Der Wald birgt viele Geheimnisse

von | 20.04.2021 | Belletristik, Buchpranger

Poesiearchitektin Lena, die bereits seit einem Jahr im Homeoffice ist, vermisst die Natur und den Wald. Nach „So dunkel der Wald“ von Michaela Kastel präferiert sie allerdings doch eher den Strand.

Ronja und Jannik leben in einer Hütte im tiefsten Wald verborgen. Mit ihnen weitere Geschwister, die kommen und gehen. Gehen bedeutet hier nicht, in die Freiheit spazieren, sondern sterben. Alle Kinder haben etwas gemeinsam, denn sie wurden von ein und dem gleichen Mann in jungen Jahren entführt.

Ronja kümmert sich um den Haushalt, das Kochen und die jüngeren Kinder, während sie Gefühle für Jannik hegt, der diese nicht offensiv erwidert. Sie haben sich bereits an ihr Leben gewöhnt, da sie nichts anderes kennen, auch wenn es manchmal schwerfällt. Beispielsweise wenn sie beim Einkaufen andere Menschen treffen oder wenn Erinnerungen an die eigenen Eltern hochkommen. Dies weiß der Entführer allerdings schnell im Keim zu ersticken. Machen die Kinder nicht, was ihnen gesagt wird, werden sie ohne Vorräte in ein Loch geworfen, in dem man nur ein leises Tropfen hört, so dass ungewiss ist, ob sie je wieder herauskommen. Sie passen sich also weitestgehend an und machen, was von ihnen verlangt wird.

Als erneut ein Kind vermisst wird, fällt der Ermittlerin Sarah auf, dass es ein Muster zu geben scheint, und sie stürzt sich in diesen Fall. Letztendlich findet sie die Kinder auch, hat aber etwas ganz anderes erwartet.

Während des Handlungsverlaufs hatte ich häufig das Bedürfnis, die Protagonisten zu schütteln und ihnen bei der Flucht zu helfen. Michaela Kastel kreiert mit dem skrupellosen Entführer einen Täter, der etwas „zu“ gewollt grausam gegenüber Kindern erscheint. Es reicht keine Entführung und das Besuchen im Schlafzimmer, sobald es dunkel ist. Er foltert sie mental und hat kein Problem damit, heile Welt zu spielen und die Kinder am Ende zu töten.

Ronja und Jannik verbindet nicht nur ihr Alter, sondern auch die Zweisamkeit, die sie durchhalten lässt, bis sich im Teenageralter Gefühle entwickeln. Es ist ein klassisches Spiel zwischen Kopf und Bauch, das gelegentlich etwas stört, da man diese Situation nicht nachvollziehen kann und der Fokus oft auf den Annäherungsversuchen liegt. Zwischenzeitlich sind die Angst und das Verlangen nach Liebe zwischen Ronja und Jannik fast körperlich zu spüren und das ist dann doch beklemmend. Je länger man nach Beenden des Buches darüber nachdenkt, desto besser kann man die beiden verstehen und entwickelt das starke Bedürfnis, den Kindern helfen zu wollen.

Michaela Kastel hat einen düsteren und bedrückenden Thriller geschrieben, der mich nachhaltig beschäftigt hat. Es sind spannende Wendungen vorhanden und sie schafft es, die Dunkelheit des Waldes in den Seelen der Protagonisten widerzuspiegeln.

So dunkel der Wald. Michaela Kastel. btb. 2020.

Bücherstadt Magazin

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