„Open World“ ist eine inflationär gebrauchte Floskel, die zu häufig auch unbegründet verwendet wird. Wie viele andere Spiele wurde „No Man’s Sky“ vor seiner Veröffentlichung 2016 großspurig als Open World beworben. Wie viel dahinter steckt, hat Seitenkünstler Aaron überprüft.
Prozedural generiert – Das Programm als uninspirierter Legobauer
Streng genommen ist Open World eher ein Ideal als eine technisch tatsächlich umsetzbare Möglichkeit. Wie die Autoren eines Textes oder Bildes fangen Entwickler irgendwo an und hören irgendwann auf. So entstehen bei den meisten Spielen Landschaften, die auch kartografiert werden; die sogenannten ‚Maps‘ (Landkarten) helfen Spielenden, die Orientierung zu behalten.
Bei „No Man’s Sky“ wird ein anderer, aber nicht neuer Ansatz verfolgt, die prozedurale Generierung: Das Programm fügt zusätzlichen Raum hinzu, sobald die Spielfigur eine Grenze überschreitet. Die Ladezeiten werden dabei recht geschickt hinter interstellaren Reisen und dem Eintritt in die Atmosphäre eines Planeten getarnt. Dieses Prinzip wurde bei offenen (Bethesda „Elder Scrolls II: Daggerfall“ 1996) und geschlossenen (FromSoftware „Bloodborne“ 2015, Grinding Gear Games „Path of Exile“ 2013) Spielräumen erfolgreich umgesetzt. In „No Man’s Sky“ wird versucht, einen Superlativ zu bieten, denn nicht nur Dungeons, sondern ganze Planeten werden so geschaffen.
Leblosigkeit und Wiederholung
Der Umstand, dass das Programm aus einer begrenzten Anzahl grafisch und akustisch gestalteter Elemente wählt, führt zu einem Bruch im Spielerlebnis. Die Spannung, wie wohl der nächste Planet aussieht, schlägt in Enttäuschung um, denn selbst einige Sonnensysteme entfernt scheint sich alles zu wiederholen. Alles sieht gleich oder zumindest sehr ähnlich aus. Überall ähneln sich die Planeten, Raumschiffe, Gebäude, Pflanzen und Tiere optisch und funktional.
Dadurch sind auch die Interaktionen mit den NPCs leblos. Die Dialoge bilden selbst mit den gelegentlichen Abweichungen keine Ausnahme. Interessant ist hierbei jedoch der Einbezug von Sprachbarrieren und Wortschatz, das den Gesprächen ein wenig Leben verleiht. Einzelne Vokabeln der drei Sprachen der drei intelligenten Alienrassen können entweder von NPCs oder von Monolithen auf den Planeten erlernt werden. Dass dabei immer nur genau ein Wort gewonnen werden kann, erscheint in einer hochtechnologischen Raumfahrergalaxie ziemlich unsinnig und so wirkt alles eben doch nur wie eine Simulation.
Obwohl „No Man’s Sky“ in seiner Bewerbung (siehe YouTube-Links unten) Vielfalt suggeriert, fehlt im tatsächlichen Spielerleben die Abwechslung, die man erwarten würde, wenn man von der Erkundung ganzer Sonnensysteme spricht. Auf jedem Planeten und Satelliten kann gelandet werden, so etwas wie Gasplaneten fehlen. Nach ein paar Spielstunden stehen keine größeren Entdeckungen mehr an. Einzigartige Habitate, Biosysteme oder gar Städte fehlen. Es gibt nur die immer gleichen abgestürzten Frachter, Außenposten und Raumstationen…
Deswegen wären die oben erwähnten Karten hier auch sinnlos. Im Prinzip ist es egal, wo auf dem Planeten man sich befindet. Es reicht der Kompass, um bestimmte Orte zu erreichen. Damit ist die einzige Endlosigkeit in diesem Spiel die des Uncanny Valley: Alles wirkt irgendwie unheimlich unecht und simuliert. Dies wird nach einigen Stunden in der Hauptquestlinie auch in der Hintergrundstory halbwegs deutlich mit einer Mischung aus Selbstbezug und Plot-Twist begründet. So mischt sich zur enttäuschenden Spielwelt doch noch eine ansatzweise interessante Narration.
Ungelenk durchs Weltall
Innerhalb dieser schier unendlich großen und unheimlich kopierten Spielwelt sind die Handlungen der Spielfigur doch beschränkt. Das Gameplay ist repetitiv und die ungelenken Animationen vermischen sich mit einem grobmotorischen Kampfsystem. Besser eignet sich die Steuerung zum Abbauen von Rohstoffen und zum Aufbau einer eigenen Basis, wie es aus anderen Sandkastenspielen wie „Minecraft“ bekannt ist. Innovativ erscheint dabei auf den ersten Blick der Ansatz, Rohstoffe in Form chemischer Elemente abzubauen. Mit einem individuell anpassbaren Allzweckwerkzeug werden Roboter, Tiere, Pflanzen und Böden in ihre Moleküle zerlegt und aufgesammelt. Wer jetzt begeistert denkt, dabei etwas über Chemie oder zumindest das Periodensystem lernen zu können, sei gewarnt: Es sind nur einige Elemente vorhanden und diese sind nahezu willkürlich auf Vorkommen und Funktion beschränkt.
Das Sammeln und Bauen-Wollen artet schnell in zäher Arbeit aus, denn der Inventarplatz ist zwar erweiterbar, aber auch schnell gefüllt. Man mutiert zum Logistiker und pendelt zwischen Planet und Frachtraum. Die Verwaltung von Rohstoffen ist aber hervorragend in die Spielmechaniken eingebaut und man befindet sich in einem konstanten Loop (Kreislauf) aus Abbau, Umwandlung und Verwertung der Rohstoffe. So wird beispielsweise Sauerstoff für die Atmung benötigt, Kohlenstoff für das Abbauwerkzeug und Diwasserstoff für den Antrieb des Raumschiffs. Die Rohstoffe sind notwendig für die Nutzung und Entwicklung fortgeschrittener Technologien, welche wiederum die Erschließung seltenerer Rohstoffe ermöglichen.
Die durch Updates schrittweise hinzugefügten Multiplayeroptionen ermöglichen das gemeinsame Erkunden und Bestreiten von Missionen. Auch die eigene Basis kann mit anderen geteilt und ausgebaut werden. Dabei treten jedoch häufig Clipping und Synchronisationsfehler auf. Beispielsweise wächst der bearbeitete Boden den darin eingelassenen Bunker wieder zu – aber nur optisch. Durchweg positiv sei zu erwähnen, dass dieses Online-Multiplayer-Spiel ohne Mikrotransaktionen auskommt, eine Anpassung der Spielfigur und der Spielmittel erfolgt ausschließlich über realistisch erreichbare Ingame-Ressourcen.
(Nicht) schlecht
„No Man’s Sky“ wartet weder mit der besten Grafik, noch mit einer packenden Narration, noch mit einem innovativen Gameplay, noch mit einem guten Multiplayer, noch mit Bugfreiheit auf. Eigentlich ist das Spiel in diesen Kategorien höchstens mittelmäßig, aber es bietet dennoch einen gewissen Sog und zumindest in den ersten Stunden Raum zum Staunen. Das fröhliche Grafik- und Sounddesign lullt Spielende ein und befähigt dazu, stundenlang nahezu meditativ auf den schablonenartigen Planeten umherzuwandern.
Selten trauen sich Entwickler mit einer so großen Vielfalt an ein Projekt und vermutlich ist dies das größte Problem von „No Man’s Sky“: Wer nichts macht, macht nichts falsch… Hello Games hat aber sehr viel gemacht: Man kann Raumschiffe ausbauen und durchs All steuern, Basen und Technologien entwickeln, Orte erkunden, Nebenquests verfolgen, Fotos schießen, Aliens beeindrucken und einiges mehr. Kostenlose Updates verbessern und erweitern das Spiel seit der Veröffentlichung. Das Beeindruckendste an diesem Spiel ist aber der erstaunliche Versuch, eine ganze Galaxie zu simulieren. „No Man’s Sky“ ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Open World ein faszinierendes Spielkonzept ist, welches ein Spiel aber nicht automatisch gut macht.
No Man’s Sky (Beyond). Hello Games. 2016. Gespielt auf der PS4. Einzelspieler mit Online-Mehrspieleroptionen. // Screenshots: Seitenkünstler Aaron.
[tds_note]Ein Beitrag zur Themenreihe „Open World Games“. Vom 17. bis zum 25. Februar 2020 stellen wir euch in der Spielstraße anhand von augewählten Open-World-Spielen unterschiedliche Open-World-Konzepte vor. Hier werden alle Beiträge gesammelt. Wir wünschen allen viel Freude beim Lesen und sind gespannt auf eure Kommentare!
Grafik (Open World Map): Satzhüterin Pia[/tds_note]
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