Etwa zwei Jahre ist es nun schon her, dass ich meinen Master abgeschlossen habe. Eine längere Jobsuche und einen Umzug später sind endlich die Zweifel darüber wieder verschwunden, ob ich damals, 2012, die richtige Studienentscheidung getroffen habe. Zeit, einen wehmütigen Blick zurückzuwerfen. – Von Zeilenschwimmerin Ronja
Germanistik (im fachwissenschaftlichen Zweig) ist kein Studium, mit dem man später üblicherweise das große Geld macht. Es ist, wenn man so will – und das gilt im Übrigen wohl für die meisten Geisteswissenschaften – ein Fach für Überzeugungstäter*innen. Davon abgesehen: Germanistik ist nicht Schuldeutschunterricht. Sicher, es geht um Sprache, um Literatur und ohne Deutschunterricht im Vorfeld wäre es schwierig. Aber mein Studium hatte mit dem, was ich aus dem Unterricht kannte, eher wenig zu tun.
Die heilige Vierfaltigkeit
Fangen wir mit den Grundlagen an. Germanistik teilt sich in folgende vier Bereiche, die – je nach Universität und Studiengang – gleichberechtigt oder schwerpunktmäßig behandelt werden: ältere und neuere Sprachwissenschaft und ältere und neuere Literaturwissenschaft. Die Sprachwissenschaft (oder auch Linguistik) ist dabei der „naturwissenschaftliche“ Teil der Germanistik. Hier geht es darum, wie Sprache aufgebaut ist, wie sie entsteht (historisch und biologisch) und wie sie sich entwickelt. Welche Laute können wir Menschen erzeugen? Welche nutzen wir in der deutschen Sprache? Wie werden aus Lauten Silben, aus Silben Wörter und aus Wörtern Sätze? Welche Veränderungen (in Aussprache und Bedeutung) haben bestimmte Wörter erlebt? Welche dialektalen Unterschiede gibt es? Wie entsteht Sinn aus einzelnen Silben und Wörtern? Wie verändert er sich in bestimmten Kontexten?
Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die Sprachwissenschaftler*innen an der Sprache interessiert. In der älteren Sprachwissenschaft geht es um vergangene Formen des Deutschen: Mittelhochdeutsch zum Beispiel, also das, was die Menschen vor hunderten von Jahren sprachen. Die neuere Sprachwissenschaft behält die Vergangenheit der Sprache im Hinterkopf, nutzt sie als Grundlage, beschäftigt sich aber eigentlich mit dem Ist-Zustand, den aktuellen Entwicklungen. Denn Sprache ist niemals statisch.
Hilfe! Grammatik!
Ihr werdet in der Sprachwissenschaft auch mit Grammatik zu tun haben. Glaubt mir, das war für mich in der Schule auch kein Spaß. Aber an der Uni habe ich endlich verstanden. Es wurde interessant, weil es nicht nur um das bloße Auswendiglernen und „Ist halt so“ ging, sondern um das „Warum?“ und „Woher kommt das?“.
Ich muss gestehen, dass mich die Sprachwissenschaft – insbesondere die ältere – trotz all der spannenden Fragen nie vollkommen gepackt hat. Dennoch gibt es vieles, das hängen geblieben ist. Ich hatte einige begeisterte Dozent*innen, die begeisternde Seminare gaben. In einem beschäftigten wir uns zum Beispiel mit aktuellen sprachlichen Entwicklungen. Das reichte von Jugendsprache über Slang bis zu gendergerechter Sprache und ihren verschiedenen Formen.
Ich nicht weiss wie schreiben richtik
Aber das coolste sprachwissenschaftliche Seminar war für mich ohne Zweifel „Lüge und sprachliche Täuschung“, in dem wir genauer analysiert haben, was eine Lüge ausmacht und wie sie aufgebaut ist. Als Beispiel legte uns die Dozentin Erpresserbriefe vor, deren Verfasser*innen vorgaben, des Deutschen nicht ganz mächtig zu sein, indem sie absichtlich Fehler einbauten. Sie wollten damit den Eindruck erwecken, ungebildeter zu sein, als sie tatsächlich waren, oder den Verdacht auf Nichtmuttersprachler*innen lenken. Das ist jedoch schwieriger, als man im ersten Moment vielleicht annimmt.
Echte Fehler sind konsistent. Wenn ich nicht weiß, wie Verben korrekt konjugiert werden, die Groß- und Kleinschreibung nicht beherrsche oder Probleme mit den Artikeln habe, dann mache ich üblicherweise immer dieselben Fehler. Tauchen solche Fehler nur sporadisch oder in unterschiedlicher Ausführung auf – wenn beispielsweise mein Satzbau nicht immer auf die gleiche Weise falsch ist – ist das ein starkes Indiz dafür, dass sich jemand verstellt.
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
Meinen Schwerpunkt im Studium legte ich auf die Literaturwissenschaft – die neuere Literaturwissenschaft. Die ältere war schon auch interessant, aber ich habe einfach keinen rechten Zugang zu den mittelalterlichen Schriften gefunden. Doch ich will nicht saggen und klaggen (kleiner Scherz für die eingeweihten edlen Damen und kühnen Recken unter euch), denn ein weiteres meiner Lieblingsseminare stammte aus diesem Bereich. An diesem Kurs zur Artus-Sage begeisterte mich weniger das Thema an sich, sondern seine Ausgestaltung. Unsere Dozentin gestattete uns für unsere Vorträge und Hausarbeiten selbst die aktuellsten, populärkulturellen Bezüge. Ein Referat beschäftigte sich etwa mit der (nach einer Staffel abgesetzten) Serie „Camelot“ mit Jamie Campbell Bower als Artus. Und meine Hausarbeit schrieb ich über die Jugendbuchreihe „Gwydion“ von Peter Schwindt unter der Fragestellung, ob sie als Fanfiction zur Artus-Sage gelten kann. Es geht kaum cooler.
In der neueren Literaturwissenschaft fühlte ich mich jedoch schon von Beginn an am wohlsten. Schließlich war es ja auch meine Leidenschaft fürs Lesen, die mich zum Germanistikstudium brachte. Aus dieser Begeisterung heraus waren für mich oft sogar die literaturtheoretischen Seminare interessant (besonders Theorien und Diskussionen über Autorschaft, wobei sich mir die Argumentation zum angeblichen „Tod des Autors“ nie wirklich erschlossen hat). Auf jeden Fall um ein Vielfaches interessanter als das ewige Geplapper einer Kommilitonin, die sich leider in den ersten Semestern immer neben mich setzte und vor der ich mich versteckte, wenn sie an derselben Haltestelle wartete.
Grusel statt Goethe
Da es mir – problemlos, möchte ich betonen – gelang, die schon tausendfach durchgekauten Klassiker wie Goethe und Schiller fast vollständig zu umgehen, wurden mir neue Bereiche der Literatur offenbart oder ich konnte meine Interessen vertiefen. Besonders interessant – auch aus der Perspektive eines Hobby-Schreiberlings – war etwa ein Seminar zu multiperspektivischem Erzählen. Reicht es schon, wenn unter der Kapitelüberschrift der Name einer anderen Figur steht oder muss sich nicht viel eher der Erzählstil selbst verändern, damit es tatsächlich eine andere Perspektive ist?
Gruselig wurde es dagegen im Seminar zur literarischen Phantastik. Ein Genre, das sich dadurch auszeichnet, dass man am Ende im Unklaren darüber bleibt, was real ist und was nicht. Kann sich die Frau gegenüber wirklich in eine Spinne verwandeln oder bildet sich das der Protagonist nur ein? Der Spannungsliteratur widmete ich auch meine Bachelorarbeit, in der es um Regionalkrimis ging: vom lustigen Alpenkrimi („Föhnlage“) über Giftgasangriffe in Kassel („Nervenflattern“) bis zur ermittelnden italienischen Großmutter in der Nordseeküste („Die Tote am Watt“).
Zeit für Monster
In meinem literaturwissenschaftlichen Master wurde die Auswahl der Werke sogar noch aktueller. Auch wenn ich mit der Organisation des Studiengangs nicht vollkommen zufrieden war, inhaltlich hat es für mich weitgehend gestimmt. Wir haben – so wie auch hier beim BK – mit dem erweiterten Literaturbegriff gearbeitet. Der Grundgedanke dahinter ist: Alles ist Text, weil alles voller Symbole und Geschichten ist, egal ob Film, Theaterstück, Tanz, Bilder … Im Prinzip alles, was von Menschen geschaffen wird.
So konnte ich mich zum Beispiel mit Zeitstrukturen in Agatha-Christie-Adaptionen und Harry Potter beschäftigen. Und in meiner Abschlussarbeit habe ich das Märchen „Die Schöne und das Biest“ mitsamt diverser Adaptionen (darunter „King Kong“, „Shrek“ und „The Shape of Water“) daraufhin untersucht, wie das Biest/das Monster dargestellt wird.
Natürlich ist nicht alles prickelnd im Studium. Manche Seminare waren schlicht langweilig (thematisch oder durch die Art der Dozent*innen), manche Dozent*innen machten sich das Leben leicht, indem sie so viele Referate vergaben, dass sie selbst keinerlei Input geben mussten. Und manchmal kann man eben den nervigen Kommiliton*innen nicht aus dem Weg gehen. Aber das Positive überwiegt für mich. Von jemand anderem könnt ihr sicher auch das vollkommene Gegenteil hören. An einer anderen Uni, an der sie besonders großen Wert auf Klassiker oder Althochdeutsch legen, hätte ich vermutlich auch ein anderes Fazit gezogen.
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