New York lebt – und legt sich mit Lovecraft’schen Monstern an. Buchstaplerin Maike hat mit „Die Wächterinnen von New York“ das vielleicht seltsamste Buch des Jahres gelesen. Aus der Hand legen konnte sie es allerdings nicht.
Stell dir vor, du wachst plötzlich auf und bist eine Stadt: So geht es fünf normalen Menschen in New York, die alle zu Manifestationen der Stadtteile werden, und damit zu Beschützerinnen gegen eine hasserfüllte interdimensionale Macht. Manhattan, die Bronx, Queens, Brooklyn und Staten Island sehen sich mit parasitären Tentakeln konfrontiert, die nichts anderes wollen, als ganz New York zu vernichten. Die fünf Avatare kämpfen sich durch eine neugeborene, verletzliche Stadt, die von realem Horror und ganz neuen Bedrohungen zerfressen ist. Können sie rechtzeitig zueinander finden und ihre Kräfte gegen diesen Feind bündeln?
„Den Slums wachsen Zähne und den Künstlervierteln Krallen.“ (S.17)
Auf Jemisins Worldbuilding muss man sich einlassen: Städte, die zu lebenden Organismen werden, und interdimensionale Monster, die das verhindern wollen – das ist die Grundlage für einen viel größeren Diskurs. Es ist kein Zufall, dass fast alle Avatare New Yorks People of Color sind, denn mit ihnen erwacht die Geschichte einer Stadt, die auf Genozid und Rassismus erbaut wurde, aber durch die Resilienz von Immigrant*innen und Marginalisierten erst zu der schillernden Metropole geworden ist, die wir kennen. Dem gegenüber steht der feindliche Parasit, der von der Stadt und den Menschen besitzt ergreift. Jemisin erschafft ein monströses Weißsein, und will dafür nicht subtil sein: Die Tentakel sind weiß und verwandeln die Infizierten in eine Art weiße Zombies. Gleichzeitig ergreifen sie vor allem von den Menschen Besitz, die ohnehin schon empfänglich sind für Hass aller Art und verstärken ihn. Die alltägliche Monstrosität von rassistischen „Karens“, Cops und „Proud Boys“ wird nun sichtbar.
„Und wenn ein einzelner Tentakel eine vorlaute, rassistische Frau in eine Direktleitung zum körperlosen absoluten Bösen verwandeln kann, will er nicht sehen, was aus infizierten NYPD-Leuten wird.“ (S. 95)
Es ist schwer, den Roman einem Genre zuzuordnen, und für mich passt das zu einer Geschichte, die von einer so widersprüchlichen, vielschichtigen Stadt handelt. Jemisin definiert das Urban in Urban Fantasy neu, aber auch Science Fiction Elemente schleichen sich ein. Nicht zuletzt ist Lovecraft ein wiederkehrendes Motiv: Der Roman spielt mit den Motiven, spricht Lovecrafts Rassismus an und nutzt dies, um sich den Horror aus Schwarzer Perspektive anzueignen. Auch der Ton wechselt – nicht zuletzt durch die verschiedenen Perspektiven der Stadtteile – zwischen rauer Poesie („Ich spanne meine Füße an und sie sind Stahlträger, Anker, Erdreich.“ S. 30) und Vulgarität. So, wie die Stadt eben ist.
„Skippy das Tentakelmonster schickt seine kleinen rassistischen Sackratten, damit sie dich im Internet beleidigen? Sind wir hier in einer Lovecraft-Geschichte oder was […]?“ (S. 324)
„Die Wächterinnen von New York“ ist kein leichtes Buch, denn zwischen den Fantasy Elementen lebt auch der ganz reale Horror unserer Zeit. Dennoch ist Jemisins Auftakt zu einer neuen Trilogie faszinierend und farbenprächtig, wenn auch beklemmend und eigenwillig.
Die Wächterinnen von New York. N. K. Jemisin. Aus dem Amerikanischen Englisch von Benjamin Mildner. Tropen. 2022.
[tds_warning]Contentwarnung: Rassismus, Sexismus, Erwähnung von häuslicher und sexualisierter Gewalt[/tds_warning]
[tds_note]Ein Beitrag zum Themenjahr #OwnVoicesBK. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]
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