Gemeinsame Lesezeit ist ein wahres Geschenk. Wer erinnert sich nicht gerne an Geschichten, die von Oma oder Opa vorgelesen wurden, oder an die Bilderbücher, die man mit seinen Eltern vor- und zurückblätternd, wild gestikulierend und lachend erlebte? Und wer hat noch nie in seinem Leben auf der letzten Seite eines solchen Buches die magischen Worte „NOCHMAAAAL“ ins Kinderzimmer gejauchzt? Ihr erinnert Euch? Lange ist es her und in den letzten Jahren habe ich ein wenig das Gefühl, dass die Hektik der Zeit, die vielfältigen Verpflichtungen und der Alltagsstress immer weniger Raum für dieses gemeinsame Vergnügen übrig lassen.
Dabei ist es so wichtig für Groß und Klein. Nicht nur, weil geschenkte Zeit die wertvollste Zeit ist, die man miteinander verbringen kann. Beim gemeinsamen Lesen lernt man wieder, die gleiche Sprache zu sprechen, Bilder und Geschichten im trauten Teamwork zu erschließen und sich gegenseitig mit Fantasie, Freude und guten Gedanken zu überschütten. Lässt man Kinder mit ihren Bilderbüchern alleine, dann geht dieses Vergnügen verloren. Und am Ende aller guten Geschichten fehlt der letzte kleine und entscheidende Schritt, den Kinder zumeist nicht ohne Hilfe oder Anleitung hinbekommen. Es fehlt der zündende Funke. Der Impuls.
Und was ist die Moral von der Geschicht`? Eine Frage meiner Oma, die mich heute noch umtreibt. Was hat das Buch mit mir zu tun? Verbirgt es eine Botschaft abseits der eigentlich erzählten Geschichte oder in welche Richtung muss und darf ich denken, um den Faden des Erzählers aufzunehmen und dem Buch meinen Stempel aufzudrücken? Fragen, mit denen Kinder alleine überfordert sind und Fragen, die sie sich oft gar nicht stellen, wenn ihnen Bilderbücher zum reinen Zeitvertreib oder zum kindlichen Selbststudium in die Hand gedrückt werden. Bis auf die Frage „Na, war`s schön?“ kommt dann oft nicht mehr, und mit der Antwort „Ja, ganz toll“ können die Wegbegleiter des Heranwachsens nichts anfangen. Wozu auch?
„Nochmaaaaaal“
Dabei ist es so leicht. Es tut nicht weh, dauert keine Stunden und ist allemal sinnvoller, als dem Versinken der Kids in den Spielewelten von Computergames oder der passiven Berieselung durch das Fernsehen bedenkenlos zuzuschauen. Macht was aus Eurer Zeit. Greift zum Bilderbuch und lasst das Staunen zu. Seid selbst mal so crazy, am Ende einer Geschichte laut „Nochmaaaaaal“ zu rufen und legt Euch Malstifte und Papier neben das Bilderbuch, falls die Geistesblitze zu zündeln beginnen. Aktiv lesen, aktiv schauen und noch Tage danach bei einem Blick in die Umgebung den Insider bringen „Das ist doch wie im Buch…“ Das ist Teamlesenstaunenlachen. Habt Ihr Lust darauf?
Na prima. Ihr müsst auch nicht weit weggehen. Bleibt einfach „Zuhause“ mit dem gleichnamigen Bilderbuch von Carson Ellis, erschienen im NordSüd Verlag. Hier kann man sich bedenkenlos mit Kindern im Erstlesealter in eine wundervolle Welt begeben, die Einblicke in das Zuhause unterschiedlicher Menschen, Tiere und Fantasiegestalten bietet. Ein zeitloses Vergnügen, dem auch ein wenig ältere Büchermenschen (so wie ich selbst) liebend gerne folgen, weil der Betrachtung der farbenfrohen und erfreulich gegenständlichen Illustrationen in Verbindung mit den kurzen Texten das eigene Fantasieren, Denken und Fühlen einsetzt.
Die Bilder gleichen manchmal den beliebten Wimmelbildern, auf denen man die kleinen Details des Alltags aufspüren kann. Alle Bilder strahlen eine große Wärme aus und laden zum Verweilen ein. Und sie beantworten die Fragen, wie Menschen so wohnen, wo sie leben und wie unterschiedlich das aussehen kann. Wir betreten Paläste, Schiffe, Wigwams, große, kleine und vergammelte Häuser. Kinder erkennen schnell das Schöne in den Unterschieden, finden Elemente ihres eigenen Zuhauses und entscheiden selbst, wo sie auf gar keinen Fall zuhause sein wollen. Es ist interessant, ihren Gedankenflügen zu folgen.
Und ganz besonders spannend wird es dann, wenn das betrachtete „Zuhause“ mal ganz von der Norm abweicht. Kann man unterwegs wohnen, wie geht das Leben in einem Schuh und gibt es wirklich Mondianer? Aus klaren Zuordnungen im Text werden Fragen an die Kinder und nach nur wenigen Bildern sprudeln die Antworten nur so aus ihnen heraus. Wohnen unter einer Tasse? Klar macht das Sinn. Und Häuser unter einer Glasglocke sollte es echt geben. Von Seite zu Seite wächst der Spaß und springt zurück ins wahre Leben, wenn man den Kindern erzählt und zeigt, welche „Zuhauses“ man selbst schon hatte.
„Wo bist du zuhause? Wo wohnst du?“
Hier bleibt die Geschichte nicht im Buch. Die Details sorgen dafür. Der traurige Blick der Kinder, die in einem Palast wohnen und das fröhliche Lachen eines kenianischen Schmieds vor seiner kleinen Hütte zeigen, dass Glück nichts mit Reichtum zu tun hat. Mit neuen Augen sehen die Kinder ihr eigenes Zuhause und nachdem Carson Ellis am Ende ihres Bilderbuches zeigt, wo sie selbst zuhause ist (ein wundervolles Wimmelbild, auf dem man so viele Gegenstände aus dem Buch wiederfindet, denn „Hier wohnt eine Künstlerin“) verwundert es nicht, wenn nun selbst gezeichnet wird. Interaktiv wird das Buch mit der letzten Frage. Hier wendet sich die Autorin an uns alle: „Wo bist du zuhause? Wo wohnst du?“
Na, neugierig geworden? Lust auf unbeschwerte Lesestunden? Dann nichts wie rein in ein neues literarisches „Zuhause“. Spätestens beim nächsten Spaziergang nach diesem Bilderbuch werdet Ihr erkennen, welche Bilder sich in den Herzen unserer Kleinsten festgesetzt haben und wie sehr sie verinnerlicht haben, dass eine Villa nicht immer ein Zeichen für glückliche Menschen ist. Lesen fürs Leben. Leben fürs Lesen. Habt Spaß.
Weitere Jugend- und Kinderbücher findet Ihr in meiner kleinen literarischen Sternwarte AstroLibrium in einer kunterbunten eigenen Kategorie voller Spaß, Spiel, Spannung und viel Tiefgang. Herzlichst, Euer Arndt.
Ein Beitrag zum Projekt #litkinder. Hier findet ihr alle Beiträge.
Zuhause. Text und Illustration: Carson Ellis. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bodmer. NordSüd Verlag. 2016. Altersempfehlung: ab 4 – 6 Jahre (gem. Verlag).
Bilder: Arndt Stroscher, Illustration: Buchstaplerin Maike
Ein wirklich schöner Auftakt für den Kindermonat! Ich fühle mich – trotz stressiger Zeit – irgendwie …entschleunigt? 😀
Liebe Satzhüterin… es freut mich, Dich ein wenig entschleunigt zu haben. Vielleicht kann ich Dich sogar noch mehr einbremsen, wenn der Stress mal zu groß wird. Bei Literatur Radio Bayern findest Du eine Vielzahl meiner Rezensionen auch zum Hören… Glaub mir, ich kann Dich sogar in den Schlaf sprechen… lach…
https://astrolibrium.wordpress.com/about/literatur-radio-bayern/
Liebe Grüße aus der Sternwarte,
Arndt
Da habe ich direkt ein wenig herumgestöbert, lieber Arndt! Danke für den Link!
Du bist noch wach? Herzlichen Dank für den Besuch und immer entschleunigte Zeiten…
Bei diesem Buch kamen bei uns nach der Lektüre tatsächlich die Stifte zum Einsatz und mein Sohn hat sein Traumzuhause gemalt 🙂
Liebe Miri, ja es gibt eben solche Bücher, bei denen der Funke überspringt. Du weißt das besser als ich, da Du ein wahres Kometenzzentrum im Bereich Kinder- und Jugendliteratur bist. Zuhause ist so einfach und so inspirierend, dass der Funke hier in jedem Fall zündet…
Liebe Grüße aus der Sternwarte
Arndt