„Dann rennen wir“

von | 13.06.2022 | Belletristik, Buchpranger

In „Dann rennen wir“ erzählt die irische Autorin Paula McGrath von drei Frauen, die sich auf jeweils ganz eigene Art von Familien, Gesellschaftskonventionen, Gewalt oder anderen Fesseln lossagen. Satzhüterin Pia ist nur so durch die Seiten geflogen und am Ende war das Leseerlebnis ganz anders als erwartet.

Lese ich rückblickend den Klappentext noch einmal, kann ich nichts Falsches darin finden und dennoch wird er der Geschichte kaum bis gar nicht gerecht. Jasmine rennt 1982 in Dublin von zu Hause weg und erkämpft sich wortwörtlich mit Boxen ihr eigenes Leben. Alis Mutter stirbt 2012 in Maryland. Plötzlich tauchen die ihr unbekannten Großeltern väterlicherseits auf, um sich um die minderjährige Enkelin zu kümmern, auch wenn sich die beiden alten Menschen kaum für sie zu interessieren scheinen. Schließlich läuft auch Ali davon und gerät in gefährliche Gesellschaft. Beide Stränge weisen gewisse Parallelen auf und sind doch ganz eigene Schicksale. Ebenfalls 2012 steckt eine namenlose Gynäkologin in einem unglücklichen Leben in Dublin fest. Auf der einen Seite steht ihre demente, im Sterben liegende Mutter, auf der anderen Seite ein Partner, der darauf wartet, dass sie endlich zu ihm zieht, den sie aber nicht zu lieben scheint.

Erst verwirrend …

Obwohl die Handlung mit drei Erzählsträngen zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten erstmal sehr kompliziert anmutet, schafft man es schnell, sich zurechtzufinden. Durch die auktoriale Erzählstimme bleibt man nah und dennoch seltsam distanziert an den jeweiligen Schicksalen dran. Die Ausnahme bildet die Geschichte um Jasmine, der jugendlichen Ausreißerin, die schließlich das Boxen anfängt. Sie erzählt ihre Geschichte in der Ich-Form und bildet so schnell den Hauptstrang.

Während die Erzählung insgesamt eher Raum für eigene Vorstellungen bietet, Situationen andeutet oder Optisches nicht weiter benennt, wird es an anderen Stellen wiederum sehr deutlich – da bleiben auch ekelige Schilderungen nicht aus. Die Geschichte wird durch das insgesamt so ausgewogene Auserzählen, Andeuten oder Nicht-Erzählen sehr authentisch und entwickelt einen spannenden Sog.

… dann fesselnd

McGraths unkomplizierter Schreibstil erleichtert es uns Leser:innen, uns schnell in das Buch und seinen erstmal verworren anmutenden Inhalt einzufinden. Die jeweiligen Kapitel sind sehr unterschiedlich gewichtet, manchmal erhaschen Leser:innen nur einen sehr kurzen zweiseitigen Blick auf die jeweilige Protagonistin, an anderer Stelle vergehen auf vielen Seiten ganze Monate im Leben einer anderen Protagonistin. Auch durch diesen Wechsel im Erzähltempo entwickelt der Roman eine gute Dynamik.

„Erst am Ende können wir mit einer gewissen Perspektive zurückschauen […]“ (S. 279)

Dieser Satz der Pflegerin der dementen Mutter im Erzählstrang der namenlosen Ärztin passt zur – ich nenne es mal unverfänglich – Botschaft, die die Geschichte am Ende bereithält. Ich möchte es nicht weiter vertiefen, weil es viel vom Sog und Spannungsbogen der Geschichte nehmen würde.

Paula McGrath traut uns Leser:innen etwas zu – sie wirft uns in die Geschichte rein, ohne Angst zu haben, dass wir nicht mitkommen. Sie verrät nicht zu viel und bindet uns schnell emotional an die Schicksale ihrer Protagonistinnen. Die Wendungen der Geschichte(n) sind packend und das ganze Buch liefert eine dynamische Vorstellung ab. Mich hat „Dann rennen wir“ sehr positiv überrascht – nur mit einer gewissen Brutalität des Lebens muss man als Leser:in umgehen können.

Dann rennen wir. Paula McGrath. Übersetzt von Karen Gerwig. GOYA. 2022.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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