„Das Bildnis des Dorian Gray“ als Graphic Novel

von | 30.01.2025 | Buchpranger, Graphic Novels, Comics, Manga

„Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde gehört zu den Lieblingsromanen von Geschichtenbewahrerin Michaela. Als sie den bereits vielfach adaptierten Klassiker als Graphic Novel sah, wurde sie neugierig.

Der wunderschöne junge Mann Dorian Gray lässt sich von seinem Freund, dem Maler Basil, porträtieren. In dessen Atelier lernt er Lord Henry Wotton kennen, mit dem er sich anfreundet. Lord Wotton stellt Dorians Schönheit und Jugend über alles und beeinflusst den jungen Mann so sehr, dass dieser insgeheim den Wunsch äußert, er möge nie altern, sondern das Bild statt seiner. Und es geschieht. Je mehr Zeit Dorian mit Lord Henry verbringt, desto mehr formt dieser ihn nach seinen Vorstellungen. Aus dem guten, freundlichen jungen Mann wird ein dekadenter Narzisst. Das Porträt Dorians altert währenddessen nicht nur, mit den Jahren wird es außerdem immer hässlicher und damit ein Abbild seines neuen Ichs.

Graue Schwaden

Insbesondere die ersten beiden Kapitel der Graphic Novel sind sehr langatmig. Der Reihenfolge von Sprechblasen und Bildern ist nur schwer zu folgen. Nur wenige Bilder zeigen die Handlungsorte vollständig, häufig ist nur ein Gegenstand zu sehen. Die Hintergrundfarben sind gedämpft gehalten in Beige, Braun, aber vorwiegend in Grau. Durch die meisten Bilder ziehen sich graue Schwaden, die Fragen aufwerfen. Die Protagonisten rauchen viel und im viktorianischen Zeitalter war London durch die Schornsteine der Haushalte und Fabriken in Rauch gehüllt. Und doch irritiert es, wenn auch im eleganten Restaurant die Tische von grauen Schwaden umhüllt oder die Gesichter nur teilweise dadurch zu erkennen sind. Vielleicht will Illustrator Petr Šrédl hierdurch auf die schleichende Entwicklung Dorians von einem sympathischen jungen Mann zum Narzissten hinweisen, sicher bin ich mir nicht.

Schönheit und Jugend

Oscar Wilde beschreibt Dorian Gray als einen sehr schönen jungen Mann. In den Illustrationen von Šrédl findet sich das Ideal Wildes in meinen Augen allerdings nicht wieder. Die Konturen sind eckig, verzogen oder unvollständig. Dass Šrédl Schönheit darstellen kann, zeigt er in Zeichnungen zu Kapitel 3. Hier wird Dorians große Liebe, die Schauspielerin Sibyl Vane, vorgestellt. Das Bild entspricht der idealistischen Vorstellung einer hübschen, jungen Frau.

Wilde schildert in seinem Roman die Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit. Die Adaption von Amálie Kovárova und Petr Šrédl kann die Atmosphäre des Klassikers, der die schleichende Veränderung eines sympathischen jungen Mannes darstellt, der am Anfang seines Lebens steht, nicht einfangen. Dass sich jeder Mensch am Ende des Lebens mit seinen Taten auseinandersetzen muss, ist eine Erkenntnis aus Wildes Roman, die auch heute noch und gerade in Zeiten von TikTok und Instagram aktuell ist, wie ehedem. Doch mit dieser Graphic Novel wird die Aussage von „Das Bildnis des Dorian Gray“ schwer zugänglich gemacht.

Ich habe die ein oder andere Graphic Novel gelesen. Diese waren eigenständige, abgeschlossene Geschichten und haben mir gefallen. Einen Klassiker der Literatur in eine Graphic Novel zu adaptieren, ist sicherlich eine Herausforderung. Amálie Kovárova und Petr Šrédl ist das nicht gelungen.

Das Bildnis des Dorian Gray. Nach Oscar Wilde. Text: Amálie Kovárova. Illustration: Petr Šrédl. Übersetzung: Anja Kootz. Knesebeck. 2021.

Michaela Kieckheim

Michaela Kieckheim

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