Was kommt nach dem Hype

von | 27.11.2018 | Belletristik, Buchpranger

Nach dem Erfolg von Benedict Wells‘ „Vom Ende der Einsamkeit“ wurde sein neuer Band mit Geschichten von vielen sehnsüchtig erwartet. Ob „Die Wahrheit über das Lügen“ diesen Erwartungen gerecht wird? Worteweberin Annika war, um ehrlich zu sein, nicht restlos überzeugt.

In seinen Geschichten schreibt Wells über die Wahrheit und darüber, wie man sie erkennt. Und über das Lügen, soviel verrät ja schon der Titel. Über die kleinen Lebenslügen, die wir uns selbst und anderen erzählen, aber auch über größere. Das sind leise Geschichten, die da erzählt werden, und es braucht ja auch nicht immer eine große Blockbuster-Spannung. Es geht um Erinnerungen an das Grundschulheim, das Ende einer Ehe, das verbunden ist mit dem Ende einer Fliege, um die Entscheidung zwischen Liebe und Kunst, um das Sterben.

„Sie dachte an ihren verstorbenen Mann. Wenn ihre Erinnerung ein Kino war, dann waren die Jahre mit ihm ein Klassiker, der noch jeden Abend lief.“ (S. 92)

Das Herzstück des Bandes bildet die titelgebende Erzählung „Das Franchise oder: Die Wahrheit über das Lügen“. Wells erzählt darin von einem gescheiterten jungen Drehbuchautor mit einer persönlichen Fehde gegen George Lucas, der mit einem Aufzug ins Jahr 1973 zurückreist und dem Star-Wars-Erfinder seine Idee vorwegnimmt. Welche Auswirkungen diese Lüge auf sein Leben, aber auch das der anderen, hatte, erzählt der inzwischen sehr Erfolgreiche einem Journalisten im Interview. Die Idee zu dieser Geschichte ist interessant, zumal das Ende vage bleibt, aber es bleibt doch eine Spielerei. Insbesondere von der titelgebenden Erzählung hätte man mehr erwarten können.

Interessanter ist da vielleicht „Ping Pong“, worin es um zwei Personen geht, die in einem Keller nur mit einer Tischtennisplatte eingeschlossen sind. Das Aufschlagen des Balles wird zum Rhythmus ihres Lebens, während die Luft immer dicker wird – beide sind sich sicher, dass nur der entkommen kann, der das entscheidende Spiel gewinnt. Doch welches wird das sein? In dieser Geschichte zeigen sich die Abgründe der Menschen, das vorherrschende Konkurrenzdenken unserer Gesellschaft.

Luft nach oben

Sprachlich bleiben die Erzählungen in diesem Band unauffällig. Und während die meisten Ideen zu den Texten wirklich schön sind, ist ihre Umsetzung doch verbesserungswürdig. Als Beispiel kann hier die erste Geschichte des Bandes aus dem Jahr 2018 herhalten. Der Inhalt ist recht schnell beschrieben. Am Geburtstag seines kranken Sohnes steigt ein Geschäftsmann auf einen Berg nahe des Ferienhauses, unterwegs wird ihm bewusst, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen sollte. Doch als er viel zu spät unten wieder ankommt, sind viele Jahre vergangen. Da bleiben Fragen offen: Hat der Mann Alzheimer oder ist hier tatsächlich etwas Fantastisches passiert? Darauf muss natürlich keine Antwort gegeben werden, im Gegenteil. Diese letzte Wendung wird aber sprachlich und motivisch kaum vorbereitet, so dass das Gefühl entsteht, man hätte aus der Geschichte mehr machen können. Kein glanzvoller Start in einen Band mit Erzählungen.

Fragmente und Ergänzungen

Für viele Fans des Erfolgsromans „Vom Ende der Einsamkeit“ sind an diesem Band wohl besonders die beiden mit dem Roman verknüpften Texte interessant: Eine vom Protagonisten Jules als Kind verfasste Geschichte über sprechende Bücher und eine aus dem Roman gestrichene Passage, die die Vergangenheit von Jules Vater Stéphane aufklärt. Schön dabei ist, dass die Geschichten vom Autor kontextualisiert werden und sich zumindest die eine auch gut verstehen lässt, wenn man den Roman nicht kennt. Bei der anderen, „Die Entstehung der Angst“, weist Wells darauf hin, man solle sich gut überlegen, ob man die Geschichte tatsächlich lesen oder lieber ein paar Leerstellen des Romans offen lassen wolle. Das muss natürlich jeder und jede für sich selbst entscheiden. Mich persönlich hat die Geschichte nicht überrascht und im Nachhinein wäre mir ein kleines Geheimnis lieber gewesen.

„Die Wahrheit über das Lügen“ vereint kurzweilige, aber nicht herausragende Erzählungen aus zehn Jahren. Wer den Autor kennenlernen möchte, sollte besser zu einer seiner anderen Veröffentlichungen greifen – und auch für Fans ist dieser Band kein Muss.

Die Wahrheit über das Lügen. Zehn Geschichten aus zehn Jahren. Benedict Wells. Diogenes. 2018.

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