Bis heute werden in Studiengängen wie Kunstwissenschaft oder -geschichte kaum Texte von Kunsthistorikerinnen des 20. Jahrhunderts herangezogen und mit ihnen gearbeitet. Aber warum ist das so? Am Beispiel von Stella Kramrisch zeigt Autorin Jo Ziebritzki auf, wie wichtig diese Texte sind, und geht der Frage nach, warum sie in Vergessenheit geraten sind. Geschichtenzeichnerin Celina ist von dem Buch beeindruckt.
Im ersten Kapitel des Buches beziehungsweise in der Einführung spricht Jo Ziebritzki darüber, dass vergangene Kunsthistorikerinnen in unserer heutigen Kunstgeschichtsschreibung kaum erwähnt werden, obwohl einige von ihnen einschneidende Beiträge zur Kunstgeschichte geleistet haben. Dabei geht die Autorin Gründen für das verzerrte und falsche Bild über Kunsthistorikerinnen nach.
Eine Frau stellt sie, beispielhaft für viele vergessene Kunsthistorikerinnen, vor: Stella Kramrisch, die sich Zeit ihres Lebens der indischen Kunst gewidmet hat. Auch „Kramrischs heutige Unbekanntheit im deutschsprachigen kunsthistorischen Diskurs steht im auffälligen Gegensatz zu ihrer gefragten Expertise in der 1920er Jahre bis 1940 [sic].“ (Jo Ziebritzki, S. 36). Kramrisch hat in über 70 Jahren auf drei verschiedenen Kontinenten gelebt und indische Kunst erforscht. 1919 promovierte sie in Wien und ging 1922 nach Bengalen. Dort lehrte, sammelte, schrieb und organisierte die Kunsthistorikerin Ausstellungen. 1940 war Kramrisch in London, wo es zur Zusammenarbeit mit dem Warburg Institut kam und sie ihre „Photografic Exhibition of Indian Art“ zeigte. Noch im gleichen Jahr kehrte sie nach Indien zurück. 1950 ging sie in die USA, wo sie bis 1993 Professorin und Kuratorin war.
Die biografischen und kunsthistorischen Aspekte sind im Buch weitaus genauer beschrieben und zeigen, was Kramrisch geleistet hat.
Viele Schriften
Auch mit den Schriften und Publikationen, die Kramrisch verfasst hat, setzt sich Ziebritzki auseinander. Darunter fallen Kramrischs erste Monografie „Grundzüge der indischen Kunst“ (1924, Avalun-Verlag) und ihr Beitrag „Die Indische Kunst“ im Handbuch „Die Außereuropäische Kunstgeschichte“ (1929, Springer). Ziebritzki verdeutlicht dabei nicht nur Denk- und Herangehensweisen von Kramrisch, sondern analysiert auch aus dem zeitlichen Kontext heraus, wie diese einzuordnen sind.
Ergänzend lässt sich nur sagen, dass einige Schriften heute online zugänglich sind. Zum Beispiel können auf der Website Heidelberger historische Bestände – digital einige Publikationen eingesehen werden. Dort stehen diese eingescannt zur Verfügung. Damit hat jede*r mit Internetzugang die Möglichkeit, sich ebenfalls mit der Kunsthistorikerin und ihrer Arbeit etwas näher auseinanderzusetzten. Unten sind zusätzlich einige Texte von Kramrisch verlinkt.
Weiterhin ist es erstaunlich, wie viele Fotografien Kramrisch in den Publikationen oder Ausstellungen präsentiert. Mit den Fotos und Übersetzungen hat sie damals auch eine Zugänglichkeit zur indischen Kunst und Philosophie eröffnet. Im Buch wird ebenfalls auf diesen Aspekt gründlich eingegangen.
(Kunst-)Geschichtsschreibung
Im sechsten und letzten Kapitel kommt Ziebritzki gezielt auf die Geschichtsschreibung zu sprechen. Dabei verdeutlicht sie die Misogynie, also Frauenfeindlichkeit, die zu dieser Zeit noch bestand sowie patriarchale Strukturen, die vorherrschten. Darüber hinaus geht sie im Buch auf Josef Strzgowski, den Leiter des Kunsthistorischen Instituts in Wien ein, bei dem auch Kramrisch lernte. Dabei spricht Ziebritzki die Weltkunstgeschichte an, also ein Kunstgeschichtsmodell, das unserem eurozentrisch geprägten ‚entgegensteht‘. Mit diesem Modell hat sich scheinbar auch Kramrisch auseinandergesetzt und identifiziert. Hieraus entwickelte Ziebritzki folgende Fragestellung: Gäbe es eine andere Geschichtsschreibung, wenn dem Modell damals – besonders nach dem zweiten Weltkrieg – mehr Gehör geschenkt worden wäre?
Eine Empfehlung!
Das Buch „Stella Kramrisch: Kunsthistorikerin zwischen Europa und Indien. Ein Beitrag zur Depatriarchalisierung der Kunstgeschichte“ ist allen zu empfehlen, die ein kunstwissenschaftliches Interesse haben. Wie der Titel schon erwähnt, ist die Depatriarchalisierung der Kunstgeschichte der Autorin Jo Ziebritzki ein wichtiges Anliegen, welches in noch vielen weiteren Büchern zur Kunstgeschichte aufgegriffen werden sollte. Ebenso ist das Buch eine Bereicherung für die Kunstwissenschaft, weswegen es nicht verwundert, dass Ziebritzki den Jutta-Held-Preis 2021 dafür erhalten hat. Darüber hinaus ist positiv hervorzuheben, dass das Buch allgemeinverständlich geschrieben ist, sodass auch diejenigen es gut lesen können, die sich nicht im wissenschaftlichen Kontext bewegen.
Stella Kramrisch: Kunsthistorikerin zwischen Europa und Indien. Ein Beitrag zur Depatriarchalisierung der Kunstgeschichte. Jo Ziebritzki. Büchner. 2021.
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Hier könnt ihr mehr über „Kunsthistorikerinnen 1910 – 1980: Theorien, Methoden, Kritiken“ lesen.
Hier findet ihr Texte von Stella Kramrisch:
- Die Indische Kunst. Stella Kramrisch. in: Glaser, Curt (Hrsg.): Handbuch der Kunstgeschichte (Band 6): Die aussereuropäische Kunst. Leipzig. Alfred Kröner Verlag. 1929. S.229-368. online in: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/springer1929bd6/0253
- Indische Malerei der Gegenwart: Zur XV. Jahresausstellung der „India Society of Oriental Art“. Stella Kramrisch. Calcutta. 1924. in: Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers. 1924. S. 954-964. online in: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cicerone1924/0986
- Sunayani Devi. Stella Kramrisch. in: Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers. 1925. online in: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cicerone1925/0111
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