Musikalisch-philosophische Gefühlswelten

von | 01.08.2017 | Belletristik, Buchpranger

„Die Sache Metropolis“ verwebt die Schicksale verschiedener Protagonisten über mehrere Jahrhunderte mit der Liebe zur Musik, der Oper und Richard Wagner. Doch nicht nur Musikbegeisterte werden vom Debütroman des amerikanischen Autors Matthew Gallaway mitgerissen. Erzähldetektivin Annette haben ebenso die philosophischen und erzählerischen Qualitäten des Werks tief beeindruckt.

Matthew Gallaway ist mehr als ein Musikfan. Die Liebe zur Musik in ihren mannigfaltigen Facetten ist der Grundpfeiler seines epischen Erstlingswerks „Die Sache Metropolis“. Neben der wichtigen Figur Richard Wagners – und besonders seiner Oper „Tristan und Isolde“ – finden auch so unterschiedliche Künstler wie Velvet Underground, My Bloody Valentine, The Ramones, The Cure, Kate Bush, Donovan oder Echo & The Bunnymen Erwähnung. Musik ist für die Protagonisten nicht nur ein Interesse, es ist der Versuch, der schnöden Belanglosigkeit des Lebens zu entkommen. Es rührt fast zu Tränen, wenn Gallaway die Stärke und Schönheit einer Musikaufführung beschreibt, die die Macht hat, ihre Zuhörer tief im Innern zu berühren und ihre Leben zu verändern.

Dabei gelingt es dem Autor vortrefflich, die Gefühle in den unterschiedlichen Lebensphasen seiner Protagonisten einzufangen; wie beispielsweise die komplizierten, sich stetig verändernden Gefühlswelten eines heranwachsenden Teenagers, die er ohne Kitsch oder Überemotionalität beschreibt.
Seine Figuren suchen nach dem Sinn hinter den Dingen und in ihrem Leben und kommen zu ebenso nüchternen wie profunden Erkenntnissen. Etwa, dass man viel häufiger ein Kapitel seines Lebens beenden sollte, um sich in einem neuen Abschnitt weiterzuentwickeln. Oder dass Musik nicht nur der Soundtrack der eigenen Erinnerungen ist, sondern zeitliche, räumliche und kulturelle Grenzen überwinden kann. Das Leben neigt dazu, immer wieder neue Formen des Kummers hervorzubringen, doch Musik kann einen kurzen Blick auf seine Schönheit gewähren, der im Zweifelsfall den Unterschied zwischen dem Wunsch zu leben oder zu sterben ausmachen kann.

Anspruchsvolle Literatur mit tiefen Gefühlen

Neben der Musik spielt auch Literatur eine große Rolle. So sinniert Gallaway mit Blaise Pascal über die Qualen der Seele und mit Marx über unsere kapitalistische Gesellschaft. Dennoch ist „Die Sache Metropolis“ keinesfalls überambitioniert. Dem Roman gelingt der Spagat zwischen anspruchsvollen Bildungsbürgerwerk à la Thomas Manns „Der Zauberberg“ – so sind beispielsweise Englisch- und Französischkenntnisse von Vorteil – und lockerem Unterhaltungsroman mit sympathischen Figuren. Dies liegt nicht zuletzt an Gallaways eigenem Humor, der auch ernsten Themen die Anstrengung nimmt.
So finden beispielsweise die Anschläge vom 11. September 2001 Erwähnung. In Verbindung mit der naiv-verträumten Musik des schottischen Künstlers Donovan bilden sie für Protagonist Martin jedoch den Hintergrund für eine Bestandsaufnahme seines bisherigen Lebens. In solchen Augenblicken entfaltet Gallaway seine volle Stärke als Autor.

Die Figuren suchen ihren Platz im Leben und in der Welt. Sie alle durchlaufen eine starke Entwicklung und es macht große Freude, sie auf ihrem Weg zu begleiten. Sie müssen mit Trauer und Verlust umgehen, aber finden auch innere Stärke und wachsen an Erfahrungen, sodass sie zu einer besseren Version ihrer selbst werden. Auf die einfühlsame Beschreibung der Liebe zwischen dem Opernsänger Lucien und seinem Partner Eduard folgt die ungeschminkte Erkenntnis, dass wir nach einem Verlust weniger um andere trauern, als um unsere eigenen verpassten Gelegenheiten. Wenn Gallaway das liebevoll-abweisende Verhalten von Katzen beschreibt, die Freude, die sie einem Menschen bringen können und der Schmerz ihres Verlustes, zeigt er endgültig, dass die kleinen und großen Dinge im Leben stets ineinandergreifen.

Trotz Vorhersehbarkeit große Wirkung

Lediglich das Aufeinandertreffen der Figuren ist teilweise zu zweckmäßig und passend für die Handlung und bereits während des Lesens lässt sich erahnen, wie die Geschichten der Protagonisten zusammenhängen. Die große Auflösung kommt daher nicht mehr ganz so überraschend. Der Wirkung des Romans tut dies jedoch keinerlei Abbruch. Auch die letztendliche Erkenntnis fügt sich passend in das Gesamtwerk ein und wirkt in keiner Weise banal oder abgestanden. Danach ist jede Wahrheit, für die es sich zu leben oder zu sterben lohnt, flüchtig und den Änderungen der Zeit unterworfen – hingegen muss jede bleibenden Wahrheit unweigerlich banal werden. Schließlich müssen wir nicht weniger, als dem Leben unseren eigenen Sinn geben. Und Musik vermag uns dabei zu helfen.

Die Sache Metropolis. Matthew Gallaway. Aus dem Amerikanischen Englisch von Andreas Diesel. Albino Verlag. 2017.

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

1 Kommentar

  1. Avatar

    Das klingt nach einem tollen Buch – deine Rezension macht Lust auf mehr!

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

Wir sind umgezogen!

Wir sind vor einer Weile umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner