Ein Mädchen, ein Totenkopf und ein altes Haus mitten im Wald – mehr braucht es nicht für eine schaurige kleine Geschichte. Jon Klassens neues Kinderbuch „Der Totenkopf“, eine Neuerzählung des gleichnamigen Tiroler Volksmärchens, lässt viel Interpretationsspielraum. – Von Zeichensetzerin Alexa
Protagonistin Otilla ist allein im verschneiten Wald unterwegs. Es ist dunkel, im Hintergrund ruft jemand ihren Namen, aber sie läuft weiter. Ich erfahre nicht, vor wem sie flieht und wohin sie unterwegs ist. Als sie ein altes Haus entdeckt, wird es noch mysteriöser. Hier wohnt ein Totenkopf, der nachts von einem kopflosen Gerippe heimgesucht wird. Das Mädchen beschließt zu bleiben und dem Totenkopf zu helfen …
Jon Klassen ist bekannt für seinen künstlerischen Stil in dunklen, rauen Erdfarben und Geschichten, die nicht alles auserzählen. Auch „Der Totenkopf“ folgt diesem Konzept: Passend zur kalten Winternacht und der düsteren Atmosphäre sind die Illustrationen dunkel – ein Spiel aus Schatten und Licht, das nur das Nötigste zum Vorschein bringt. So stechen weiße Elemente wie der Totenkopf, das Skelett und das weiße Nachthemd des Mädchens hervor, inmitten von tiefer Schwärze und unterschiedlichen Braun- und Graustufen.
In „Der Totenkopf“ wird alles nur angedeutet – sowohl die Illustrationen als auch der Text verraten nur so viel, dass man dem roten Faden folgen kann. Am Ende bleiben viele Fragen offen. Genau da liegt die Stärke des Buches: dass es so simpel und zugleich unfertig erscheint, dass es Platz lässt für eigene Ideen, Gedanken und Interpretationen und dass es zum Wiederlesen einlädt. Vielleicht ist es dann wirklich so, wie Jon Klassen im Nachwort schreibt: „Wenn du dieses Buch einmal liest und danach ins Regal stellst und ein Jahr später jemand dich nach dieser Geschichte fragt, wird das Gleiche geschehen: Dein Hirn wird sie verändert haben. Du wirst eine Geschichte erzählen, die etwas anders ist, vielleicht so, wie sie deinem Hirn besser gefällt.“ Ein spannender Gedanke! Ich frage mich, wie sich die Geschichte im Laufe der Zeit in meinem Kopf verändern wird.
Der Totenkopf. Jon Klassen. Übersetzung: Thomas Bodmer. NordSüd Verlag. 2023.
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Ein Beitrag zur #Todesstadt.
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