Besuch vom Grafen – Interview mit einem Vampir II

von | 25.10.2022 | #Todesstadt, Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher, Specials

Nach ihrem Besuch vor zwei Jahren bei Graf Dracula höchstselbst hat Bücherstädterin Kathrin nun im zweiten Band von „Memento Monstrum“ geschmökert. Wie es ihr gefallen hat und ob der Graf sich noch einmal blicken lässt, erfahrt ihr hier.

Gemütlich sitze ich auf meiner Couch und genieße meinen Anis-Pfefferminz-Tee, als es plötzlich klingelt. Nanu? Wer kann das sein? Besuch erwarte ich heute keinen. Ich öffne die Tür und sehe … Niemanden.

Ich verdrehe die Augen. Das muss wohl ein Klingelstreich gewesen sein. Ich will die Tür gerade wieder schließen, doch dann fällt mein Blick auf ein Paket auf der Fußmatte. Es ist in blutrotes Packpapier gewickelt und mein Name steht in geschwungenen grazilen Buchstaben drauf. Seltsam…

Ich nehme das Paket mit in die Wohnung, um es genauer zu inspizieren. Außer einem roten Wachssiegel kann ich keinerlei Briefmarken oder dergleichen erkennen. Moment – das auf dem Siegel ist doch eindeutig eine Fledermaus! Verwundert kräusele ich meine Stirn.

Ich entferne das rote Papier und zum Vorschein kommt ein ebenso blutrotes Buch! Ich schmunzele, als ich das Cover erblicke. Diese Persönlichkeit erkenne ich doch sofort! Eine sehr flauschige Fledermaus mit blutroten Augen, einem Mantel in derselben Farbe und einer Sonnenbrille – Graf Dracula! Auf seinem Schoß sitzt eine noch flauschigere kleinere Fledermaus – seine entzückende Enkelin Globinchen. Ein „Awwwww“ entfährt mir und ich muss grinsen.

Sofort kuschele ich mich wieder auf meine Couch und fange an zu lesen. Ich versinke in der Geschichte und die Zeit verfliegt im Nu. Als ich das Buch beendet habe und aufblicke, ist bereits tiefschwarze Nacht. Der Himmel ist sternenklar. Der Mond hängt wie eine silberne Scheibe am Firmament.

Unerwarteter Besuch

Ich habe mir gerade neuen Tee aufgesetzt, um das Buch des Grafen Revue passieren zu lassen, als ich ein Klopfen vernehme. Huch, was ist das? Ich verorte das Geräusch beim Fenster und kann dort eine dunkle Gestalt ausmachen. Ich zucke merklich zusammen und mein Tee schwappt über den Rand. Es klopft erneut. Es wirkt nun schon fast ungeduldig. Ich kneife die Augen zusammen und erkenne vom Mondlicht umrahmt eine fledermausförmige Gestalt, die verdächtig flauschig ist.

Ich öffne das Fenster. „Herr Graf!“, entfährt es mir überrascht.

„Na endlich haben Sie mich gehört, meine Liebe. Farbe bekommen sie auch langsam wieder. Ich dachte schon, Sie kippen mir gleich aus den Latschen vor Schreck!“, erwidert der Graf.

Farbe dürfte ich mittlerweile wirklich wieder haben. Mir schießt die Röte ins Gesicht, weil ich mich etwas schäme, ihn nicht sofort erkannt zu haben. Schließlich ist der Graf eine Persönlichkeit, die ich sehr bewundere.

Ich räuspere mich kurz, um mich zu fangen. Dann trete ich zur Seite: „Kommen Sie doch bitte herein.“ Ich warte, doch der Graf flattert noch immer vor meinem Fenster. „Möchten Sie nicht? Sind Sie nur auf der Durchreise?“

Nun ist es am Grafen sich zu räuspern. „Doch, sehr gerne, aber dafür müssten Sie noch dieses unsägliche Etwas entfernen.“

„Das unsägliche Etwas? Oh, ja, natürlich! Verzeihen Sie, Herr Graf!“ Schnell löse ich das Fliegennetz vom Rahmen, damit der Graf in mein Wohnzimmer flattern kann.

„Ich danke Ihnen. Ich bin nun doch etwas erschöpft von der weiten Reise.“

„Setzen Sie sich. Kann ich Ihnen ein Getränk anbieten? Ich habe gerade frischen Anis-Pfefferminz-Tee aufgebrüht.“

„Das klingt abenteuerlich, aber ich erwäge dieses Risiko einzugehen“, lächelt der Graf und seine Zähne blitzen.

Das neue Buch

Während ich uns einschenke, deutet er auf das Buch und das daneben liegende Lesezeichen. „Sie haben es also schon gelesen?“

„Aber natürlich, direkt und sofort – sogar umgehend, nachdem ich es ausgepackt hatte. Habe ich Ihnen dieses Überraschungspaket zu verdanken?“

Der Graf nippt an seinem Tee, kräuselt kurz die Nase und stellt die Tasse wieder ab. „Ja, ich dachte mir, dass Sie sich sicher über die Fortsetzung freuen würden, nachdem Ihnen der erste Teil so zugesagt hat. Und dann dachte ich, warum nicht das junge Fräulein besuchen und mit ihr über mein neues Buch plauschen?“

„Das ist wirklich sehr nett, Herr Graf! Vielen Dank! Das freut mich wirklich sehr. Aber hätte ich Sie heute erwartet, hätte ich …“

„Kuchen da?“, witzelt der Graf in Anlehnung an das berühmte Lied. „Machen Sie sich nichts daraus, ich bin kein Freund von süßen Klebrigkeiten. Dieser wundersame Tee reicht mir völlig. Ich bin sehr genügsam, was das angeht.“  Das sehe ich, denn sein Tee steht nach dem ersten Schluck verwaist auf dem Couchtisch. Ich will ihm gerade etwas anderes anbieten, als er mich fragt: „Nun, wie hat Ihnen denn Band zwei gefallen?“

„Oh, einfach großartig! Die Erzählung knüpft nahtlos an den ersten Band an. Ich bin sehr glücklich, dass ich noch mehr von Ihren spannenden Geschichten genießen konnte. Das Abenteuer von Ihnen und Kong, das auf der Spitze des Empire State Buildings gipfelt, war phänomenal. Aber diesmal kommen ja auch Ihre Freunde zu Wort.“

„Ja, das stimmt. Yeti erzählt ihre Erlebnisse bei Doktor Viktor Frankenstein.“

„Und wir lernen ihren vom Doktor erschaffenen Bruder Ferdinand kennen. Van Helsing berichtet ebenfalls von seinen Abenteuern. Das ist eine fulminante Mischung. Und auch in diesen Erzählungen erfahren wir Dinge, die Monster betreffend, die so sicher nicht bekannt sind. Kong hat es zum Beispiel zunächst mit einer Komiker-Karriere versucht.“

„Richtig. Das war damals eine wilde Zeit in New York. Ich hatte noch nicht allzu viel von der Welt gesehen. Ich war ja noch ein Jungspund …“ Der Graf seufzt nostalgisch und ich erwische mich bei dem Gedanken, ob der Graf als junge Fledermaus wohl noch flauschiger war als jetzt.

„Aber wo Sie eben erwähnten, dass auch meine Freunde diesmal zu Wort kommen“, fährt der Graf fort, „fällt mir die wichtige Bemerkung von meinem Freund Archie ein.“

„Der Werwolf, richtig?“

„Ja, genau der. Er meint, dass Geschichten immer von denen erzählt werden sollten …“

„… die dabei waren“, ergänze ich.

Der Graf nickt zustimmend. „Exakt.“ Nachdenklich streicht er sich über das flauschige Kinn. „Ich sehe, Sie haben das Buch wieder sehr aufmerksam gelesen.“

Und die Moral von der Geschicht‘ …

Ich nicke wild, erkenne aber den grüblerischen Ton in seiner Stimme. „Auch in dem zweiten Band geben Sie uns wieder eine wichtige Botschaft mit auf den Weg: Menschen sind oft die schlimmsten Monster. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis, denn was macht Monster zu Monstern? Das Aussehen? Sicher nicht! Es sind die Taten.“

Der Graf nippt nun doch noch einmal an seinem Tee, schüttelt sich dann aber kurz und stellt ihn wieder weg. „Das ist die Quintessenz, meine Liebe. Ich danke Ihnen für diese Zusammenfassung. Es sind definitiv unsere Entscheidungen, unser Verhalten anderen gegenüber – seien es nun Monster oder Menschen. Nur weil jemand äußerlich nicht den Normen entspricht, bedeutet dies nicht, dass er ein Monster ist. Aber diejenigen, die das vermeintliche Monster quälen, sind die wahren Übeltäter.“

„Man sollte seine Träume deswegen nicht vergessen und den Faktor Liebe nicht unterschätzen“, ergänze ich die Gedanken des Grafen.

„Richtig. Getreu dem Motto: ‚Wir sind Monster, wir wagen alles.‘“

„Das ist ein sehr schönes Lebensmotto. Trotz des doch ernsten Tones und der wichtigen Botschaft schwingt auch viel Hoffnung in den Erzählungen mit, eben weil Freundschaft und Liebe ein so wichtiger Teil dessen sind.“

Kurz schweigen wir beide, dann ergreife ich erneut das Wort. „Jochen Till erzählt die Geschichten wieder großartig“, Zustimmung beim Grafen, „und diese wichtigen Punkte untermalt Wiebke Rauer erneut einmalig mit ihren herzerwärmenden Illustrationen, von denen ich persönlich gar nicht genug bekommen kann.“ Mein Ton ist schwärmerisch.

„Definitiv“, stimmt der Graf mir zu. „Wobei sie meiner Meinung nach auch bei diesem Band wieder etwas mit der Flauschigkeit übertrieben hat – zumindest was meine Wenigkeit angeht.“

Die Flauschigkeit – richtig – das ist also noch immer ein wunder Punkt beim Grafen. Ich verkneife mir also meinen Kommentar, dass Wiebke Rauers Zeichnungen ihm bis aufs Haar gleichen und schenke mir stattdessen Tee nach.

„Ich hoffe, Sie verwenden dieses unsägliche Wort nicht allzu oft, wenn Sie unser Gespräch für die Rezension niederschreiben. In Ihrem letzten Interview kam es doch recht häufig vor.“ Der Graf glättet seinen roten Mantel und überschlägt die Beine.

„Sie meinen flauschig?“ Der Graf zuckt merklich zusammen. „Ja, genau das. Nun, für mich ist es an der Zeit aufzubrechen.“

Auf ein Wiedersehen?

„Ich habe Sie doch jetzt durch die Erwähnung dieses Wortes nicht verscheucht?“, frage ich besorgt. „Keineswegs, meine Liebe, aber es ist früh geworden. Ich muss mich sputen.“

Ich sehe auf die Uhr. Während des Gesprächs mit dem Grafen ist die Zeit genau wie beim Lesen wie im Fluge vergangen.

„Aber die Strecke schaffen Sie doch nicht in einem Stück, oder? Die Sonne geht bald auf“, sage ich bange. Der Graf schmunzelt. „Keine Sorge, junges Fräulein. Ich werde mir unterwegs ein sehr, sehr schattiges Plätzchen zum Rasten suchen.“

„Puh, da bin ich beruhigt.“ Erleichtert atme ich aus.

Der Graf erhebt sich und geht zum offenen Fenster. „Es war mir eine Freude, Sie besucht zu haben.“ Dann schwingt er sich in den Nachthimmel empor.

Ich lehne mich aus dem Fenster „Werden wir uns wiedersehen?“

„Ich hoffe doch. Aber nächstes Mal koche ich den Tee!“

Ich lächle peinlich berührt. Der Anis-Pfefferminz-Tee scheint ihm wirklich nicht geschmeckt zu haben. „Grüßen Sie mir Ihre Enkel, Ihre Frau und Ihre Tochter“, rufe ich ihm noch nach. Dann befestige ich das Fliegennetz wieder und schließe das Fenster.

Ich hoffe, dieses Interview hat euch neugierig gemacht, mehr über den Grafen und seine Freunde zu erfahren, denn das Buch ist wirklich ein flauschiger (entschuldigen Sie, Herr Graf) Gesamt-Genuss!

Memento Monstrum 2. Achtung haarig! Jochen Till. Nach einer Idee und mit Illustrationen von Wiebke Rauers. Coppenrath. 2022.

[tds_note]Hier geht’s zum ersten Interview mit dem Grafen.

Ein Beitrag zur Todesstadt. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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