Tam, Tam, Rattatatam, Tatam

von | 10.05.2018 | Belletristik, Buchpranger, Sach- und Fachbücher

Franziska Seyboldts neues Buch „Rattatatam, mein Herz“ erhielt in den letzten Monaten große mediale Aufmerksamkeit. Das ist erfreulich, behandelt es doch ein Thema, das alle etwas angeht: die Angst. Zeichensetzerin Alexa ist in sich gegangen und hat versucht, sich ihren Ängsten zu stellen.

Es ist nicht einfach zuzugeben, dass man Angst hat. Während Kinder ihre Gefühle – ganz gleich welcher Art – unkontrolliert oder unbewusst nach außen tragen, scheinen Erwachsene über die Jahre eine Mauer um sich herum erbaut zu haben. Erwachsene weinen nicht. Erwachsene haben keine Ängste. Erwachsene können ihre Gefühle kontrollieren. Erwachsene müssen stark sein. Diese Haltung führt dazu, dass sich Gefühle „anstauen“ und dieses „in-sich-hineinfressen“ Bauchschmerzen und sonstige Beschwerden auslöst.

„Unterdrückte Wut, heißt es oft, sei der Ursprung von Angst. Aber was hätte ich schon tun können? Die Angst war da, seit ich denken konnte, und außerdem wurde sie nicht müde, mir sehr überzeugend ihr Mantra vorzubeten: ‚Wenn du deine Wut offen zeigst, nimmt dich niemand ernst. Du musst lernen, dich zu kontrollieren. Nur dann wirst du unangreifbar.‘“ (S. 41)

Dabei sind Ängste etwas völlig Normales. Sie gehören zu uns wie andere Gefühle auch. Seyboldts Angst spricht mit ihr und ist sich absolut sicher, dass sie zusammengehören. Sie verschwindet genauso plötzlich wie sie aufgetaucht ist und manchmal ist sie besonders nervig, dann nämlich, wenn die Situation sowieso schon anstrengend ist.

Ich habe mich in Seyboldts Buch an so mancher Stelle wiedererkannt. Wenn es beispielsweise um Telefonate ging, Höhen- und Flugängste, das Autofahren und subjektiv wahrgenommenen Stress. Manchmal stressen die einfachsten Situationen: mit jemandem zu telefonieren oder einkaufen zu gehen, kann sehr viel Kraft und Nerven kosten. Dass dieser Stress, dem man sich aussetzt, für jede/n anders sein kann, wird dabei oftmals vergessen.

„Manche Menschen blühen erst mit einem übervollen Terminkalender so richtig auf. Andere drehen schon durch, wenn sie sich ihre To-do-Liste nur vorstellen. […] Stress ist keine Währung, die für jeden den gleichen Wert hat.“ (S. 66)

„Rattatatam, mein Herz“ ist in einem sehr einfachen, unterhaltsamen Stil geschrieben. Manchmal schimmert auch ein wenig Humor durch, wenn die Autorin – die hier auch die Protagonistin ist – beispielsweise mit der Angst kommuniziert. Die Personifikation dieser verhilft dazu, sich die Beziehung zwischen Mensch und Gefühl besser vorstellen und den Konflikt verstehen zu können: Dinge, die ein unter einer Angststörung leidender Mensch in dem Moment nur fühlt oder denkt, werden auf diese Weise sichtbar und zum Gespräch gemacht.

Aber „Rattatatam, mein Herz“ ist nicht nur unterhaltsam, sondern nimmt auch eine vermittelnde Funktion ein. Die Autorin beschreibt einerseits, wie sie ihren Alltag mit der Angst erlebt, und spricht andererseits auch ihre Anliegen an: Wir müssen „endlich mehr über psychische Leiden reden.“ (S. 247)

„Ich bin der festen Überzeugung, dass man Macht über psychische Krankheiten gewinnen kann, wenn man sie so konkret wie möglich benennt. Das Wort verrückt gehört nicht dazu, es ist erstens abwertend und lässt zweitens viel zu viel Raum für Spekulationen.“ (S. 246)

Dass die Autorin „verrückt“ sei, kam mir beim Lesen nicht in den Sinn – auch hinsichtlich der Tatsache nicht, dass sie das Buch ohne Pseudonym geschrieben hat. Denn es braucht Menschen, die Dinge sichtbar machen und Tabuthemen auflösen, bis diese zu etwas völlig „Normalem“ geworden sind. Wenn sich Menschen hinter Pseudonymen verstecken, bleibt der Sinn eines Tabuthemas erhalten, wie gut das Thema auch behandelt werden mag.

Wer zu „Rattatatam, mein Herz“ greift, wird also mit einer kleinen, aber wichtigen Geschichte belohnt. Das Buch ist innerhalb weniger Stunden gelesen, hinterlässt aber mit all den angesprochenen Themen wie Normalität vs. Verrücktheit und psychische Erkrankung ausreichend Input zum Nachdenken für viele weitere Stunden. Bemerkenswert daran ist, mit welcher Leichtigkeit die Autorin diese Themen verpackt und vermittelt, so als sei es das Normalste der Welt: Wir alle haben Ängste und können uns in diesem Buch mehr oder weniger wiederfinden – aber während die einen diese Tatsache einfach wegstecken und ihre Ängste „überwinden“, haben andere mehr damit zu kämpfen. Sich dies vor Augen zu halten, in Kommunikation und Interaktion mit anderen, ist schon ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Rattatatam, mein Herz. Franziska Seyboldt. Kiepenheuer & Witsch. 2018. Weitere Informationen zum Buch und zur Autorin findet ihr hier: www.franziskaseyboldt.de

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