Zwischen toxischen Arbeitsverhältnissen, Machtmissbrauch und dem Verfolgen der Träume – „Die Assistentin“ von Caroline Wahl begleitet Charlotte durch ihre Zeit im neuen Job als Assistentin in einem Verlag in München. Was sich hinter dem Symbol des Verlagswesens verbirgt, regt zum Nachdenken an, findet Bücherstädterin Alica.
„Wichtige und mächtige Männer haben bestimmt alle ihre Neurosen, dachte Charlotte. Sonst würden sie bestimmt durchdrehen, die armen Männer.“ (S. 39)
In ihrem dritten Roman „Die Assistentin“ widmet sich Caroline Wahl der Geschichte von Charlotte, die eigentlich den Traum hat, Musikerin zu werden. Stattdessen zieht sie nach München, um in einem Verlag zu arbeiten. Der Roman führt uns durch die Jahreszeiten, die Charlotte dort verbringt, und beleuchtet Arbeitsbedingungen, Machtstrukturen und familiäre wie romantische Beziehungen. Am Ende steht die Frage, wo grenzüberschreitende Muster beginnen oder schon längst Teil des Alltags sind.
Leichte Sprache – schwere Themen
Die Zeit in München wird für Charlotte vor allem geprägt durch die Erfahrung, als erste Assistentin des Verlegers zu arbeiten. Schon früh werden hierarchische Strukturen und Machtgefälle sichtbar, die sich bald als kaum auszuhalten erweisen. Im Laufe der Handlung bahnt sich unter anderem eine junge Liebesbeziehung zu Bo an, die schnell auf die Probe gestellt wird. Neben ihrer Arbeit im Verlag macht Charlotte weiterhin Musik – ein Halt in dieser schwierigen Zeit.
Schon zu Beginn des Romans werden die Lesenden von einer auktorialen Erzählinstanz geleitet, die kommentierend eingreift und kommende Ereignisse vorwegnimmt. Für mich eröffnete dieser Stil weniger einen Zugang zu Charlottes Innenwelt, sondern wirkte eher wie eine kalkulierte, kommentierende Erzählweise. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Einsatz von Wiederholungen, kurzen Sätzen und der Verwendung englisch etablierter Begriffe. Gerade dieser Sprachgebrauch macht die Handlung für mein Empfinden jedoch greifbar, nah am Alltagsgeschehen und für ein breites Publikum zugänglich – auch wenn der Roman schwerwiegende Themen beinhaltet.
Sind wir Assistentinnen?
„Die Wurzel allen Übels war eigentlich ihr Vaterkomplex.“ (S. 10)
Besonders eindrücklich gelingt Wahl die Verknüpfung von Charlottes Arbeitsverhältnissen und Beziehungsdynamiken mit ihren familiären Prägungen. Der Vaterkomplex und das Streben nach Anerkennung durch männliche Autoritätspersonen spiegeln patriarchale Strukturen wider, die im Alltag wirksam sind. Auch die Verbindung des Romantitels mit den inhaltlichen Komponenten finde ich gelungen. Die Rolle der Assistentin wird zu einer Metapher: Frauen sollen verfügbar sein, Care-Arbeit leisten und dazu noch wechselnden Schönheitsidealen entsprechen. Gleichzeitig zeigt die Autorin, wie Charlotte selbst misogyne Verhaltensweisen übernimmt und damit, wie tief solche Muster verinnerlicht sein können.
„Jeanne war ok. Kompetenter als Ivana allemal, dafür hatte sie keinen Humor. Sie lachte noch nicht einmal, als Charlotte ihr erklärte, dass jede neue Assistentin eine Obst- oder Gemüsesorte zugeordnet bekam und der Verleger für sie eine Kartoffel ausgesucht hatte.“ (S. 234)
Durch ihre Rhetorik und Darstellung macht die Autorin spürbar, wie unauffällig sich solche Strukturen in den Alltag einschreiben. Gerade weil die Thematik in der Handlung eher subtil angelegt ist, erscheint mir eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Text notwendig, um diese scheinbaren Selbstverständlichkeiten nicht unreflektiert zu lassen.
Das Konzept des Verlagshauses als Allegorie
Wie schon in Wahls vorherigen Romanen spielt auch hier eine Liebesbeziehung eine Rolle, nimmt jedoch nicht viel Raum ein und steht damit im Kontrast zu vielen anderen Erzählungen, in denen romantische Partnerschaften das Leben von Frauen bestimmen. Gelungen finde ich, dass die Autorin die Beziehung nicht ins Zentrum rückt: Charlotte wächst zwar auch durch die gemeinsame Erfahrung mit Bo, doch ihre Entwicklung ist nicht davon abhängig, in einer Partnerschaft zu sein, um ihr Glück zu finden.
Die Figur von Bo hatte für mein Leseverstehen die Funktion, darüber nachzudenken, inwiefern Glück und Machtmissbrauch koexistieren können. Auch die Rolle der Eltern regt mich zum Nachdenken an und beleuchtet die Dynamik von Schuldzuweisungen, Übergriffigkeit und Hilflosigkeit. Mit der Darstellung der unterschiedlichen Figuren und dem Konzept des Verlagshauses eröffnet sich mir zudem die Möglichkeit, eine Übertragung in eigene Lebensverhältnisse herzustellen – ein Aspekt, der für mich besonders bemerkenswert ist.
Raum für Diskurs
Überzeugen können für mich in „Die Assistentin“ Tempo und Erzählweise. Besonders die kommentierende, vorausschauende Perspektive hält die Spannung aufrecht. Auch stilistisch fühlt sich die Form bedeutsam an, da die Handlung im Verlagswesen stattfindet und die Erzählfigur dadurch eine lektorierende Funktion einnimmt und sich so rhetorisch die hierarchischen Strukturen spiegeln lassen können.
Manche Aspekte, etwa die Kritik am Literaturbetrieb, hätten noch schärfer herausgearbeitet werden können. Der Roman fungiert eher als Beschriftung anstatt als Analyse dessen, was dort passiert. Dabei stellt sich die Frage, welche Anforderungen im Sinne eines Bildungsauftrags überhaupt an einen unterhaltenden Roman gestellt werden dürfen.
Den Roman würde ich dennoch empfehlen, da er zentrale gesellschaftliche Themen zwar subtil verhandelt, aber zu einer kritischen Auseinandersetzung einlädt.
Die Assistentin. Caroline Wahl. Rowohlt. 2025.
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