Hoch im Norden, am Rande des Königreichs Schlaraffien, lebt ein sagenumwobenes Ungeheuer, von dem man nur den Namen kennt. Obwohl niemand den Ickabog je gesehen hat, gibt es tausende unterschiedliche Vorstellungen von seinem furchteinflößenden Erscheinungsbild. Bücherstädterin Michelle-Denise hat ihn sich ein wenig wie den Grüffelo vorgestellt und scheute sich nicht, dem mysteriösen Wesen zu begegnen.
Seit Jahrtausenden erzählt man sich in Schlaraffien von einem gefährlichen Ungeheuer: dem Ickabog. Obwohl die meisten Menschen nicht an dessen Existenz glauben, hält sich die Sage dennoch aufrecht. Menschen soll er fressen, aber auch Schafe sollen ihm munden. Um seinen Ruf beim Volk zu verbessern, macht sich der König mit seinen zwielichtigen Beratern auf den Weg nach Marschland, dem nördlichsten Bereich seines Königreichs, dem nachgesagt wird, der Wohnort des Ickabogs zu sein.
Dort angekommen möchte der mutige König das Ungeheuer töten. Nach kurzer Zeit gerät er bereits direkt in ein Gefecht mit dem Ungetüm und nimmt angsterfüllt Reißaus. Doch hat er wirklich den sagenumwobenen Ickabog getroffen? Seine Berater bezweifeln dies und spinnen eine abenteuerliche Lüge für den König zurecht, die für die nächsten Jahre weitreichende Folgen für die Bevölkerung des gesamten Königreichs haben wird…
Kreativer Lockdown
Als J. K. Rowling an der Bestsellerreihe „Harry Potter“ arbeitete, begann sie über mehrere Jahre, zwischen den Veröffentlichungen der einzelnen Bände, an dem Märchen „Der Ickabog“ zu schreiben. Nach Beendigung der Geschichte um den jungen Zauberer Harry, ruhte das unfertige Manuskript des neuen Kinderbuchs mehr als ein Jahrzehnt auf ihrem Dachboden, bis die COVID-19-Pandemie ausbrach. Das Virus sorgte dafür, dass es weltweilt Millionen von Kindern nicht möglich war, zur Schule zu gehen oder Freunde zu treffen. Diese Gegebenheit inspirierte sie dazu, ihr Werk zu vollenden und zu veröffentlichen.
So kam es, dass sie die Geschichte „Der Ickabog“ 2020 kostenlos online zur Verfügung stellte und einen Aufruf startete, in dem sie Kinder darum bat, dieses Märchen für sie zu illustrieren. Laut Rowling sollte es Familien während des Lockdowns Abwechslung bringen und zur eigenen Kreativität anregen. Im selben Jahr wurde der Text als gebundenes Buch mit den schönsten eingesandten Bildern der Kinder sowie als Hörbuch veröffentlicht.
Ein Phantasiewesen mit flexiblem Erscheinungsbild
Die Geschichte rund um das potenzielle Phantasiewesen ist brillant aufgebaut. So ist man sich zu Beginn zunächst sicher, dass das Ungeheuer nur Teil eines Märchens ist. Die Handlung nimmt aber schnell Fahrt auf und vollzieht so manch ungeahnte Wendung. Das hat zur Folge, dass man nicht umhinkommt, sich immer wieder zu sagen: „Den Ickabog gibt es nicht! Oder doch?“. Eine weitere Frage, die man sich durchweg stellt, betrifft das Erscheinungsbild des Ungeheuers. So viele Menschen, die von ihm erzählen, so viele unterschiedliche Vorstellungen gibt es auch von seinem Aussehen.
Höchstwahrscheinlich der Sprecherin Heike Makatsch geschuldet, die dieser Hörbuchproduktion ihre Stimme geliehen hat (sowie auch der Hörbuchfassung von „Der Grüffelo“), habe ich mir den Ickabog tatsächlich ein wenig wie den Grüffelo vorgestellt. Nur größer. In Grün. Und an mancher Stelle etwas gefährlicher. Aber das ist das Schöne an dieser Geschichte – sie regt die Phantasie der Hörenden an. Jede Vorstellung des Ickabogs scheint zunächst richtig zu sein. Wie gesagt, zunächst, denn bisher hat ihn noch niemand mit eigenen Augen gesehen.
Ich habe es sehr genossen, der lebendigen Stimme von Heike Makatsch zuzuhören. Wie bereits beim „Grüffelo“ haben mich ihre pointierten Betonungen gespannt der Handlung folgen lassen. Makatsch schafft es zudem, den einzelnen Charakteren gekonnt eine besondere Stimmfarbe zu verleihen, die die Hörenden fragen lässt, ob es sich hierbei noch um Makatschs Stimme oder weitere Stimmen anderer Sprechenden handelt.
Philosophische Tiefe im Märchen verpackt
Mit Sicherheit ist das gedruckte Buch mit den Illustrationen der Kinder ein Genuss für die Augen, aber dieses Hörbuch ist durch Makatschs klare Stimme wahrlich ein Genuss für die Ohren. Rowlings tiefsinniges und lehrreiches Märchen lässt Parallelen zu schrecklichen Ereignissen der Weltgeschichte ziehen und so manches Verhalten ermahnen. Die Stunden sind beim Hören wie im Fluge vergangen. „Der Ickabog“ ist ein Märchen, das Kinder ab 8 Jahren und Erwachsene gleichwohl kreativ anspricht, unterhält und zum tiefsinnigen Nachdenken anregt.
Der Ickabog. J. K. Rowling. Gelesen von Heike Makatsch. Übersetzung: Friedrich Pflüger. Der Hörverlag. 2020. Ab 8 Jahren.
Das klingt nach einem witzigen Hörbuch – wie passend, dass ich gerade auf der Suche nach einem neuen Titel bin 😉