Eine besondere Freundschaft: „Offene See“ (mit Verlosung)

von | 12.12.2021 | #litadvent, Belletristik, Buchpranger, Specials

Benjamin Myers‘ Roman „Offene See“ wurde 2020 zum Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhändler*innen gekürt. Auch Worteweberin Annika hat den leisen Roman gerne gelesen.

Im Frühling nach dem Zweiten Weltkrieg bricht Robert, Protagonist in Benjamin Myers‘ Roman „Offene See“, zu einer Reise auf. Er will sich „mit dem Leben vollstopfen“, das Land und die Welt kennenlernen, ohne Landkarte, ohne genaues Ziel. Gerade hat er die Schule abgeschlossen, die Prüfungsergebnisse stehen noch aus und im nahegelegenen Bergwerk soll er erst in einigen Monaten anfangen. Vom Bergarbeiterdorf im Norden Englands, wo er aufgewachsen ist, durchwandert er Wiesen und Wäldchen, saugt das Grün in sich auf. Wo es ihm gefällt, arbeitet er ein paar Tage für Verpflegung, sein Nachtlager schlägt er im Freien oder in Scheunen am Wegesrand auf. Schließlich trifft er in Yorkshire auf ein kleines Cottage und dessen Bewohnerin Dulcie Piper und ist angekommen.

Ungleiche Freunde

Aus einer Einladung zum Tee wird peu à peu ein gemeinsamer Sommer und eine bereichernde Freundschaft. Von der älteren Dame lernt Robert Vieles über Genuss, Poesie und das Leben im Augenblick. Dulcie kocht mit Leib und Seele und zaubert trotz der Essensrationierungen Gerichte mit Zutaten, von denen der Sechzehnjährige nie zuvor gehört hat. Sie pfeift auf den Abwasch, flucht und glaubt nicht an Gott – Dulcies Art zu leben könnte Robert nicht fremder sein. Doch Dulcie ist sich sicher, dass mehr in Robert steckt, als er weiß. Sie versorgt ihn mit der richtigen Lektüre, viel Wein und Gesprächen über Gott und die Welt.

Während er die Wiese vor dem Cottage in Schach hält, den Zaun streicht und das Atelier renoviert, kann Robert Dulcie jedoch auch eine wichtige Lektion beibringen. Denn eine kleine Volte zumindest nimmt die Erzählung in Form eines Geheimnisses, das angenehmerweise aber nicht aufgebauscht oder dramatisiert wird: Robert findet im Atelier eine Sammlung von Gedichten, die Dulcie gewidmet sind und die sie doch nicht lesen möchte. Auch wenn die Beschreibung der Freundschaft zwischen den beiden Figuren kein raffinierter literarischer Kniff ist und einige Entwicklungen vorhersehbar bleiben, ist der Kontrast zwischen Robert und Dulcie doch sehr unterhaltsam: die ältere Frau von Welt und der junge Bursche, der sein Licht gerne unter den Scheffel stellt.

Die Ruhe der Natur

Mehr als auf der Handlung liegt der Fokus in diesem Roman jedoch auf etwas anderem: dem Schwelgen in der Sprache und in der Natur. Besonders die Orte und Landschaften treten beim Lesen klar vor Augen. Mit vielen ungewöhnlichen Bildern nimmt Benjamin Myers uns mit nach England, beschreibt eindrücklich Dulcies Garten, das kleine Dorf in Yorkshire und immer wieder natürlich auch das Meer. Er versetzt uns an den Strand, wo die krebsroten Badegäste „Amok laufen“ und mit Hilfe einer Gedichtsammlung auf die titelgebende „Offene See“, faszinierend und verhängnisvoll.

Mit dem Wechsel der Jahreszeiten – vom frischen Grün des Frühjahrs bis zum dunstigen anbrechenden Herbst 1946 – verändert sich auch Robert, um im nächsten Frühling schließlich zu erkennen, was er mit seinem Leben anfangen möchte. Zwischen den Seiten des Romans zu spazieren entschädigt so für fast jeden entfallenen Urlaub. „Offene See“ eignet sich wunderbar als Weihnachtsgeschenk und als Lektüre für die stille Zeit zwischen den Jahren.

Offene See. Benjamin Myers. Übersetzung: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Dumont. 2020.

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[tds_note]Ein Beitrag zum Special #litadvent. Hier findet ihr alle Beiträge. Wir bedanken uns beim Dumont Verlag für die Bereitstellung des Verlosungsexemplars.[/tds_note]

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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