Es geht in die nächste Runde für die Geschichtensammlungen von Gardener Dozois und George R. R. Martin! Der vorliegende Band umfasst stolze 1055 Seiten, auf denen es von zwielichtigen Leuten nur so wimmelt. Einundzwanzig unterschiedlichste Kurzgeschichten bilden diese Anthologie. – Von Bücherhorterin Claudia
Erneut ist es den beiden Herausgebern gelungen, eine sehr gute Mischung verschiedenster Genres zu präsentieren. Es ist überaus interessant, die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema Schurken zu verfolgen.
Gleich in der ersten Geschichte von Joe Abercrombie geht es hoch her: Die Leser begleiten ein mysteriöses Päckchen auf seinem Weg durch die Gaunerstadt Sipani. Die Kurierdame Carcolf hatte sich schon ausgemalt, wie sie diesen Job zu Ende bringen könnte, doch dann bedroht sie auf einmal ein armer Schlucker und das Päckchen, das nicht geöffnet werden darf, ist erst einmal über alle Berge. Diese Geschichte besticht vor allem durch teilweise aberwitzige Wendungen und Wege, die verschiedene Schicksale beleuchten. Die Leser lernen diese berüchtigte Stadt vielleicht ein bisschen zu gut kennen…
„Die unheimlichen Geschehnisse von Carterhook Manor“
Ganz anders sieht es in „Die unheimlichen Geschehnisse von Carterhook Manor“ aus. Was tut man, wenn es in der Handjob-Branche nicht mehr läuft, weil einem das Karpaltunnelsyndrom dazwischen funkt? Genau, man wandelt sich einfach zur Handleserin und verdient sich damit eine goldene Nase. Rotzfrech und geradeheraus erzählt Gilllian Flynn die Geschichte von „Nerdy“, die Besuch von einer ganz besonderen Kundin bekommt. Ihr Stiefsohn sei besessen, seit die Familie in eine alte viktorianische Villa gezogen sei. Nerdy wittert das große Geld, denn die Familie scheint wohlhabend – so eine Aura-Reinigung, gerne auch mehrmals, ist ja kein großes Ding. Ein wenig Lavendel hier, ein bisschen Salbei verbrennen und Salz verstreuen und den Leuten erzählen, was sie hören wollen. Allerdings steckt mehr hinter dieser Geschichte als die Einbildung einer verzweifelten Mutter und bald stellt sich die Frage, ob es so eine gute Idee war, diesen Job anzunehmen.
Schattenseiten der Erzählkunst
Diese und weitere Kleinode finden sich in dem Band, der 2015 im Original unter dem Titel „Rogues“ bei Bantam Books publiziert wurde. Wieder wird hier für jeden Lesegeschmack etwas geboten, sei es nun eine klassische Fantasy-Story wie „Das Wirtshaus der sieben Segen“, in der sich ein verzweifelter Gott an einen Halunken wendet, ein Science-Fiction-Abenteuer, in dem ein Agent seinem jüngeren Ich aus einer Parallelwelt gegenübersteht, oder Joe R. Landsdales „Tillie“, eine knallharte Gangstergeschichte voller menschlicher Abgründe und Gewalt.
Jeder Geschichte geht eine Kurzvorstellung des oder der jeweiligen Autorin voraus. So bekommt man noch einige Leseempfehlungen mit auf den Weg. Der Band bietet beste Unterhaltung für alle, die auch die Schattenseiten der Erzählkunst faszinierend finden und gerne die bösen Buben in den Hauptrollen verfolgen. Nachdem mit „Der Bruder des Königs“ schon die zweite Anthologie von Dozois und Martin erschienen ist, steigt die Hoffnung auf eine deutsche Veröffentlichung weiterer Bände wie „Warriors“ und „The Book of Swords“, der im amerikanischen für Oktober 2017 angekündigt ist. Dieser soll eine reine Fantasy-Anthologie werden.
Persönlicher Lesetipp: Neil Gaiman „Wie der Marquis seinen Mantel zurückbekam“.
Der Bruder des Königs. George R. R. Martin, Gardner Dozois (Hrsg.). Übersetzung: Andreas Helweg, Andreas Kasprzak, Michaela Link, Tobias Toneguzzo. Penhaligon. 2016.
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