Hmm, köstlich – oder?

von | 22.04.2018 | #litfutter, Filmtheater, Serien, Specials

Die TV-Serie „Hannibal“ besticht nicht nur durch spannende Handlungen und grausig-schön inszenierte Tatorte, sondern auch durch das Essen – auf mehrfache Weise. Wortklauberin Erika setzt sich zum Psychologen Hannibal an den Tisch und hofft, nicht selbst auf dem Silbertablett zu landen.

Dieser Artikel nimmt einiges aus der Serie vorweg und sollte deshalb nicht gelesen werden, wenn man die Serie noch nicht gesehen hat.

Ist das Mensch auf dem Teller?

Essen spielt in der TV-Serie „Hannibal“ noch eine größere Rolle als etwa noch in „Das Schweigen der Lämmer“ (1991). Dort ist der Akt des Menschenfressens noch als grausame, ekelhafte, dreckige Angelegenheit dargestellt. Ein Reiz der TV-Serie ist dagegen die Inszenierung des Essens, zu dem Hannibal (Mads Mikkelsen) in mehr oder minder jeder Folge lädt. Da Zuschauerinnen und Zuschauer der Serie mehr wissen als der Protagonist Will Grayham (Hugh Dancy) und die Polizei, wird jedes Festmahl zu einem Nervenkitzel. Man fragt sich unwillkürlich: Ist das tatsächlich Schwein oder doch ein Mensch?

Die schaurige Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand, nachdem den Mordopfern des Serienkillers, den Will Grayham in der ersten Staffel jagt, stets genau das Körperteil fehlt, das gerade bei Hannibal auf dem Teller landet. Doch kann man es sich noch schönreden. Die Küche Hannibals ist groß und steril, er kocht wie ein Haubenkoch und es regt sich der Hunger mit jeder Folge mehr. Mit dem Hunger – vielleicht auf Mensch?, fragt man sich da doch zweifelnd – regt sich der Zweifel am Bild des psychopathischen Kannibalen. Dr. Hannibal Lecter ist Psychologe, hoch gebildet und ein vielseitiger Mensch, der sich nicht von seiner Liebe zum Menschenfleisch leiten lässt. Oder vielleicht doch?

Man kommt nicht um das leise Gefühl herum, dass die TV-Serie die Manipulationstechniken Dr. Lecters auch auf das Publikum anwendet. Sie scheitern allerdings aufgrund des Mehrwissens des Publikums. Zuschauerinnen und Zuschauern ist Hannibal Lecter keine unbekannte Figur: Der Menschenfresser ist bekannt, auch wenn er in der TV-Serie in einem zivilisierten Kleid gezeigt wird.

Hannibal auf dem Teller

Die Neuinszenierung Hannibals mittels der Gerichte, die er kocht, geht jedoch noch weiter. Der Charakter des Hannibal Lecter wird vorrangig über seine Küche, seinen Esstisch und in den ersten zwei Staffeln sein Patientenzimmer charakterisiert. Betrachtet man seinen Esstisch und das darauf Aufgetischte über den Lauf der drei Staffeln genauer, bemerkt man in der Inszenierung der zweifelhaften Köstlichkeiten eine Steigerung. Das spiegelt sich besonders stark im Intro der jeweiligen Staffel wider, aber auch im Rahmen der Serie.

In der ersten Staffel sieht jedes Gericht, das zur Perfektion angerichtet serviert wird, schlichtweg köstlich aus. Es liegt nicht zu viel und nicht zu wenig auf dem Teller, die Menüfolgen machen den Mund wässrig. Hannibal Lecter ist erfolgreicher Psychologe, er hat das FBI mit dem Empathen Will Graham in der Hand und die volle Kontrolle über seine Opfer. Er inszeniert die Leichname kunstvoll, kreativ und grausam-schön, jeden auf eine andere Weise.

In der zweiten Staffel werden die Teller üppiger, voller. Hannibal hat die volle Kontrolle – und verliert sie in einer Abwärtsspirale aus Gewalt. Er wird unvorsichtig, gerät in den Fokus der Ermittlungen, wird schlussendlich gejagt und als der Menschenfresser enttarnt, der er ist. Er muss fliehen. In der dritten und letzten Staffel wandelt sich das Üppige hin zu einem übervollen Memento Mori, auf dem die Fliegen sitzen. Wenngleich Hannibal nach Venedig flieht, kann er seinem Schicksal nicht entkommen.

Eine Figurencharakterisierung auf der Makroebene der Serie kommt durchaus häufiger vor, allerdings nicht in einem Grad wie in Bryan Fullers „Hannibal“. Die Psyche des Menschenfressers, der zugleich ein gebildeter Mensch mit hohen Standards und eingehender Kenntnis verschiedener Kulturen ist, wird über das Essen erschlossen, das auf den Tisch kommt. Dem Essen kommt damit eine zentrale Rolle in der Inszenierung und Ästhetik der TV-Serie zu, was selten der Fall ist.

Menschen – eine Köstlichkeit?

Es wird in der Serie nicht klar, ob Hannibal zuerst die Lust auf das Menschenfleisch hatte oder sich lange fortgebildet hat und schlussendlich in einer größenwahnsinnigen Anwandlung begann, Menschen zu essen. Diese Frage ist auch sekundär. Wichtiger ist vielmehr das, was die Serie enthüllt: Dass selbst in einem vermeintlichen Mann von Welt, einem Mensch der Kultur und der feinen Künste, ein Menschenfresser stecken kann.

Eine Warnung muss noch gegeben werden: „Hannibal“ ist nichts für schwache Nerven. Wenngleich ästhetisch bis ins kleinste Detail ausgestaltet, verspürt man irgendwann keinen Hunger mehr.

Hannibal. Creator: Bryan Fuller. Romanvorlage: Thomas Harris. Darsteller: Hugh Dancy, Mads Mikkelsen, Caroline Dhavernas. USA. 2013-2015 (33 Episoden). Studiocanal. Ab 18 Jahren.

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