„Literatur ist eine Kunst, deren Möglichkeiten ihre Voraussetzungen um Vielfaches übersteigt. Ich brauche keine Hundertschaften oder ausgefeilte Ausstattung – mit Tinte und Papier kann ich Welten erschaffen.“
„Und auf dem Berg, tabula rasa“ ist Thilo Sauers erstes eBook, das dieses Jahr beim Bücherstadt e.V. veröffentlicht wurde. Wir haben ihm einige Fragen zur Idee, dem Entstehungsprozess und literarischen Vorbildern gestellt.
1. Mit „Und auf dem Berg, tabula rasa“ ist dein erstes Buch erschienen – wie fühlst du dich dabei?
Ziemlich komisch – weil ich gerade nicht weiß, ob ich mich nun jedes Mal als Autor vorstellen oder ob ich das lieber alles runterspielen soll. Denn zum einen mag ich bescheidene Künstler:innen mehr als selbstverliebte. Zum anderen setzt man sich mit jeder Veröffentlichung auch der Kritik aus und wenn man die Sache selbst nicht so groß macht, trifft die Kritik dann auch nicht. Also: einfach ein bisschen komisch, aber ist ja auch keine große Sache.
2. Wie ist die Idee zum Buch entstanden?
Kann ich inzwischen von mir behaupten, ein Geschichtenerzähler zu sein? Dann kann ich auch etwas weiter ausholen: Ich habe mit meiner Freundin damals beschlossen, einen Blog zu starten (der gerade noch an den Maschinen hängt und noch diskutiert wird, wie wir ihn noch am Leben halten können). Ich habe den hauptsächlich für mich geschrieben, aber wir waren wohl gut genug, dass die Menschen vom Bücherstadt Kurier uns mochten. Und weil ihr uns dann verlinkt habt und auch mental unterstützt habt, wollte ich auch gerne etwas zu eurem Projekt beisteuern.
Also habe ich immer mal auf der Seite geschaut, welche Texte bei euch gesucht werden. Damals war das Projekt „100 Bilder – 100 Geschichten“ noch ziemlich aktiv. Zu Bild 28 hatte ich eine, wie ich immer noch finde, ziemlich gute Idee für eine Theaterszene, die aber in meinem Kopf so ausuferte, dass ich gar nicht erst angefangen habe (noch nicht). Dann kam das Bild 29 und als ich am nächsten Tag aufwachte, hatte ich eine Idee und Zeit. Schließlich kam das Bild 32 und ich wollte wirklich etwas schreiben, konnte aber noch nichts richtig fassen.
An einem Donnerstagabend saß ich in einem Konzert mit Klaviermusik von Bernstein und Chopin, dachte an den Text von Bild 29 und das Bild 32 fügte sich langsam in einen Kontext. Ich nahm mein Notizbuch (ja, ich bin diesbezüglich etwas old school) und schrieb die ersten Worte auf. Irgendwie zog sich der Text aber und war zum Fristende kaum zu Hälfte vollendet, aber trotzdem viel zu lang. Ich habe ihn dennoch geschickt.
Und Monate später meldete sich der Bücherstadt Kurier. Gemeinsam haben wir überlegt, was wir mit diesem Text-Fötus anfangen sollen. Das Ergebnis könnt ihr lesen.
3. Ursprünglich lautete der Titel „Die Schneeverwehten“ – wie kam es zu dieser Titel-Änderung?
Dieser Titel stand lange und gut über dem Text, während wir ihn redigiert haben. Dafür haben wir uns ja viel Zeit gelassen – wir haben jeden einzelnen Satz diskutiert und teilweise noch neue Teile eingefügt. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob der Satz „und auf dem Berg tabula rasa“ wirklich mir eingefallen ist oder ob wir ihn nicht sogar zusammen gefunden haben. Auf jeden Fall habe ich gesagt, dass das auch ein guter Titel wäre. Und Aaron meinte kurzerhand, dann machen wir das. Nun steht er da und irritiert eventuelle Leser:innen.
4. Wird es eine Fortsetzung geben? Und gibt es schon Pläne für weitere Bücher?
Ich würde nicht von Fortsetzung sprechen. Ich hatte kurz vor der Veröffentlichung überlegt, ob wir an die Stelle, wo sonst gerne „Roman“ steht, „Work in Progress“ schreiben wollen. Dieser Text ist ein verlassener Steinbruch, in dem sich immer wieder etwas Neues anlagert, während an anderer Stelle etwas abgetragen wird. Solange das Universum nicht explodiert, entwickelt sich das einfach weiter.
Übrigens schreibe ich viel in einem Programm für Notizen. Und da gibt es tatsächlich noch einige andere Ideen, die man mal weiterverfolgen könnte: Eine metaphysische SF-Geschichte, eine halbfertige Variation des Last-Man-Motivs, die Idee eines Romans über Trägheit und Utopie, ein Theaterstück, das die Idee des Metaverse sozusagen umdreht (und damit ein Gegenstück zur metaphysischen SF-Geschichte bildet). Also viel Zukunftsmusik, die vielleicht niemals jemand hören wird.
5. Warum hast du dich für den Bücherstadt Verein als Herausgeber entschieden?
Der Verein hat sich mehr für mich entschieden. Weder meine Energie noch meine eigene Wertschätzung für mein Schreiben sind groß genug, als dass ich jemals aktiv einen Verlag gesucht hätte. Insofern vielen Dank für die ständige Ermutigung!
6. Wie kann man sich deinen Schreibprozess vorstellen?
Ich wünschte, ich könnte das leicht beschreiben – denn dann wäre ich vielleicht schneller beim Schreiben. In der Regel gibt es irgendeinen Impuls von außen – ein Bild, eine Zeile, eine Beobachtung in der Straßenbahn; vielleicht ist es auch ein eigener Gedanke. Manchmal schreibe ich einfach irgendwo eine Zeile und fange dann einfach an, manchmal wälze ich aber auch hin und her und fange erst an, wenn der Text in meinem Kopf fast fertig ist – um dann beim Schreiben zu merken, dass ich doch alles etwas anders machen sollte. Eine Sache ist dabei allerdings fast unabdingbar: Ich höre eigentlich immer Musik, oft ist es ein Song in Dauerschleife.
7. Was bedeutet dir Literatur?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Zuerst einmal liebe ich jede Form von Kunst und Unterhaltung: Ich gehe im Urlaub in jedes Museum, für das ich Zeit finde. Ich höre immer Musik – auch in diesem Moment und sogar wenn nirgendwo Musik läuft, kann ich sie hören. Ich gehe manchmal mehrfach in der Woche ins Theater – egal ob Tanz, Oper oder Schauspiel. Ich mag starke Bilder und ich liebe gute Geschichten. Jede dieser Kunstformen hat seinen besonderen Wert, auch die Literatur (ich spare mir jetzt mal Gedanken darüber, was alles Literatur sein kann und meine das geschrieben Wort): Ich kaufe mir ständig Bücher (weil ich es mir leisten kann, den Markt zu unterstützen), die ich dann kaum lese, weil ich mir gleichzeitig noch zahlreiche Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen habe. Für diese Liebe gibt es so viele Gründe.
Literatur ist immer verfügbar: Ich kann 1000 Jahre alte Ideen in ihrer ursprünglichen Form erfahren. Ich kann sie abends im Bett genauso genießen, wie morgens in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit.
Literatur ist eine Kunst, deren Möglichkeiten ihre Voraussetzungen um ein Vielfaches übersteigt. Ich brauche keine Hundertschaften oder ausgefeilte Ausstattung – mit Tinte und Papier kann ich Welten erschaffen.
Literatur schafft das Unmögliche: Auf der Scheibenwelt von Terry Pratchett gibt es die Farbe Oktarin. Wer die Bücher nicht gelesen hat, wird davon noch nie etwas gehört haben – weil es diese Farbe gar nicht gibt. Wir können mit dieser Farbe nicht malen, aber wir können von dieser Farbe erzählen. Deswegen sind Monster in Büchern immer schrecklicher als in Filmen – weil man ihre Künstlichkeit nie bemerkt. Das ist doch einfach faszinierend.
8. Hast du Vorbilder in der Literaturbranche?
Ich habe in meiner Jugend viel Fantasy und Sci-Fi gelesen. Schon damals dachte ich, dass es ziemlich cool wäre, auch Romane zu schreiben. Aber ich wusste auch, dass ich für diese epischen Formen nicht ganz geeignet bin – weil ich nicht das Gefühl hatte, so ausführlich erzählen zu können oder nützliche Charaktere gestalten zu können. Doch dann habe ich auch immer wieder andere Bücher gelesen, die ganz anders waren, sich einfach mehr gewagt haben. Das hat mir erst den Mut gegeben, überhaupt mal zu schreiben.
Ob ich mir nun aber echte Vorbilder genommen habe, kann ich gar nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe von so vielen Büchern viel gelernt, viel mitgenommen, aber ich eifere nicht nach, auch weil ich immer gleich nach den Schwächen suche.
Vielleicht dennoch einige Namen: Ich liebe „House of Leaves“ von Danielewski, weil es geschickt mit Formen spielt. „Winters Garten“ von Valerie Fritsch und „eigentlich müssten wir tanzen“ von Heinz Helle, wegen der Kälte in ihren Texten. Gedichte von Jan Wagner, wegen ihres Spiels mit den Klängen; von Thilo Krause für seine genauen Beschreibungen. Texte von Roland Schimmelpfennig, die (manchmal etwas generisch) einen mythischen Sound entwickeln. Jugendbücher von Sarah Crossan, die zeigt, wie stark Romane in Versen sein können. So wie Ann Carson, die wie kaum jemand anders mit Textsorten und anderen Werken spielt, um ihre Ideen auszudrücken. … Darf ich später noch ergänzen?
9. Was ist dir lieber: Bücher schreiben oder ÜBER Bücher schreiben?
Am liebsten rede ich über Bücher, von Angesicht zu Angesicht.
10. Obligatorische BM-Frage: Wenn du ein Buch wärst, welches wärst du?
Ich habe ja schon ganz viele wunderbare Bücher genannt. Aber wenn es darum geht, welches Buch ich sein möchte, dann würde ich lieber ein Theaterstück nennen. Da ich es zuerst in einem Buch gelesen habe, bevor ich es sehen konnte, ist das sicherlich in Ordnung: „zwei herren von real madrid“ von Leo Meier. Ich überlege schon lange, wie man über echte Utopien (also keine, die sich doch als Dystopien à la auf Kosten von anderen herausstellen) schreiben kann, ohne dass sie langweilen. Und in gewisser Weise hat Meier das geschafft, auch wenn er dafür keine neue Welt beschrieben hat. Die Figuren in diesem humorvollen Text sind so nett zueinander, dass mir das Herz aufgeht. Das ist doch erstrebenswert.
0 Kommentare