung: Melike Karamustafa. Blessing. 2023.
0 Kommentare