„Der Beste sein, das ist immer auch subjektiv, und deshalb bringt es nichts, sich mit anderen zu vergleichen. Man sollte einfach nur der Beste sein wollen, der man sein kann.“
Für unsere Musik-Ausgabe hat sich Autor Benedict Wells bereit erklärt, Alexas Fragen speziell zum Thema Musik und Reisen zu beantworten.
BK: Du hast mehrere Jahre in Barcelona gelebt – was hat dich dazu bewogen, nach Spanien zu ziehen? Gibt es außerdem eine Stadt, in der du gerne mal leben würdest?
BW: Der Entschluss, nach Spanien zu gehen, war eher spontan. Nach der Schule hatte ich ja eben nicht studiert, sondern jahrelang nur gearbeitet und geschrieben, kein richtiges Leben gehabt, nichts. Als es mit dem Traum endlich klappte, beschloss ich, meine Freiheit als Schriftsteller zu nutzen und mir die verlorene Zeit zurückzuholen. Ich wollte in einem Land im Süden leben, eine neue Sprache lernen, im Hinterkopf hatte ich Filme wie „L’auberge espagnol“. Anfangs hatte ich Schiss, denn ich kannte ja niemanden und konnte kein Wort Spanisch. Am Ende blieb ich fast vier Jahre, in einer internationalen WG. Mit die schönste Zeit in meinem Leben. Ich bin sehr dankbar für all die wunderbaren Momente und meine Freunde dort.
BK: In „Becks letzter Sommer“ begibt sich Beck auf eine lange Reise – reist du selbst gerne? Und warst du schon mal in Litauen?
BW: Ich reise gar nicht mal so gerne, aber ich liebe es, gereist zu sein. Ich liebe die Erinnerungen und die Bilder, die ich von all diesen Trips behalte. Die verregneten Rocky Mountains, die milchige Sonne an einem Wintertag in Hammerfest, die schmalen, schlecht beleuchteten Gassen einer französischen Kleinstadt bei Nacht. In Litauen war ich noch nicht, obwohl ein sehr guter Freund von mir aus Vilnius ist – was sicher eine Rolle dabei spielte, dass Rauli aus diesem Land kommt. Ich werde ihn diesen Sommer besuchen. Da ich Flugangst habe, muss ich erst nach Kiel und dann mit der Fähre weiter nach Litauen.
BK: Was ist Musik für dich? Gibt es ein Genre, das du bevorzugst?
BW: Um mal mit einem Zitat aus dem wunderbaren Film „Almost Famous“ zu antworten, was Musik für mich ist: „To begin with… everything.“ Musik spielt eine riesige Rolle in meinem Leben, ich höre pausenlos Songs. Allerdings kein spezielles Genre. Ich pendle zwischen Singer/Songwriter und Folk, Alternativ, Indie, Electro, Hip Hop, Swing und Blues. Wenn’s gut ist, auch gern mal klassisch Pop und Rock. Und ich liebe Filmsoundtracks und Scores.
BK: Hörst du beim Schreiben immer Musik? Oder gibt es Momente, in denen du beim Schreiben einfach Ruhe brauchst? Wo schreibst du am liebsten?
BW: Früher habe ich beim Schreiben oft Musik gehört. Traurige Songs bei emotionalen Szenen etwa. Oder eben Soundtracks. Hervorragend eigneten sich etwa die von „Absolute Giganten“, „Moneyball“, „Into The Wild“, „The Perks Of Being A Wallflower“ und „Drive“. Inzwischen schreibe ich manchmal auch bei Stille. Der Ort dagegen ist egal. Laptop aufklappen und los geht’s.
BK: Der litauische Schüler Rauli spielt Gitarre „wie ein Gott“. Warum eine Gitarre und kein anderes Instrument? Spielst du selbst ein Instrument? Gibt es eins, das du gerne beherrschen würdest?
BW: Okay, wenn jemand Gitarre wie ein Gott spielt, gibt es sieben von zehn Klischeepunkten. Aber ich war ja auch 21 bzw. 22, als ich die Geschichte schrieb. Und mit Gitarre sind nunmal die größten Sehnsüchte des Rock’n’Roll verbunden. Hendrix, Berry, Clapton, Page, King, Richards… Auch einen Dylan stellt man sich instinktiv eher mit Gitarre vor, denn am Klavier sitzend. Ich hatte selbst mal zwei Jahre Unterricht. Endergebnis: kein Talent. Ungerechte Welt, also holte ich meine Träume eben im Buch nach. Heute interessieren mich aber eher Klavier und vor allem Synthesizer. Eines Tages würde ich gern elektronische Musik machen.
BK: Auf seinem Trip von München nach Istanbul, den Beck zusammen mit Charlie und Rauli macht, erlebt er Höhen und Tiefen. Er fragt sich: „Wieso selbst spielen und singen, wenn da jemand ist, der es so viel besser kann?“ Ja, warum? Was treibt die Menschen deiner Meinung nach an, Dingen nachzugehen, die andere vielleicht viel besser können?
BW: Ich habe oft über diese Frage nachgedacht. Schlussendlich ist die Antwort: Weil man nicht anders kann. Und weil die anderen egal sind. Man muss nur lernen, sich nicht an ihnen zu orientieren. Es wird immer jemanden geben, der besser ist. Hemingway dachte vermutlich, Fitzgerald sei besser, und der wiederum vielleicht umgekehrt. Bei „Becks letzter Sommer“ gibt es einen Satz, dass ein intelligentes außerirdisches Wesen vermutlich sogar einen Hamlet oder Mozartstücke für minderwertigen menschlichen Quatsch halten könnte. Was bringt es überhaupt, der Beste zu sein? Was bringen diese dummen Vergleiche? Ich weiß, dass ich niemals der beste Schriftsteller sein werde, aber das wäre auch ein idiotisches Ziel. Es macht mich glücklich, wenn es einfach ein paar Menschen gibt, die meine Geschichten wirklich mögen. Mehr geht nicht, mehr kann niemand wollen. Neulich lese ich zum Beispiel wieder „Alles, was wir geben mussten“ von Kazuo Ishiguro und denke mir: „Mist, den hole ich nie ein, der ist unerreichbar, großartig“. Ich empfehle den Roman auch auf Lesungen. Und dann schreibt mir eine Leserin, dass sie dieses Buch von Ishiguro daraufhin gekauft und vor Langeweile abgebrochen habe. Geschmäcker sind eben verschieden. Gott sei Dank. Der Beste sein, das ist immer auch subjektiv, und deshalb bringt es nichts, sich mit anderen zu vergleichen. Man sollte einfach nur der Beste sein wollen, der man sein kann.
BK: Dein Roman ist voller Lebensweisheiten. So z.B.: „[…] Jeder kennt den Spruch: Es gibt nur ein Leben. Aber niemand denkt darüber nach. Also wenn Sie diese Frau lieben, dann folgen Sie ihr, egal, wohin. Und wenn Sie die Musik lieben, dann spielen Sie, ganz gleich, wie erfolgreich Sie damit sind. Der Rest kommt dann von allein.“ Kann man diese Weisheiten als deine Lebenseinstellung sehen?
BW: Ja. In den ersten Jahren, als ich nur Absagen bekam, war es natürlich hart. Aber gleichzeitig zog ich so unendlich viel Befriedigung daraus, dass ich wenigstens in etwas gescheitert war, was ich liebte. Ich denke oft an den Tod, das hat einige Nachteile. Der Vorteil ist aber, dass ich mir ganz klar vorstellen kann, wie es ist, am Ende seines Lebens auf alles zurückzublicken. Und dann will ich nichts bereuen müssen. Dann ist plötzlich alles nichtig. Ein paar Jahre hier, ein Job da. Alles egal. Aber wie Monolithen ragen einzelne Dinge heraus. Hat man das getan, was man wollte? Hat man um die Liebe gekämpft? Hat man genug gereist und mit seinen Freunden gemacht?
BK: Es gibt auch zwei Facebook-Seiten, die an „Becks letzter Sommer“ anknüpfen: „Becks letzte Bücher“, auf der Buchempfehlungen von Robert Beck, dem Deutschlehrer aus dem Roman, gepostet werden. Und die Seite „Radio Rauli Kantas“, auf der Lieblingssongs des litauischen Schülers Rauli Kantas zu finden sind. Werden diese Seiten von dir betreut? Welcher Gedanke steckt dahinter?
BW: Ja, natürlich werden die von mir selbst betreut. Es ist für mich einfach ein Spaß, noch ein wenig Zeit mit den Figuren zu verbringen. Ich habe Beck, Rauli, Lara und Charlie geliebt. Man hat als Autor nicht immer solche Charaktere. Deshalb freue ich mich auch sehr, dass „Becks letzter Sommer“ gerade fürs Kino verfilmt wird, mit Christian Ulmen in der Hauptrolle. Es bedeutet, dass die Figuren so stark waren, dass sie das Buch verlassen haben und nun lebendig werden. Etwas Schöneres kann es für einen Autor nicht geben.
BK: Kannst du uns ein wenig über deinen vierten Roman erzählen? Wann können wir mit der Erscheinung rechnen?
BW: Das Buch handelt von drei Geschwistern, die behütet und glücklich aufwachsen, ehe ihre Eltern bei einem Unfall sterben. Die Geschichte schildert, wie sie sich in den Jahren danach durch diesen Schicksalsschlag verändern, wie sie damit umzugehen lernen und selbst noch als Erwachsene davon beeinflusst sind, als sie selbst schon Kinder haben. Es geht viel um die Frage, wie sehr die eigene Kindheit und Jugend über einen bestimmen und was in einem Menschen unveränderlich ist, egal, welche Wendungen sein Leben nimmt. Vor allem aber ist es eine große Liebesgeschichte über mehrere Jahrzehnte. Ich schreibe seit fast fünf Jahren an diesem Roman und ich weiß noch nicht, wann er rauskommt. Ich hoffe im Herbst 2015, vielleicht aber erst 2016. Ich will zuvor alles für dieses Buch getan haben und nehme mir alle Zeit.
BK: Am Ende eines Interviews stellen wir stets unsere „Bücherstadt Kurier“-Fragen. Stell dir vor, du wärst ein Buch – welches wärst du und warum? Und um an deinen Roman „Fast genial“ anzuknüpfen: „Wenn du ein Song wärst, was für einer wärst du?“
BW: Wenn Comics im weitesten Sinne auch als Buch zählen, dann wäre ich ein Spider-Man Comic aus den Sechziger Jahren. Ich hatte mich in meiner Jugend immer mit Peter Parker identifiziert. Und ich wäre als Song „Neighborhood #1“ von Arcade Fire.
BK: Welche drei Dinge würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen und warum diese?
BW: MP3-Player mit unendlichem Akku. „Krieg und Frieden“ von Tolstoi, das ich dann vermutlich endlich fertig lesen würde. Und ein Notizbuch.
BK: Was machst du, wenn dich unser Buchfink besuchen kommt?
BW: Dann quatschen wir über alte Zeiten. Darüber, wie es war, einst „Krabat“ zu lesen und sich zum ersten Mal für eine Geschichte richtig zu begeistern.
BK: Welche Frage hast du dir in einem Interview schon immer mal gewünscht und wie würde deine Antwort darauf lauten?
BW: Meine Frage: „Darf ich Ihnen überraschenderweise mein Millionenvermögen überweisen?“ Meine Antwort: „Klar, her damit.“
Foto: Johanna Feil
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