#Meinungstheater: Der Gesang der Flusskrebse

von , , , | 21.09.2024 | Filme, Filmtheater, Meinungstheater

„Der Gesang der Flusskrebse“ ist eine Literaturverfilmung aus dem Jahr 2022 von dem gleichnamigen Roman (2019) von Delia Owens. Ende der 1960er Jahre wird im Marschland von North Carolina der Quarterback Chase Andrews tot aufgefunden – Unfall oder Mord? Schnell fällt der Verdacht auf die junge Kya, die zurückgezogen und alleine lebt und überall nur als das Marschmädchen bekannt ist. Buchstabenakrobatin Melanie, Satzhüterin Pia und Zeichensetzerin Alexa haben den Film erstmals gesehen und sich eine Meinung gebildet.

Buchstabenakrobatin Melanie: Mysteriöser Todesfall samt Mordprozess, Coming-of-Age-Geschichte inklusive (un-)glücklicher Liebe, Familiendrama und romantisierte Naturdarstellungen. Die filmische Adaption von Delia Owens Roman verbindet dieses Konglomerat zu einem sentimentalen Gesamtpaket. Kya, die nach Jahren geprägt von alkoholisierten Gewaltausbrüchen ihres Vaters allein im Sumpfgebiet von North Carolina erwachsen wird, erfährt Ablehnung aus der angrenzenden Kleinstadt, findet Liebe, wird verlassen, verliebt sich erneut und wird anschließend verdächtigt, ihren Ex-Freund ermordet zu haben.

Potenzial für einen kritischen Film ist da, doch für meinen Geschmack wurde es mit dem Kitsch übertrieben. Kya ist trotz ihrer Lebensumstände gebildet, erfahren in zwischenmenschlichen Beziehungen und dabei häufig beneidenswert gut frisiert und gekleidet, obwohl sie zeitweise mittellos in einer Hütte im Sumpf lebt – sehr realitätsfern. Dazu die übermäßig geschönte Marschlandschaft voller sonnendurchfluteter Weiden und zwitschernder Vogelschwärme, die die Ereignisse lieblich umspielen. Sehr viel Schönmalerei, die von den tragischen Momenten der Erzählung ablenken – schade. 

Satzhüterin Pia: Die Geschichte von „Der Gesang der Flusskrebse“ kannte ich bereits – vor einigen Jahren habe ich das Buch gelesen … und geliebt. Nun wissen wir ja alle sehr gut, wie es mit Literaturverfilmungen ist oder sein kann. Wo fangen wir also an? Der Film fängt das Setting sumpfiges Marschland wunderschön auf. Es gibt stimmungsvolle Bilder, die regelrecht das Coverbild vom Buch lebendig werden lassen. Auch die Geschichte wurde in ihren Eckpunkten getreu der Buchvorlage aufgegriffen und wir werden mit in das einsame Leben des Marschmädchens geholt. Ein Marschmädchen, das für meine Begriffe leider nicht so gut getroffen wurde – alles wirkt zu glatt, zu geschönt, zu romantisiert. Nicht zuletzt deswegen, weil Kya kaum wie ein wildes Marschmädchen aussieht: saubere Kleidung, die gut passt, schöne Frisuren, glatte Haut, wenn mich nicht alles täuscht.

Der Film lässt sich hübsch ansehen, geht darüber hinaus aber nicht halb so sehr in die Tiefe, wie er es vielleicht vermocht hätte. Und er wird der Magie der geschriebenen Geschichte, in all ihrer Komplexität leider nicht gerecht. Dazu zählen auch die Figuren, die ich fast alle nicht halb so spannend fand, wie ich sie aus dem Buch in Erinnerung habe. Nett, aber naja – vielleicht bin ich als Fan des Buches auch einfach nicht das richtige Publikum. Bis zu dem Zeitpunkt, wo ich für dieses Meinungstheater über den Film intensiver nachgedacht habe, fühlte ich mich durchaus nett unterhalten, nicht mehr, nicht weniger. Aber am Ende macht ein netter Film noch lange keine gute Literaturverfilmung.

Zeichensetzerin Alexa: Wow, das Marschland scheint ein Paradies zu sein: immer Sonnenschein, schöne Landschaften, friedliche Natur. Ich habe mich beim Schauen des Films immer wieder gefragt, wann denn der Winter kommen würde – und ob das Leben dort bei anderen Wetterbedingungen anders wäre (vermutlich schon). Die dargestellten Szenen zeigen jedoch nur die hübschen und sorglosen Seiten, als hätten die Filmemacher*innen versucht, dem Publikum ganz klar zu vermitteln, was Kya an diesem Ort hält. Dabei hätte sie allen Grund gehabt, fortzugehen, wie es alle anderen Familienmitglieder getan haben, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Und obwohl diese Frage explizit im Film auftaucht und der Versuch einer Rechtfertigung unternommen wird, so kann ich mir bei bestem Willen nicht erklären, wie man es emotional schafft, die eigenen Kinder beim gewalttätigen Vater zurückzulassen. Aber vielleicht fehlen mir hier einfach die erzählerische Tiefe und weitere Hintergrundinformationen aus dem Buch.

Die Schönheit der Natur täuscht jedenfalls nicht über die schwierigen Themen hinweg: Es geht um häusliche und sexualisierte Gewalt, Verluste und Mobbing. Das kann Betroffene stark belasten. Eine Triggerwarnung zu Beginn des Films hätte ich deshalb als angemessen empfunden.

Der Gesang der Flusskrebse. Daisy Edgar-Jones, Taylor John Smith, Harris Dickinson u.a. Regie: Olivia Newman. Drehbuch: Lucy Alibar. USA. Zu finden auf Netflix. 2022. // Bild: CTMG

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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