Das Okapi und der Tod

von | 07.02.2018 | Belletristik, Buchpranger

Ein skurriles, poetisches und mitreißendes Buch hat die deutsche Autorin Mariana Leky mit „Was man von hier aus sehen kann“ geschaffen. Satzhüterin Pia hat sich in das Dorf im Westerwald mit seinen liebenswürdig-schrägen Bewohnern begeben und herausgefunden, was Okapis und Träume mit dem Tod gemeinsam haben.

Die Geschichte der Ich-Erzählerin Luise ist oft traurig und berührend, doch obwohl in allen drei Teilen von „Was man von hier aus sehen kann“ der Tod allgegenwärtig ist, ist es weder deprimierend noch düster. Luise ist zu Beginn des Romans zehn Jahre alt und lebt in einem Dorf im Westerwald. Einem Dorf voller skurriler und höchst liebenswerter Charaktere. Weil ihre Eltern zu sehr mit ihrer unglücklichen Ehe beschäftigt sind, befindet sich Luise mehr in der Obhut ihrer Großmutter Selma und deren bestem Freund, dem Optiker des Dorfes, als der ihrer Eltern. Selma wirkt ein bisschen wie eine Art Dorfälteste. Sie steht mit Rat und Tat jedem zur Seite, es könnte jedoch auch der Eindruck entstehen, die Aufmerksamkeit der Dorfgemeinschaft möge etwas mit ihren Träumen zu tun haben…

„Immer, wenn der alten Selma im Traum ein Okapi erscheint, stirbt am nächsten Tag jemand im Dorf.“ (Klappentext)

Dies ist im Dorf allgemein bekannt, denn dreimal schon kam es ganz genau so und auch Luise hat bereits davon gehört. Nun hat Selma wieder von einem Okapi geträumt und erzählt lieber niemandem davon. Außer Luise. Nun, und ihrer Schwägerin Elsbeth. Nicht gerade für ihre Verschwiegenheit bekannt, weiß es kurz darauf das gesamte Dorf und die verbleibenden 24 Stunden werden nun gezählt. Wen es treffen wird, ist unklar, dass es so sein wird, haben die vergangene Okapi-Träume längst bewiesen. Also rücken die sich mit dem baldigen Tod konfrontiert sehenden Dorfbewohner mit unbequemen Wahrheiten heraus.

Leky zeichnet die unterschiedlichen Figuren sehr gekonnt, in ihrer Absurdität, Liebenswürdigkeit und auch Hilfslosigkeit. Der Optiker zum Beispiel ist schon sehr lange in Selma verliebt. Jeder weiß es, nur weiß er nicht, dass es jeder weiß und so schweigt er weiter und macht Selma damit (versehentlich) glücklich.

„Sie rollte den ohrenbetäubenden Draht ab.“ (S. 91)

Die Sprache des Romans ist großartig – fließend, überraschend, bildhaft und verfeinert durch zahlreiche Vergleiche, Wiederholungen und Metaphern. Die Kunst dabei ist, dass es nicht überladen wirkt. Zuneigung, Freundschaft und Liebe halten das Dorf auch im Angesicht des Todes zusammen, doch Leky lotet die Nuancen fein aus und eines ist der Roman trotz allem nie: kitschig.

Die Geschichte lebt auch von charmantem Witz, wie dem des Optikers, dessen Kittel ein „Mitarbeiter des Monats“-Schild ziert – nun, er ist ja auch der einzige Mitarbeiter. Oder Selmas Schwägerin, die abergläubische Elsbeth, die einen angesägten Hochsitz mit Kleber und Draht kitten will. Ein Hochsitz, auf dem der ewig betrunkene und sein Kind schlagende Palm sitzt. Ein Hochsitz, den der Optiker aus Ohnmacht dem kleinen, geschlagenen Martin gegenüber, ansägte. Ein Hochsitz, den er Elsbeth kurzentschlossen zu kitten hilft (zugegebenermaßen effektiver mit Nägeln und Brettern).

„Ein Okapi ist ein abwegiges Tier, das im Regenwald lebt“, rief ich, „es ist das letzte große Säugetier, das der Mensch entdeckt hat. Es sieht aus wie eine Mischung aus Zebra, Tapir, Reh, Maus und Giraffe.“ (S. 139)

Ähnlich abwegig wie ein Okapi wirken auch die Dorfbewohner. Und auch genauso magisch wie bei diesem unglaubwürdigen und noch immer mystisch anmutenden Tier, wirken einige Aspekte des Romans. Angefangen bei der Frau, die von einem Okapi träumt und so den nahenden Tod eines Dorfbewohners voraussagen kann. Die bunten Gestalten bilden ein noch bunteres Puzzle, aber dieses Puzzle verändert sich nicht. Wiederholungen, ein wirkungsvoll eingesetztes und beliebtes Stilmittel Lekys, entfalten ihre Wirkung umso besser: Sie funktionieren immer, denn alles bleibt wie es ist und keiner bricht aus seinem Muster aus. Dorfbewohner im Westerwald.

Im Kontrast dazu steht Lekys Sprache – Bilder, Vergleiche und Zusammenhänge, erfrischend neu und immer wieder überraschend. So skurril ein Okapi anmuten mag, so gleich sieht doch jedes Tier dieser Gattung aus. So skurril die Bewohner wirken mögen, sie bleiben, wer sie sind. Und so wie Okapis in der Tierwelt erfrischend herausstechen, so erfrischend schön liest sich Mariana Lekys „Was man von hier aus sehen kann“.

Was man von hier aus sehen kann. Mariana Leky. DuMont. 2017.

Foto und Illustration: Satzhüterin Pia

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